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Hirnstamm – Stammhirn

    Der Hirnstamm (Truncus cerebri oder Truncus encephali)  ist der entwicklungsgeschichtlich älteste Teil des Gehirns, und ist für die essenziellen Lebensfunktionen zuständig, d.h., es steuert Herzfrequenz, Blutdruck und Atmung. Auch ist das Stammhirn für wichtige Reflexe wie den Lidschluss-, Schluck- oder Husten-Reflex verantwortlich. Das Stammhirn bildet die Schnittstelle zwischen dem übrigen Gehirn und dem Rückenmark. Der Hirnstamm als der entwicklungsgeschichtlich älteste Teil des Gehirns geht dabei fließend in das Rückenmark über und ist eine wichtige Schaltzentrale zwischen den motorischen Zentren zur Bewegungsplanung im Gehirn und den Netzwerken für das Ausführen von Bewegungen im Rückenmark. Im Rückenmark befinden sich die Motoneuronen, die direkt mit Muskelzellen verbunden sind und die Kontraktion der Muskeln auslösen, wobei erst seit wenigen Jahren bekannt ist, dass der Hirnstamm aus vielen Regionen mit spezialisierten Nervenzellverbindungen besteht, die komplexe Bewegungsabläufe steuern. Eintreffende Informationen leitet es dabei überkreuz weiter, daher wird die linke Körperhälfte von der rechten Gehirnhälfte gesteuert und umgekehrt. Zu den Aufgaben des Hirnstamms gehört das Verschalten und Verarbeiten von ankommenden Sinneseindrücken sowie ausgehenden motorischen Informationen. Im Medulla oblongata, auch Nachhirn genannt, kommt es zu dieser Kreuzung der Nervenbahnen beider Körperhälften.

    Mit Ausnahme des Kleinhirns werden sämtliche Gehirnabschnitte unterhalb des Zwischenhirns zum Hirnstamm gezählt, wobei es sich um das Mittelhirn (Mesencephalon) mit dem Mittelhirndach (Tectum), der Mittelhirnhaube (Tegmentum) und dem Großhirnschenkel (Crurae cerebri) sowie das Rautenhirn (Rombencephalon) mit der Brücke (Pons) und dem verlängerten Rückenmark (Medulla oblongata) handelt. Nicht selten werden die Bezeichnungen Hirnstamm und Stammhirn fälschlicherweise synonym gebraucht, doch im Unterschied zum Hirnstamm gehören sämtliche Hirnabschnitte außer dem Großhirn und dem Kleinhirn zum Stammhirn.

    Ruder et al. (2021) haben am Mausmodell gezeigt, dass die räumliche Trennung der Nervenzellpopulationen nach Aufgaben und ihre Verknüpfungen Aufschluss über die Organisation des Hirnstamms und die Steuerung von Körperbewegungen geben, etwa im Fall der Feinmotorik. Viele neuronale Schaltkreise des Hirnstamms sind bei Mensch und Tier ähnlich, sodass sich wohl auch Rückschlüsse darauf ziehen lassen, welche Nervenzell-Populationen welche Bewegungen steuern oder wie Krankheiten und Verletzungen zu Einschränkungen der feinmotorischen Fähigkeiten führen. In der Studie hatte man die räumliche Anordnung der Nervenverbindungen in einer dieser Regionen des Hirnstamms (lateral rostral medulla – latRM) bestimmt und die Kommunikationswege nachgezeichnet, wobei man unterschiedliche Tätigkeiten einzelnen Gruppen von Nervenzellen zuordnen konnte. Einfachere Handlungen, wie etwa das Ausstrecken der Vorderpfote zum Futter, erfolgen über spezifische latRM-Nervennetzwerke, die direkt das Rückenmark ansteuern, während das Ausführen komplexerer Bewegungen, die auch die Finger mit einschliessen, also wie Greifen oder das Zum-Mund-Führen eines Futterstückchens, insbesondere solche latRM-Neuronen steuern, die mit Nervenzellen in anderen Arealen des Hirnstamms verknüpft sind. Für die Fingerfertigkeit sind diese internen Verbindungen und Netzwerke unentbehrlich, wobei die Nervenzellpopulationen im latRM-Bereich ganz spezifisch die Feinmotorik der vorderen Gliedmassen kontrollieren. Aber nur wenn die Nervenzellen der verschiedener Regionen des Hirnstamms erfolgreich miteinander kommunizieren, gelingen bei Menschen offenbar so komplexe und präzise Bewegungsabläufe wie das Werfen eines Balls, das Greifen nach einem Objekt oder das Schreiben.

    Bewegungsplanung und Bewegungsausführung

    Geplante und tatsächliche Bewegungen bzw. deren neuronale Aktivität sind im Gehirn schwer zu unterscheiden, denn beide äußern sich über sehr ähnliche neuronale Signale. Eriksson et al. 2021) haben eine neue Methode entwickelt, diese Impulse genauer zu differenzieren, und auch nachzuvollziehen, wie eine geplante Bewegung an der unmittelbaren Ausführung gehindert wird. Man zeichnete dabei die Aktivität einzelner Neuronen von Nagetieren in mehreren motorischen Arealen auf, und zwar während sich die Tiere frei bewegen, wobei sich zeigte, dass im sensomotorischen Cortex die neuronalen motorischen Planungsprozesse mit langsamerer Dynamik ablaufen als die bewegungsbezogenen Reaktionen. Bewegungsplanung und -ausführung entwickeln sich demnach im Gehirn gleichzeitig, aber auf unterschiedlichen Zeitskalen. Während also das Ausführen von Bewegungen auf schnellen neuronalen Veränderungen beruht, basieren Bewegungspläne auf langsamen neuronalen Veränderungen, wobei diese langsameren Planungsprozesse zudem durch einen Filter an der Weiterleitung an die Muskeln gehindert werden. Daraus lässt sich ein allgemeines Modell für die motorische Kontrolle ableiten, wobei man zudem vergleichen kann, wie etwa unterschiedliche Arten von Verhalten neuronal verarbeitet werden, etwa das Bewegen des gesamten Körpers oder nur einer Hand.

    Reptiliengehirn?

    Da der Hirnstamm der älteste und tiefliegenste Teil des menschlichen Gehirns ist und sich bereits vor etwa 500 Millionen Jahren im Laufe der Evolution entwickelt hat, erhielt er auf Grund dieser Basis für die Grundvoraussetzungen für das Leben eines jeden Wirbeltieres, da alle Wirbeltiere diesen Gehirnteil haben, bei allen nahezu gleich aufgebaut ist, und bei niederen Wirbeltieren wie den Reptilien sogar fast das gesamte Gehirn ausmacht, daher auch den Namen Reptiliengehirn.

    In ihrem Buch „Siebeneinhalb Lektionen über das Gehirn“ widerlegt Feldman Barrett diesen Neuromythos vom menschlichen Reptiliengehirn, das angeblich die Triebe des Menschen steuert, und zeigt, dass das menschliche Gehirn im Vergleich zu den Gehirnen anderer Spezies gar keine neuen Areale aufweist. Sie distanziert sich auch von der Vorstellung einer kreativen rechten Gehirnhälfte und der Tendenz, bestimmten Arealen einzelne kognitive Funktionen zuzuordnen, und stellt das Gehirn als Netzwerk dar, in dem Nervenzellen als flexible Knotenpunkte agieren und je nach Aufgabe und Erfahrung unterschiedliche Funktionen übernehmen können.

    Literatur

    Eriksson, D., Heiland, M., Schneider, A. & Diester, I. (2021). Distinct dynamics of neuronal activity during concurrent motor planning and execution. Nature Communications, doi:10.1038/s41467-021-25558-8.
    Ruder, Ludwig, Schina, Riccardo, Kanodia, Harsh, Valencia-Garcia, Sara, Pivetta, Chiara & Arber, Silvia (2021). A functional map for diverse forelimb actions within brainstem circuitry. Nature, doi:10.1038/s41586-020-03080-z.


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