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Schlaf

    Wenn Schlaf keine absolut lebenswichtige Funktion hat,
    ist er der größte Fehler,
    der dem Evolutionsprozess je unterlaufen ist.
    Allan Rechtschaffen

    Gebt den Leuten mehr Schlaf – und sie werden wacher sein, wenn sie wach sind.
    Kurt Tucholsky

    Schlaf ist ein periodischer, natürlicher, reversibler Bewusstseinsverlust, im Gegensatz zu Bewusstseinsverlusten, die durch Koma, Narkose oder Winterschlaf hervorgerufen werden.

    Schlaf ist offenbar ein lebenswichtiges Bedürfnis, das Menschen zwingt, einen großen Teil ihres Lebens damit zu verbringen, wobei sie dann nicht in der Lage sind, mit ihrer Außenwelt zu kommunizieren. Aktuelle Erklärungsmodelle interpretieren die dabei so extreme Verletzlichkeit beim Schlaf als den Preis für ein optimales Lernen, denn Schlaf begrenzt externe Störungen bei der Speicherkonsolidierung und neuronale Systeme werden durch synaptisches Down-Scaling zurückgesetzt. Dennoch erzeugt das schlafende Gehirn weiterhin neuronale Reaktionen auf äußere Ereignisse und zeigt das Vorhandensein kognitiver Prozesse, die von der Erkennung vertrauter Reize bis hin zur Bildung neuer Gedächtnisrepräsentationen reichen. Man vermutet, dass die üblichen Schwellen in einen Standby-Modus treten, in dem sie weiterhin relevante Signale verfolgen und so die Notwendigkeit, die interne Speicherkonsolidierung mit der Fähigkeit, bei Bedarf schnell aufzuwachen, in geeigneter Weise ausbalancieren.

    Neuere Erklärungsversuche für den Sinn des Schlafes sind etwa, dass im Schlaf Schäden an der DNA (Doppelstrangbrüche) der Neuronen repariert werden und Abfallprodukte aus dem Gehirn transportiert werden, was beides im Tiefschlaf leichter möglich sein soll als während Wachzeiten, in denen aktives Denken gefragt ist.


    Kurioses: Dieses Forschungsergebnis fand sich übrigens in einer Zeitschrift unter dem Titel:

    Wenn Sie zu wenig schlafen, fängt Ihr Gehirn an, sich selbst aufzufressen


    Unbestritten ist, dass alle mit einem Nervensystem ausgestatteten Tiere, also Wirbeltiere wie auch Fliegen, Fadenwürmer oder Quallen schlafen und dass der Schlaf offensichtlich vor allem deren Nervensystem dient, um nachgewiesenermaßen Gedächtnisinhalte zu verfestigen. Die Reparaturthese basiert u. a. auf Experimenten an Zebrafischen, denn diese haben u. a. den Vorteil, dass sie als Larven durchsichtig sind, sodass man in alle Zellen hinschauen kann. Bei diesen Fische sind im Schlaf zwar ihre Körper ruhiger als im Wachzustand, doch die Chromosomen in den Zellkernen ihrer Neuronen bewegen sich schneller. Neuere Untersuchungen konnten übrigens zeigen, dass Schlaf kein absoluter Zustand des Gehirns ist, sondern dass die verschiedenen Schlafphasen zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns ablaufen, was dazu führt, dass Neuronen und Neuronenverbände in einigen Arealen des Gehirns noch elektrische Signale abfeuern, während andere stumm daneben liegen.

    Im Durchschnitt schlafen Österreicher sieben bis acht Stunden, doch nicht immer ist diese Phase auch erholsam, besonders dann nicht, wenn Menschen immer wieder von Sorgen geweckt werden. Psychosoziale Daueranspannung kann dazu führen, dass das Stresshormon Cortisol die Erholung beeinträchtigt, aber auch Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen können Schlafstörungen verursachen. Von einer echten Schlafstörung spricht man, wenn man dreimal oder häufiger pro Woche schlecht schläft und dieser Zustand länger als vier Wochen anhält.

    Nach neuesten Forschungen gibt es beim Einschlafen auch pulsierende Wellen in der Gehirnflüssigkeit, möglicherweise weil die Neuronen im Ruhezustand weniger Sauerstoff benötigen und deshalb Blut aus dem Kopf fließt. Bekanntlich arbeitet das glymphatische System am besten im Schlaf. Wenn dann das Blut aus dem Kopf austritt, sinkt der Druck im Gehirn und Liquor wird angesogen, um dieses Gefälle wieder auszugleichen. Diese Aktivität der Neuronen lässt im Alter nach, sodass bei älteren Menschen auch weniger Flüssigkeit durch das Gehirn pulsiert und sich mehr schädliche Proteine ablagern können.

    Manche Menschen schlafen bei Regen besser, denn Regen ist ein beruhigende sGeräusch, das sie besser einschlafen lässt, wobei der Schlaf meist auch intensiver ist. In der Frühgeschichte, als im Dunkel der Nacht nur die Geräusche der Natur zu hören waren, konnten die Menschen das sanfte Rauschen des Windes, das Fallen des Regens und die leiseren Geräusche kleiner Tiere und Insekten hören. Solche Geräusche waren keine Bedrohung und trugen daher dazu bei, die frühen Menschen zu entspannen. Hinzu kommt, dass an einem bewölkten oder regnerischen Tag mehr Dunkelheit herrscht und die Lichtquanten, die an das Gehirn gesendet werden, abnehmen, sodass die Epiphyse beginnt, Melatonin zu produzieren, und das bewirkt ebenfalls einen besseren Schlaf. Auch der Geruch des Regens und des nassen Bodens (dafür gibt es sogar einen eigenen Namen: Petricor) wirken für Menschen sehr beruhigend, wobei man diesen Geruch manchmal schon lange vor den ersten Regentropfen wahrnehmen kann. Der Petricor wird durch Regentropfen erzeugt, die mit dem Boden in Kontakt kommen und sich mit den Ölen der Bäume vermischen, die von Bodenbakterien produziert worden waren.


    Überschrift eines SPIEGEL-Artikels zum Thema:

    Entdeckung im MRT: Ist Schlafen große Wäsche fürs Gehirn?


    Übrigens benötigt nicht nur das menschliche Gehirn den Schlaf, denn so wird in dieser Zeit etwa auch die Verdauung koordiniert und das Immunsystem gestärkt. Bekanntlich lernt man Fahrradfahren und Klavierspielen in erster Linie in der Nacht, denn in dieser Zeit werden die bei Tage geübten Routinen erst verfestigt. Hinzu kommt, dass man in der Nacht auch all das, was man am Tag erlebt hat, verarbeitet werden muss, wobei vieles auch aussortiert wird, was dem Gehirn nicht nützlich erscheint.

    Studien haben übrigens auch gezeigt, dass Menschen, die chronisch zu wenig schlafen, empfindlicher auf Schmerzen reagieren und auch die psychische Belastbarkeit nimmt deutlich ab. Schon zwölf Tage mit jeweils nur vier Stunden Schlaf reichen aus, um unterschwellige Entzündungsprozesse entstehen zu lassen, denn ohne Schlaf hat das Immunsystem das Problem, dass der Aufbau der Killerzellen des Immunsystems bevorzugt nachts erfolgt. 50-jährige Männer, die regelmäßig nur fünf Stunden schlafen, haben ein doppelt so hohes Risiko für einen Herzinfarkt oder eine Herzattacke wie Gleichaltrige, die sieben bis acht Stunden schlafen.

    Auch die Fertilität wird beeinflusst, denn Untersuchungen haben gezeigt, dass die Erfolgschance bei Frauen, die sieben bis neun Stunden Schlaf pro Nacht haben, bei einer künstlichen Befruchtung um fünfzehn Prozent höher liegt.

    In einer Untersuchung (Li et al., 2022) der Daten von fast einer halben Million Erwachsener im Alter zwischen 38 und 73 Jahren, die in der UK Biobank, einer umfassenden britischen Datenbank, gesammelt wurden, wurden die Probanden zu ihrem Schlafverhalten, ihrer geistigen Gesundheit und ihrem Wohlbefinden befragt und nahmen außerdem an einer Reihe von kognitiven Tests teil. Für eine Gruppe von Teilnehmern standen MRT-Bilder des Gehirns sowie genetische Daten zur Verfügung. Die Analyse ergab, dass sowohl eine zu kurze als auch eine zu lange Schlafdauer mit einer verminderten kognitiven Leistung einhergeht, d. h. die entsprechenden Probanden waren bei den Tests langsamer und hatten eine geringere Aufmerksamkeitsspanne und schlechtere Problemlösungsfähigkeiten. Auch die psychische Gesundheit litt, denn sowohl Menschen mit zu viel als auch mit zu wenig Schlaf zeigten mehr Symptome von Angst und Depression und ein geringeres allgemeines Wohlbefinden. Es wird vermutet, dass eine Störung des Slow-Wave-Schlafs, der Teil des Tiefschlafs ist, ein möglicher Grund für die Verschlechterung der kognitiven Leistung sein könnte, da eine solche Störung mit einer Anhäufung von Beta-Amyloid-Molekülen verbunden ist. Diese Proteinablagerungen, die in großen Klumpen im Gehirn von Alzheimer-Patienten zu finden sind, stehen im Verdacht, zum Absterben von Nervenzellen beizutragen. Die Analyse der Gehirnscans ergab auch einen Zusammenhang zwischen Unterschieden in der Schlafdauer und Unterschieden in der Struktur von Gehirnregionen, die an der kognitiven Verarbeitung und dem Gedächtnis beteiligt sind, wie z. B. dem Hippocampus, der als Gedächtniszentrum des Gehirns gilt. Auf der Grundlage dieser Daten scheinen sieben Stunden Schlaf ohne größere Schwankungen für die kognitive Leistungsfähigkeit, das allgemeine Wohlbefinden und die geistige Gesundheit von Menschen mittleren und höheren Alters am idealsten zu sein. Obwohl die Studie keine Kausalität beschreibt, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass eine unzureichende oder übermäßige Schlafdauer ein Risikofaktor für den kognitiven Abbau im Alter sein könnte. Literatur

    Guter Schlaf fängt mit dem Frühstück an!


    Legendre et al. (2019) konnten zeigen, dass das schlafende Gehirn – die Experimente wurden während kurzer Schlafphasen während des Tages durchgeführt – sinnvolle Sprache im Vergleich zu irrelevanten Signalen durch einer Veränderung der Wellenstruktur verstärkt, wobei diese Verstärkung relevanter Reize jedoch vorübergehend ist und dann im Tiefschlaf wieder verschwindet. Offenbar trennt das menschliche Gehirn selbst im Schlaf Wichtiges von Unwichtigem, denn Probanden und Probandinnen regierten im Experiment kaum auf sinnloses Gerede, aber auf eine Stimme, die bedeutsame Inhalt geäußert hatte. Die Wirkung der Schlaftiefe konnte auf spezifische Schwingungen zurückgeführt werden, die relevante Informationen im leichten Schlaf fördern, während langsame Wellen relevante Signale im Tiefschlaf aktiv unterdrücken. So funktioniert die Auswahl der relevanten Reize auch im Schlaf weiter, wird aber durch spezifische Hirnrhythmen stark moduliert. Dieser Mechanismus ist evolutionär durchaus sinnvoll, denn relevante Signale in dieser Schlafphase verarbeiten zu können, bringt erheblichen Nutzen mit sich, etwa wenn ein rasches Wachwerden erforderlich ist.

    Siehe zu diesem Thema ausführlich den Hypertext „Der Schlaf“


    Der Weltschlaftag wurde 2008 von dem Weltverband für Schlafmedizin (WASM) ins Leben gerufen. Mit dem Tag möchte die WASM die Vorteile eines guten und gesunden Schlafes betonen und die Gesellschaft auf die Auswirkungen, sowie auf die Behandlung und Prävention von Schlafstörungen aufmerksam machen. Der Weltschlaftag findet jeden dritten Freitag im März statt, z. B. 2017 daher am 17. März.
    In Deutschland gibt es auch einen Tag des Schlafes, der 2000 vom Verein „Tag des Schlafes“ ins Leben gerufen wurde, um auf die Bedeutung des Schlafes aufmerksam zu machen, wobei der Aktionstag in Deutschland jährlich am 21. Juni stattfindet. In Österreich findet am 9. Mai 2019 zum ersten Mal ein Tag des Schlafes statt.


    Literatur

    Legendre, Guillaume, Andrillon, Thomas, Koroma, Matthieu & Kouider, Sid (2019). Sleepers track informative speech in a multitalker environment. Nature Human Behaviour. doi:10.1038/s41562-018-0502-5.
    Li, Yuzhu, Sahakian, Barbara J., Kang, Jujiao, Langley, Christelle, Zhang, Wei, Xie, Chao, Xiang, Shitong, Yu, Jintai, Cheng, Wei & Feng, Jianfeng (2022). The brain structure and genetic mechanisms underlying the nonlinear association between sleep duration, cognition and mental health. Nature Aging, doi:10.1038/s43587-022-00210-2.
    Stangl, W. (2022, 7. Mai). Sind sieben Stunden Schlaf ausreichend? Stangl notiert ….
    https:// notiert.stangl-taller.at/zeitgeistig/sind-7-stunden-schlaf-ausreichend/


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    2 Gedanken zu „Schlaf“

    1. In jeder Nacht durchläuft der menschliche Körper durchschnittlich vier bis sechs Schlafzyklen, wobei jeder Zyklus etwa 90 Minuten dauert und aus vier Phasen besteht:
      Phase 1 (eine bis fünf Minuten) ist der Übergang vom Wachzustand zum Schlaf und die Phase, in der sich der Herzschlag und die Atmung verlangsamen.
      Phase 2 (zehn bis 60 Minuten) ist die Phase des leichten Schlafs, in der sich der Herzschlag und die Atmung weiter verlangsamen.
      Phase 3 (20 bis 40 Minuten) wird als Tiefschlaf bezeichnet, weil es der tiefste Schlaf ist, den man während der Nacht erlebt, wobei sich die Frequenzen der Gehirnströme verlangsamen, und es schwierig ist, während dieser Phase aufzuwachen.
      Phase 4 (zehn bis 60 Minuten) ist der REM-Schlaf, also jene Phase, in der man die meisten Träume hat, wobei das Gehirn in dieser Phase besonders aktiv ist und die Augen sich schnell unter den Lidern bewegen.
      Zwar sind alle Schlafphasen wichtig, aber der Tiefschlaf ist für das optimale Funktionieren des Körpers und des Gehirns unerlässlich, wobei der Mensch etwa 13 bis 23 Prozent der Nacht im Tiefschlaf verbringt, also in einer durchschnittlichen Nacht sind das im besten Fall 55 und 97 Minuten.

    2. Schlafbedarf bei Kindern

      Man kann Kindern einen höheren Schlafbedarf nicht anerziehen oder antrainieren. Häufig wird der Schlafbedarf eines Kindes nicht richtig eingeschätzt, denn der Schlafbedarf eines Menschen, auch eines Kleinkindes, ist individuell und sehr unterschiedlich. Es gibt Erwachsenen, die benötigen zehn Stunden Schlaf, um sich gut zu fühlen, anderen reichen vielleicht schon sechs Stunden. Kinder, die wenig Schlaf brauchen, sind für die Eltern zumindest in den ersten Jahren deutlich anstrengender. Wenn ein Kind mit zwölf Monaten etwa insgesamt nur elf Stunden Schlaf braucht, mittags in der Kindertagesstätte aber schon ein, zwei Stunden geschlafen hat, wird es zu Hause nur noch neun oder zehn Stunden schlafen. Dann kann es zu Einschlafproblemen am Abend oder nächtlichen Wachphasen kommen oder dass das Kind morgens um 5 oder 6 Uhr schon wieder wach ist.

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