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Striatum

    Das Gehirn des Menschen ist darauf ausgerichtet, jene grundlegenden Ziele zu verfolgen, die dem Überleben dienen: essen, sich fortpflanzen, Macht gewinnen, dabei möglichst wenig Energie aufzuwenden und so viele Informationen wie möglich über die Umwelt zu sammeln. Diese fünf Ziele bildeten schon das Leitmotiv jener Gehirne, die dem menschlichen bei der Evolution der Arten vorangegangen sind, also von den ersten Tiere in den Ozeanen vor einer halben Milliarde Jahren ebenso wie heute. Dabei sind die Mechanismen, die diese Handlungen steuern, von Natur aus einfach und robust, denn nur so haben sie die Evolution überdauert und die wesentlichen Eigenschaften beibehalten. Im Striatum, einer Struktur im Großhirn unterhalb der Hirnrinde, liegen nun jene Neuronen, die bei jedem überlebensförderlichen Verhalten Dopamin ausschütten und somit Lust erzeugen, sind also die treibende Kraft für Fische, Reptilien, Vögel und Säugetiere und auch den Menschen.

    Das Striatum ist ein Teil des Großhirns, der im Hirninneren liegt und unter anderem auf den Hirnbotenstoff Dopamin reagiert, aber auch bei Drogensucht eine Rolle spielt und etwa bei Kokainabhängigen besonders stark ausgeprägt ist, während andere Gehirnteile bei diesen verkleinert sind (vgl. Ersche et al., 2012). Im Striatum sitzt also das Belohnungssystem, das Menschen zu zielgerichteten Handlungen anspornt, während der Hippocampus für die Gedächtnisfunktionen zuständig ist. Bei neugierigen Menschen spielen diese Regionen besonders gut zusammen, denn identifiziert der Hippocampus eine Erfahrung als neu, sendet er eine Reaktion an das Striatum. Dort werden Botenstoffe freigesetzt, die für positive Gefühle sorgen. Bei Menschen, die oft neue Erfahrungen suchen, sind diese Regionen besonders gut verbunden, also auch bei Süchtigen. Es sind zahlreiche komplexe Mechanismen des Belohnungssystems im Gehirn daran beteiligt, die Menschen zum Handeln motivieren und damit für die Selbsterhaltung und letztlich für das Überleben sorgen. Vor allem die Aussicht auf Belohnungen motiviert Menschen und Tier gleichermaßen zum Handeln. Da sich das Striatum selbst keine Grenzen setzen kann ist dafür die menschliche Großhirnrinde gewachsen und daher viel mächtiger als die eines Fisches oder Reptils, sodass dieser Cortex in die Lage versetzt wurde, dem Striatum fast alles zu bieten, was es will, manchmal ohne Aufwand und daher fällt es Menschen schwer, sich selbst zu zügeln, wenn sich immer mehr Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung biete, angefangen von Lebensmitteln oder bis zu Konsumgütern, die sozialen Status vermitteln.

    Das Belohnungssystem des Gehirns wurde bereits im Jahr 1954 entdeckt und ist allerdings einem puren Zufall geschuldet, denn James Olds und Peter Milner wollten neue Erkenntnisse über Lernprozesse gewinnen und untersuchten zu diesem Zweck das Verhalten von Laborratten. Den Tieren wurde eine Elektrode ins Gehirn gepflanzt, die leichte elektrische Stromschläge abgab, um einen Reiz auf das Gehirn der Tiere auszuüben. Bei einem Versuchstier wurde die Elektrode jedoch versehentlich in das falsche Hirnareal gesetzt, denn nach dem Versuch kehrte die Ratte im Gegensatz zu den anderen Versuchstieren immer wieder in jene Ecke ihrer Box zurück, in der sie den Stromschlag erhalten hatte. Selbst am nächsten Tag suchte das Tier diese Ecke noch auf, anscheinend in der Erwartung, dort erneut einen Stromschlag zu erhalten. Um das Verhalten der Versuchsratte zu ergründen, setzte man verschiedene Versuchsratten nacheinander in eine Skinner-Box. Die Ratte erhielt wieder eine Elektrode eingepflanzt, diesmal in jene Hirnregion, die die letzte Ratte dazu gebracht hatte, immer wieder zu der Ecke zurückzukehren, in welcher sie den Schlag erhalten hatte. In der Skinner-Box selbst befand sich ein Hebel, den die Ratte selbstständig drücken konnte. Betätigte sie ihn, so erhielt sie über ihre Elektrode jedes Mal einen Stromschlag. Alleingelassen mit dem Apparat, stimulierte das Tier nach zwei bis fünf Minuten Lernzeit das eigene Gehirn regelmäßig etwa alle fünf Sekunden, denn die Tiere empfanden die elektrische Selbststimulation offenbar als angenehm. Und das wiederum verstärkte das Verhalten, den Hebel zu drücken – immer wieder, bis zur absoluten Erschöpfung. Selbst angebotenes Futter ließen sie links liegen. Einige Ratten brachen sogar zusammen, weil sie lieber den Glückshebel drückten als zu fressen oder zu trinken. Die Ratten reagierten alle in ähnlicher Weise und verschmähten sogar das ihnen angebotene Futter, da sie lieber den Hebel bis zur völligen Erschöpfung drückten. Einige Versuchstiere brachen vor Erschöpfung zusammen, da sie durch die ständige Betätigung des Hebels auf das Trinken vergaßen. Auf der Grundlage dieser Versuche wurde eine Karte des Belohnungssystems des Gehirns angefertigt. Der wichtigste Botenstoff des Belohnungssystems ist das Dopamin, weshalb man auch vom mesocortikolimbischen, dopaminergen Belohnungssystem spricht. Das Belohnungssystem des Gehirns ähnelt in seiner Funktionsweise einem Schaltkreis, denn es muss ein Reiz von außen kommen, damit das limbische System des Gehirns reagiert. Das limbische System generiert daraufhin einen Drang, den die Großhirnrinde dann als Verlangen interpretiert und dem Körper das Bedürfnis übermittelt, dieses Verlangen zu befriedigen.

    Anders als die Hirnforschung lange vermutete, ist für das Hochgefühl, wenn Menschen bekommen, wonach sie sich sehnen, nicht das Dopamin selber verantwortlich, sondern diese Rolle kommt den körpereigenen Opiaten zu, den Endorphinen, sowie anderen Botenstoffen wie dem Oxytocin. Dopamin ist vielmehr der Neurotransmitter der Belohnungserwartung, d. h., das Dopaminsystem generiert ein tiefes Verlangen und gibt man diesem nach, reagiert das mesocortikolimbische System, das immer dann aktiv wird, wenn man eine Belohnung erwartet.

    Das Striatum hängt übrigens auch mit der Großzügigkeit von Menschen bzw. dem Glücksempfinden zusammen. In dieser Studie untersuchten Park et al. (2017) mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie und eines öffentlichen Versprechens für künftige Großzügigkeit die Gehirnmechanismen, die großzügiges Verhalten mit einer Steigerung des Glücks verbinden. Die Teilnehmer versprachen, in den nächsten vier Wochen Geld entweder für andere (Versuchsgruppe) oder für sich selbst (Kontrollgruppe) auszugeben. Es zeigte sich, dass die Teilnehmer der Experimentalgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe in einer unabhängigen Entscheidungsaufgabe großzügigere Entscheidungen trafen und eine stärkere Zunahme des selbstberichteten Glücks zeigten. Großzügige Entscheidungen aktivieren die temporo-parietale Verbindung in der Experimentalgruppe stärker als in der Kontrollgruppe und modulieren die Konnektivität zwischen temporo-parietaler Verbindung und ventralem Striatum auf unterschiedliche Weise. Wichtig ist, dass die Striatumaktivität während großzügiger Entscheidungen in direktem Zusammenhang mit Veränderungen des Glücksgefühls steht. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Top-Down-Kontrolle der Striatumaktivität eine grundlegende Rolle bei der Verknüpfung von Großzügigkeit mit Glück spielt.

    Kurioses: Angeblich fanden Forscher jüngst bei Untersuchungen, dass Likes, die man von Facebook- oder Instagram-Freunden erhält, im Gehirn ähnlich verarbeitet werden wie ein Orgasmus. Und zwar wurden bei Probanden mittels MRT genau die Region des Gehirns, die Reize wie Sex, gutes Essen und das persönliche Ansehen verarbeitet, untersucht, wobei das persönliches Ansehen die gleiche Region im Gehirn ansprach wie ein Orgasmus. Je mehr Likes Menschen auf Facebook und Co. erhielten, desto höher war angeblich die Ekstase.

    Literatur

    Ersche, K.D., Jones, P.S., Williams, G.B., Robbins, T.W. & Bullmore, E.T. (2012). Cocaine dependence: A fast-track for brain ageing? Molecular Psychiatry.
    WWW: http://www.neuroscience.cam.ac.uk/publications/download.php?id=18790 (12-04-21)
    Olds, J. & P. Milner (1954).  Positive reinforcement produced by electrical stimulation of septal area and other regions of rat brain. J. Comp. Physiol. Psychol.,  47, 419-427.
    Park, Soyoung Q., Kahnt, Thorsten, Dogan, Azade, Strang, Sabrina, Fehr, Ernst & Tobler, Philippe N. (2017). A neural link between generosity and happiness. Nature Communications, 8, doi:10.1038/ncomms15964.
    Stangl. W. (2011). Neugier.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/MOTIVATION/Neugier.shtml (11-03-08)
    http://dasgehirn.info/denken/motivation/schaltkreise-der-motivation-986 (13-11-21)
    https://www.spektrum.de/news/bewusster-leben/1662326 (19-07-01)


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