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Geschlechtsrolle

    Die Geschlechtsrolle – auch Geschlechterrolle  bzw. gender role – definiert in der Psychologie die gesellschaftliche Erwartungen an das Verhalten von Männern und Frauen. Damit werden Verhaltensweisen gemeint, die in einer Kultur für ein bestimmtes Geschlecht als typisch oder akzeptabel gelten und Individuen zugewiesen werden, oder die Verhaltensweisen eines Individuums, die dieses mit seiner Geschlechtsidentität in Verbindung bringt und bzw. oder mit denen es seine Geschlechtsidentität zum Ausdruck bringen will. Heute wird soziologisch und psychologisch zunehmend Geschlecht und Gender nicht mehr gleichgesetzt, um die kulturell und gesellschaftlich vorgegebenen Geschlechterrollen von den biologischen Gegebenheiten zu unterscheiden.

    Bisher sind keine Kulturen ohne Geschlechterrollen bekannt, wobei der kulturelle Aspekt der Geschlechtsrollen sehr breit gefächert ist. Geschlechtsrollen sind historisch entstanden und einem ständigen Wandel unterworfen, lediglich die unterschiedlichen biologischen Rollen von Frauen und Männern bei der Fortpflanzung wurden bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts nicht in Frage gestellt. Seitdem die Medizin hier die Möglichkeiten bietet, diese biologischen Rollen teilweise zu verändern, wird dieser Teil der Geschlechtsrollen ebenfalls diskutiert.

    In der Entwicklungspsychologie geht man davon aus, dass der Prozess der sich bildenden Geschlechtsidentität von der Umwelt maßgeblich beeinflusst wird. So erleben Kinder aufgrund ihrer Geschlechts bereits von Geburt an unterschiedliche Verhaltensweisen ihnen gegenüber, die sie wiederum in Interaktionen mit ihrer Umwelt verstärken oder abschwächen, und die sie zu einer frühen, wenn auch unbewussten und nicht steuerbaren Selbstkategorisierung veranlassen. Aber auch das Kind beeinflusst durch sein Verhalten den geschlechtsabhängigen Umgang seiner Eltern mit ihm, die je nach Ausmaß und aktiver Teilnahme des Kindes zu einer ersten Aneignung von Geschlechtsidentität führt. Die von Außen erfolgende Geschlechtszuweisung des Kindes löst eine Reihe von Erwartungen aus, die in die Entwicklung seines Selbst einfließen. Die durch die Eltern vermittelte Vorstellung von Geschlecht steht im Gegensatz zur Aneignung der Geschlechtsrolle, die sich durch eine kontinuierliche Entwicklung und Dynamik sowie dem subjektiven Erleben des eigenen Geschlechts in Interaktion mit anderen herausbildet. Schon früh sind Kinder in der Lage, geschlechtsspezifische Unterschiede wahrzunehmen und nach männlich und weiblich zu kategorisieren. So können sie ab etwa dem dritten Lebensmonat Stimmen und ab dem neunten Monat Gesichter von Frauen und Männern unterscheiden und diese zuordnen. Mit Beginn des zweiten Lebensjahrs treffen Kindern eine generelle Unterscheidung zwischen männlich und weiblich und können Verhaltensweisen auf ein Geschlecht zurückführen. Sie selbst sind sich ihrer Geschlechtszugehörigkeit aber noch nicht bewusst und gebrauchen im Alltag Mann und Frau als Kategorien wie beispielsweise Tier und Spielzeug.

    Gender aus der Sicht der Primatologie

    Nach Ansicht des niederländisch-amerikanischen Primatologen Frans de Waal lässt sich Gender nicht losgelöst von der Biologie betrachten, denn Menschen haben einen Gender-Dualismus haben, weil es hauptsächlich zwei biologische Geschlechter gibt, auch wenn es seiner Ansicht nach sehr sinnvoll ist, über Gender und den kulturellen Einfluss darauf zu sprechen. Menschen sind nun einmal Tiere, die sich gegenseitig beeinflussen, was ein Produkt der Kultur dasstellt. Außerdem kann man bei anderen Primaten ebenfalls von Gender sprechen, denn Schimpansen und Bonobos sind erst mit 16 erwachsen und bis dahin müssen sie viel lernen. Auch Menschen sammeln über Jahre Erfahrungen, um kompetente Erwachsene zu werden und auch Primaten schauen sich Verhalten von ihren Artgenossen ab. Manches davon ist praktisch, wie etwa Nahrungsvorlieben oder wie man Feinden entkommt, doch sie lernen ebenso, wie man sich als Affenfrau oder Affenmann verhält, also auch sie stehen unter kulturellem Einfluss. Laut Untersuchungen schauen sich Primatenmädchen mehr von ihren Müttern ab und Jungen mehr von den männlichen Gruppenmitgliedern um sie herum, betreiben also eine Form der Selbstsozialisation. So essen Orang-Utan-Mädchen im Dschungel exakt das Gleiche wie ihre Mütter, während die Söhne hingegen Dinge zu sich nehmen, die ihre Mutter niemals anrühren würde, d. h., sie orientieren sich an dem, was den erwachsenen Männern schmeckt. Offenbar verfügen die Tiere über eine angeborene Geschlechtsidentität, denn damit sich Affenmädchen an den weiblichen Individuen orientieren und Affenjungen an den männlichen, müssen sie wissen, wer sie sind. Jeder Mensch wird mit einer Genderidentität geboren, bis auf die wenigen, die intersexuell auf die Welt kommen, und diese Identität ermöglicht den Prozess der Selbstsozialisation, sodass viele kulturelle Effekte von Gender übertragen werden (Lorenzen, 2023).

    Die Geschlechtsrolle in der christlichen Tradition

    Nach Schurig (2016) ist die Perzeptionen der Geschlechter im christlichen Glauben noch immer stark an biblische Überlieferungen geknüpft. „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie“, so heißt es in Genesis 1,2731. Ursprünglich werden Mann und Frau im Alten Testament als gleichwertige Wesen dargestellt, deren eheliche Gemeinschaft auf Liebe und Achtung basiere. Die Vorstellung einer geschlechtlichen Rollenverteilung im Christentum wird des Öfteren als monolithisch betrachtet. Neueren Erkenntnissen nach nehmen Frauen allerdings schon in urchristlichen Gemeinden wichtige soziale Funktionen als Apostelinnen, Missionarinnen, Prophetinnen oder Lehrerinnen ein, wobei die Zuschreibung einer aktiven und passiven Rolle im Alten Testament keineswegs geschlechtsspezifisch ist. Die Identifikation von Frau und Sünde (meist noch verbunden mit Sexualität und Leiblichkeit) stammt somit nicht aus den Genesistexten, sondern ist das Produkt einer tendenziösen Interpretation, die von der christlichen Tradition, besonders von asketischen Kreisen, übernommen und ausgebaut wurde. Dennoch wird im Buch Levitikus von der Unreinheit bei dem Mann in Form von Körperausflüssen und der Frau in Form von Blutfluss gesprochen. Damit wird der Frau bis zu ihrer Menopause eine kontinuierliche Unreinheit zugeschrieben („Einer Frau, die wegen ihrer Regel unrein ist, darfst du dich nicht nähern, um ihre Scham zu entblößen“, Lev. 18,19). Hier zeichnet sich bereits das für Frauen verhängnisvolle Zusammenspiel von Sexualität und Macht, z. B. in Form kultischer Disqualifizierung ab, das bis heute in der katholischen Kirche das Bild der Frau vielfach dominiert.

    Mit der Höherbewertung des Neuen Testaments verändert sich auch das herrschende Geschlechterverhältnis, das oft zur Zementierung männlicher Herrschaft bzw. Überlegenheit missbraucht wird. Der Mann solle seine Frau lieben und nicht hassen, während die Frau hingegen weder lehren, noch über ihren Mann herrschen dürfe. Hier stehen Altes und Neues Testament im Widerspruch zueinander. Mit der biblischen Erzählung vom Sündenfall im Paradies wurden Adam und Eva zum christlichen Sinnbild für Männlichkeit und Weiblichkeit. Eva, verführt durch die Schlange, wird in den Apokryphen selbst zur Verführerin erklärt. In frühzeitlichen Schriften und der Kunst finden sich häufig die Antithesen Adam-Christus und Eva-Maria in Form von Sünde und Erlösung. Die übersteigerte Idealisierung der Jungfrau Maria führte zur Identifikation aller anderen Frauen mit der sündhaften Eva und prägte das christliche Frauenbild. Durch diese Interpretationen des Sündenfalls manifestieren sich geschlechtsspezifische Zuschreibungen der Frau mit Unheil, Verführung, Fleischlichkeit, Sünde, Schwäche und Sexualität und des Mannes mit Geist, Stärke und Standhaftigkeit. Im Gegensatz dazu kennt etwa die jüdische Theologie den Begriff der Erbsünde nicht, sodass dort eine Zuordnung der Frau zu einer negativen Eva-Figur gar nicht entstehen kann. Zuweilen kam es innerhalb christlich-theologischer Debatten sogar vereinzelt zu der Frage, ob Frauen überhaupt als Menschen betrachtet werden könnten.

    Literatur

    Lorenzen, A. (2023). Gender lässt sich nicht losgelöst von der Biologie betrachten.
    WWW: https://www.spektrum.de/news/interview-was-koennen-uns-andere-primaten-ueber-gender-lehren/2105292 (23-02-12)
    Schurig, S. (2016). Geschlechterkonstruktionen in der Geographie – Eine Diskursanalyse deutschsprachiger wissenschaftlicher Fachlehrbücher zwischen 1990 und 2015. Masterarbeit Universität Bern.
    Wagner, D. (2018). Geschlechtsidentität und Geschlechterrollen – Jungen und ihre Bezugspersonen im Sozialisationsprozess.
    WWW: https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/psychologie/2294 (18-12-14)
    https://de.wikipedia.org/wiki/Geschlechterrolle (11-03-23)


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