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Chronostasis

    Als Chronostasis wird in der Psychologie jene kaum wahrnehmbare Täuschung in der Wahrnehmung bezeichnet, bei dem ein erster Sinneseindruck eines Objekts nach einer schnellen Augenbewegung subjektiv etwas verlängert erscheint, etwa wenn beim raschen Blick auf eine Armbanduhr die erste Sekunde gefühlt länger erlebt wird als die folgenden. Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Illusion vermutlich dadurch das Bestreben des Gehirns erzeugt wird, trotz der schnellen Augenbewegung ein gleichmäßig fließendes Wahrnehmungserleben zu konstruieren, indem es die Wahrnehmung einfach zeitlich verlängert. Dieser Effekt tritt auch beim Hören auf. Bei manchen Menschen tritt auch nach einem traumatischen oder besonders belastenden Erlebnis häufig subjektiv eine Verlangsamung der Zeit auf, d. h., das Erlebte wird in einer Art Zeitlupe wahrgenommen. Vermutlich verändert hier das Gehirn rückwirkend das Zeitgefühl.

    Untersuchungen zeigen übrigens, dass der Weg in den Urlaub meist subjektiv länger dauert als die Rückfahrt. Man hat für einen Erklärungsversuch dieses Phänomens in einem Experiment diesen Effekt im Labor zu erzeugen versucht: Man zeigte zwei Gruppen von Versuchsteilnehmern zwei unterschiedliche 20-minütige Filme: In einem ging ein Kameramann in einer Stadt zwei unterschiedliche Ein-Weg-Strecken, im anderen Film ging er zehn Minuten lang eine Strecke und lief diese dann wieder zum Ausgangspunkt zurück. Die Probanden schätzten dabei, dass der zweite Weg weniger Zeit gebraucht hat als der erste, und das, obwohl die Teilnehmer während der Betrachtung des Films ein gutes Zeitgefühl hatten, denn sie sollten dabei  jedes Mal ein Zeichen geben, wenn sie glaubten, dass drei Minuten vergangen waren. Das bedeutet, dass während der Fahrt der Verkürzungseffekt nicht auftritt, sondern erst danach. Offenkundig muss zum einen das Unterbewusstsein wissen, dass man gerade auf dem Rückweg ist, zum anderen wirkt sich der Bekanntheitsgrad eines Weges auf das Zeitgefühl aus, denn auf dem Hinweg zu einem neuen Ziel kennt man die Strecke nicht, jedoch auf dem Rückweg erkennt man manches wieder, was das Gefühl verstärkt, dass die Fahrt schneller vorübergeht. Eine weitere Erklärung wäre, dass man den Hinweg zu optimistisch antritt, was dazu führt, dass einem die Fahrt länger vorkommt, womöglich in der Vorfreude auf den Urlaub. Für den Rückweg neigt man dann dazu, diese Erfahrung zu sehr zu korrigieren, d. h., man erwartet eine über die Maßen lange Rückfahrt, so dass sie einem dann im Rückblick kürzer erscheint (Breittinger, 2015).

    Schneider & Ghose (2012) entdeckten in einer Studie an Rhesusaffen, dass die Zeitmessung im Gehirn offensichtlich dezentral abläuft und die verschiedenen Schaltkreise ihre ganz eigenen Timing-Mechanismen für spezifische Aktivität besitzen. Das könnte erklären, warum etwa bestimmte Erkrankungen das Zeitgefühl beeinflussen oder die Zeitwahrnehmung in emotionalen Ausnahmezuständen verändert verändert ist. Das könnte auch helfen zu verstehen, warum Menschen mit Hirnläsionen oder Parkinson Schwierigkeiten bei der Einschätzung von Zeit haben.

    Literatur
    Breittinger, M. (1985). Warum uns die Rückfahrt meist kürzer vorkommt. Die Zeit online vom 15. Juni 2015.
    Schneider, B. A. & Ghose, G. M. (2012). Temporal Production Signals in Parietal Cortex. PLoS Biol 10(10): e1001413. doi:10.1371/journal.pbio.1001413.


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