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Psycholinguistik

    „Zudem braucht zum Beispiel der Sprachpsychologe Grundkenntnisse einiger Teile der Linguistik, die sich mit den Sprachsystemen befasst, weil er nur auf diese Weise das begriffliche Rüstzeug erhält, bestimmte sprachliche Prozesse und Prozessergebnisse von Individuen zu beschreiben beziehungsweise theoretisch zu bestimmen. […] Freilich müssen die Sprachpsychologen … nicht jedes ihrer Probleme mit Hilfe linguistischer Kategorien analysieren“ (Herrmann, 2005, S. 12).

    „Die Psycholinguistik ist die wissenschaftliche Disziplin, die beschreiben und erklären will, wie der Mensch Sprache erwirbt, hervorbringt und versteht. In dieser Disziplin arbeiten Vertreter verschiedener Fachrichtungen zusammen, zum Beispiel Linguisten, Psychologen, Mediziner, Philosophen, Neurowissenschaftler und Informatiker, die sich mit ihrer jeweiligen Spezialisierung und Perspektive ergänzen. Im Mittelpunkt stehen die mentalen Prozesse, die der Sprachverarbeitung zu Grunde liegen, ihre altersbezogene Entwicklung und Veränderung sowie ihre Verknüpfung mit z.B. „Denken“, „Wahrnehmung“ und „Motorik““ (Blanken, 2010).

    Die Psycholinguistik ist ein interdisziplinäres Forschungsgebiet der beiden Fächer Psychologie und Linguistik, die sich mit Sprache und anderen Gegenstandsbereichen, wie Sprachentwicklung, Sprachproduktion, Sprachrezeption, Sprachverarbeitung und Sprachstörungen auseinandersetzt (vgl. Wenninger, 2001, S. 341).

    „Erwähnt sei lediglich, daß [sic!] die Psycholinguistik es während einer bestimmten Periode ihrer Entwicklung als ihre Aufgabe ansah, durch Untersuchungen der Performanz (nur diese kann ja durch empirische Untersuchungen erfaßt [sic!] werden) die „psychologische Realität“ von Prozessen und Begriffen nachzuweisen, welche von der linguistischen Kompetenz-Theorie postuliert worden waren“ (Hörmann, 1991, S. 14).

    Psycholinguistik ist ein Gegenstandsbereich von der Erforschung der Sprachverarbeitung, das Verhältnis zwischen Sprache und Denken, der Spracherwerb sowie Sprachstörungen (vgl. Häcker & Stapf, 1998, S. 604).

    Beispiel für Forschung im Bereich der Psycholinguistik

    Erwachsene verarbeiten gesprochene Sprache auf getrennten Pfaden, denn einerseits werden Wörter  in einzelne Sprachlaute zerlegt, andererseits achten diese auf die Betonung der Silben. Obwohl gesprochene Wörter in ihre Sprachlaute und ihre Betonung zerlegt werden, nehmen erwachsene Hörer sie als Einheiten wahr, wobei sie in Bruchteilen einer Sekunde beide Pfade der Verarbeitung zusammenführen. In einer aktuellen Studie (Becker et al., 2017) konnte nachgewiesen werden, dass auch Säuglinge bereits mit drei Monaten gesprochene Wörter in Silbenbetonung und Silbenlaute zerlegen, doch können sie diese verschiedenen Pfade der Verarbeitung gesprochener Sprache aber erst am Ende des ersten Lebensjahres zusammenführen. Säuglinge können schon früh das Sprachsignal auf der Suche nach Wörtern zerlegen, doch sie müssen über die Zeit erst lernen, diese auch wieder zusammen zu setzen. Die Fähigkeit, die Betonung und die Sprachlaute zu verbinden zeigen die Säuglinge erst mit etwa neun Monaten, also nachdem sie bereits viele Wörter erkennen, und benötigen dann für das Zusammenführen der Sprachlaute und der Betonung nur geringfügig länger als Erwachsene. Offenbar sind schon Säuglinge sehr effiziente Zuhörer, was vermutlich evolutionäre Gründe hat, denn Sprache bildet eine Grundlage dafür, mit seiner Umwelt Kontakt aufzunehmen.


    Mollica & Piantadosi (2019) haben übrigens untersucht, wie viele Bits und Bytes das menschliche Gehirn für das Sprechen und Verstehen der Muttersprache benötigt. Für die Studie hat man einen eher groben Ansatz gewählt, der die nötige Datenmenge unabhängig von den verschiedenen Theorien zum Spracherwerb erfasst. Beginnend bei der kleinsten Einheit des Sprechens den Lauten oder Phonemen über die Wörter bis hin zur lexikalische Semantik mit Worthäufigkeit und Syntax ergab sich eine Gesamtsumme für das Englische etwa 12,5 Millionen Bits an Sprachdaten, was etwa 1,5 Megabytes entspricht. Umgerechnet auf digitale Datenspeicher passt daher das menschliche Sprachwissen eines Erwachsenen fast vollständig auf eine Floppy-Disk. Um dieses Sprachwissen anzusammeln, muss ein Mensch in den ersten achtzehn Lebensjahren im Schnitt ein- bis zweitausend Bits pro Tag allein für das Sprachlernen speichern und erinnern.

    Literatur

    Becker, A., Schild, U. & Friedrich, C.K. (2017). Tracking independence and merging of prosodic and phonemic processing across infancy. Developmental Science, Published online February 4 2017. doi: 10.1111/desc.12525.
    Blanken, G. (2010). Psycholinguistik.
    Online im Internet: WWW: http://www.uni-erfurt.de/psycholinguistik/ (2011-11-21)
    Häcker, H. & Stapf, K. (1998). Sprachpsychologie. Dorsch Psychologisches Wörterbuch. Bern: Verlag Hans-Huber.
    Herrmann, T. (2005). Sprache verwenden. Stuttgart:  Verlag Kohlhammer.
    Hörmann, H. (1991). Einführung in die Psycholinguistik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
    Mollica, Francis & Piantadosi, Steven T. (2019). Humans store about 1.5 megabytes of information during language acquisition. Royal Society Open Science, doi:10.1098/rsos.181393
    Weninger, G. (2001). Sprachpsychologie. Lexikon der Psychologie. Berlin: Spektrum Akademischer Verlag GmbH Heidelberg.


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