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Verfügbarkeitsheuristik

    Als Verfügbarkeitsheuristik (availability heuristicbezeichnet man in der Psychologie die Fähigkeit von Menschen, mit denen diese die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen je nach ihrer Verfügbarkeit in der Erinnerung behalten, d.h., wenn ihnen etwa schnell Beispiele einfallen – etwa weil sie spektakulär sind -, halten sie ein solches Ereignis für häufig.

    Die Verfügbarkeitsheuristik gehört in der Kognitionspsychologie zu den Urteilsheuristiken, die einfache Faustregeln darstellen, um Sachverhalte auch dann beurteilen zu können, wenn kein Zugang zu präzisen und vollständigen Informationen besteht.

    Bei der Verfügbarkeitsheuristik handelt es sich daher um eine Urteilsheuristik, die dann zum Einsatz kommt, wenn die Häufigkeit oder die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses bzw. einer Kategorie beurteilt werden soll, dem oder der Urteilenden jedoch die Zeit, die Möglichkeit oder der Wille fehlt, dafür auf genaue Daten zurückzugreifen. Um dennoch zu einem Häufigkeits- oder Wahrscheinlichkeitsurteil zu gelangen, erfolgt meist eine Schätzung danach, wie leicht man sich an entsprechende Beispiele dieses Ereignisses oder dieser Kategorie erinnern kann.  Die relative Wichtigkeit oder Häufigkeit von Ereignisse wird dabei vor allem dann falsch eingeschätzt, da es bei dem weniger häufigen besonders leicht gelingt, sich Beispiele davon ins Bewusstsein zu rufen. Das Problematische an einem solchen Vorgehen ist, dass es sich hierbei um eine illusorische Korrelation handelt, da die mentale Verfügbarkeit von Beispielen mit der tatsächlichen Häufigkeit eines Ereignisses nicht kausal zusammenhängt, sodass es in der Folge zu stark verzerrten Urteilen, Meinungen und Weltbildern kommt. Persönliche Erfahrungen besitzen eine deutlich höhere mentale Verfügbarkeit und wiegen deutlich schwerer als Erlebnisse, als die Erlebnisse anderer Personen, denn so wird etwa ein gerichtliches Fehlurteil, von dem man persönlich betroffen ist, das Vertrauen in das Justizsystem stärker untergraben als ein ähnliches Ereignis, das man jedoch nur den Medien entnimmt. Bei der Verfügbarkeitsheuristik ist daher nicht die Anzahl der Beispiele ausschlaggebend, sondern die Leichtigkeit, mit der entsprechende Beispiele einfallen.

    Die Verfügbarkeitsheuristik und andere kognitive Verzerrungen, die Daniel Kahneman und Amos Tversky schon in den frühen Siebzigern beschrieben, formt den gesellschaftlichen Diskurs. Es zählt bedauerlicherweise nicht zur Allgemeinbildung, dass häufige Berichterstattung über Kriminalität das Bedrohungsgefühl von Menschen erhöht, selbst wenn die reale Bedrohung objektiv belegbar mit Statistiken stetig abnimmt. Es ist heute zwar möglich – und zwar auf einfache Weise – zu wissen, dass viele Menschen in einer unnötig Furcht einflößenden Scheinwelt leben, doch es weiß trotzdem kaum jemand.

    Die relative Wichtigkeit oder Häufigkeit zweier Ereignisse wird vor allem dann falsch eingeschätzt, wenn es bei dem weniger häufigen besonders leicht gelingt, uns Exemplare davon ins Bewusstsein zu rufen. So überschätzen die meisten Menschen die Wahrscheinlichkeit eines Mordes oder eines Flugzeugabsturzes, weil sie in den Medien so überproportional gut mit Informationen darüber versorgt werden. Testpersonen schätzten z.B. die Anzahl englischer Wörter, die mit k beginnen, höher ein als die Anzahl englischer Wörter, die ein k als dritten Buchstaben haben. Letztere fallen einem nicht so leicht ein, sind aber doppelt so häufig. Das Versagen der normalerweise nützlichen Verfügbarkeitsheuristik passiert nicht nur aufgrund eines allgemeinen Erfahrungshintergrundes, sondern oft auch situationsabhängig: Wenn wir mit einer Sache gerade vor kurzem Kontakt hatten, ist sie uns geistig leicht zugänglich und wird als wichtiger oder häufiger eingestuft als ihr zukäme. Aus diesem Grund haben persönliche Begegnungen mit Menschen, die ihre Meinung äußern, so einen großen Einfluss auf unsere Entscheidungen, denn das Erlebnis der persönlichen Begegnung ist intensiv und ihr Inhalt deshalb besonders leicht verfügbar (Stangl, 2018).

    Vor allem bei Kaufentscheidungen bei einer großen Zahl von Produkten und Informationen, erweisen sich solche Heuristiken als helfender Anker. Anhand der Verfügbarkeitsheuristik wählt dann das Gehirn bei unterschiedlichen Auswahlmöglichkeiten eher jene Option aus, die Ähnlichkeit mit etwas hat, an das man sich schnell und einfach erinnert. Daher haben Marken einen großen Einfluss auf solche Kaufntscheidungen, denn Menschen mögen einfach Dinge, die sie kennen und befinden sie dadurch in der Regel auch für gut. Oft assoziieren Menschen mit einer bekannten Marke zusätzlich bestimmte Emotionen und ein bestimmte Gefühle, die ihnen in zahlreichen Werbespots vermittelt werden, sodass man damit dieses Lebensgefühl auch mit kauft. Letztlich basiert jede Kaufentscheidung auf einer Emotion, auch wenn viele Menschen immer noch glauben, sie würden aufgrund von rationalen Überlegungen und Fakten einen bestimmten Kaufentschluss fassen.

    Die Verfügbarkeitsheuristik besagt auch, dass menschliche Entscheidungen und Urteile von der kognitiven Verfügbarkeit bestimmter Informationen beeinflusst werden, wobei jene Informationen, die das Gedächtnis rasch und leicht abrufen kann, stärker gewichtet werden als solche, an die man sich nur vage oder gar nicht erinnern kann. Das Gedächtnis dient demnach als Filter für Informationen und entscheidet, ob eine Information eine aktuelle Entscheidung beeinflusst oder nicht. Dabei bewertet das menschliche Gehirn Informationen dann als besonders wichtig, wenn die Informationen aktuell sind, sie auffällig, spektakulär und emotionalisierend sind und wenn sie anschaulich und bildhaft sind. Studien haben gezeigt, dass vor allem die Gestimmtheit eines Menschen einen Einfluss darauf hat, wie eine Informationen abgespeichert und später dann erinnert werden. Ist ein Mensch etwa einer in positive Stimmung, erinnert er sich an die Information vor allem dann eher wieder, wenn er gerade ebenfalls eine positive Gemütslage hat (affektive Kongruenz). Daher gewichten Menschen aktuelle, aufwühlende und bildhafte Ereignisse und Informationen höher als jene, die solche Eigenschaften nicht aufweisen und beziehen in Folge dieses psychologischen Phänomens auch stärker in ihre Entscheidungen ein.


    Die Verfügbarkeitsheuristik steckt auch teilweise in der Corona-Krise etwa hinter der Angst vor Astrazeneca, denn angesichts eines so niedrigen Thromboserisikos müsste man den Impfstoff Astrazeneca eigentlich nicht fürchten. Doch nach Ansicht des Psychologe Peter Wiedemann sorgen mehrere psychologische Mechanismen dafür, dass das Gehirn bei der Bewertung von Risiken den Menschen ein Schnippchen schlägt. Jahrelang hat Wiedemann erforscht, auf welche Weise Menschen Risiken einschätzen. Zunächst orientieren sich Menschen an den eigenen Erfahrungen, , d. h., das Gripperisiko etwa bewertet man deshalb im Winter höher als im Sommer. Wenn aber die persönlichen Eindrücke fehlen, muss man auf Informationen zurückgreifen, wobei die meisten Risiken, die man als Laien einschätzen muss, medial vermittelt sind, d. h., sie sind informationsbasiert und nicht erfahrungsbasiert, sodass man sie eher überschätzt. Und man überschätzt sie umso häufiger, je mehr über diese Risiken berichtet wird, sodass man Informationen gemäß der Verfügbarkeitsheuristik einschätzt: Das, was man häufiger gehört hat, erinnert man eher und schätzt es in der Wahrscheinlichkeit auch höher ein. Einen Flugzeugabsturz etwa haben die meisten Menschen nie erlebt, aber Medien berichten breit über solche Katastrophen, während von den täglich tausenden Unfällen im Straßenverkehr es dagegen nur die schwersten in die Nachrichten schaffen. Entsprechend ist Flugangst stärker verbreitet als die Furcht vor einer Autofahrt, owohl statistisch gesehen mehr Menschen auf der Straße ums Leben kommen als in der Luft. Hinzu kommt, dass eine Information über bloße Zahlen nicht sehr eindrücklich ist, d. h., sie beeindruckt die Menschen nicht emotional. Wenn man hingegen Bilder und noch Geschichten dazu hat, also Einzelschicksale, dann hat das eine ganz andere Wirksamkeit, d. h., damit wird das Risiko präsenter, und wenn es präsenter ist, wird es auch als schlimmer bzw. auch als wahrscheinlicher eingeschätzt.


    Was passiert im Gehirn, wenn Menschen etwas kaufen?

    In Untersuchungen hat man entschlüsselt, was im Gehirn geschehen muss, damit Menschen ein Produkt kaufen oder nicht kaufen. Dabei konkurrieren vor allem zwei Zentren, der Nucleus accumbens und die Insula. Wird ein Produkt so präsentiert, dass es das Belohnungssystem, also den Nucleus accumbens aktiviert, kaufen es Menschen. Der Nucleus accumbens ist ein Kern in den Basalganglien, der dopaminerge, also auf Dopamin reagierende, Eingänge vom ventralen Tegmentum – ein Teil des Mittelhirns mit der Substantia nigra, der Formatio reticularis und des Nucleus ruber – bekommt. Der Nucleus accumbens wird mit Belohnung und Aufmerksamkeit, aber auch mit Sucht assoziiert. In der Schmerzverarbeitung ist er an motivationalen Aspekten des Schmerzes wie Belohnung, Schmerzabnahme sowie an der Wirkung von Placebos beteiligt. In der Insula findet die Schmerzverarbeitung statt, was auch für einen Preisschmerz gilt. Bei hohen Preisen ist die Insula aktiv und verhindert den Kauf, bleibt aber die Insula passiv, weil der Preis niedrig ist oder das Belohnungssystem so stark feuert, dass es den Schmerz überlagert, reift die Kaufentscheidung. In Untersuchungen hat sich deutlich gezeigt, dass je stärker der Nucleus accumbens und je weniger die Inselrinde aktiv waren, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass die Probanden und ProbandInnen ein Produkt kauften (Stangl, 2022).

    Literatur

    Schwarz, N., Bless, H., Strack, F., Klumpp, G. & al, e. (1991). Ease of retrieval as information: Another look at the availability heuristic. Journal of Personality and Social Psychology, 61(2), 195–202.
    Stangl, W. (2018). Typische Schlussfehler bei sozialen Interaktionen. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/DENKENTWICKLUNG/Schluss-Fehler.shtml (2018-09-24)
    Stangl, W. (2022, 31. Mai). Was passiert im Gehirn, wenn Menschen etwas kaufen? Stangl notiert ….
    https:// notiert.stangl-taller.at/zeitgeistig/was-passiert-im-gehirn-wenn-menschen-etwas-kaufen/
    Tversky, Amos & Kahneman, Daniel (2005). Judgment under uncertainty: Heuristics and biases (S. 251-258). In Max H. Bazerman (Ed.). Negotiation, decision making and conflict management. Northampton, MA: Edward Elgar Publishing.
    http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/aktion-deutschland-spricht-reden-hilft-tatsaechlich-a-1229416.html (18-09-24)
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/verzerrte-risikowahrnehmung-was-hinter-der-irrationalen.976.de.html?dram:article_id=496090 (21-04-23)
    https://www.lajkonik-content.de/verkaufspsychologie/verfuegbarkeitsheuristik/ (21-04-23)


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