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Bildungsbürgertum

    Als Bildungsbürgertum oder Bildungsbürger wird idealisierend jene mehr oder minder einflussreiche Gesellschaftsschicht bezeichnet, die humanistische Bildung, Literatur, Wissenschaft und Engagement in Staat und Gemeinwesen für wichtig erachtet und diese pflegt. Das europäische insbesondere deutsche Bildungsbürgertum entstand Mitte des 18. Jahrhunderts vor allem unter evangelischen Pfarrern, Professoren, Ärzten, reichen Kaufleuten und leitenden Beamten. Seit dem 18. Jahrhundert begann sich die diesem Begriff innewohnende Verbindung von schöngeistigem Bildungsideal und bürgerlicher Leistungsethik als Orientierungsgröße zu etablieren, und büßte erst parallel zum Niedergang der bürgerlichen, an Staat und Demokratie geknüpften Form des Kapitalismus, seinen Glanz sukzessive wieder ein.

    Bis zum Beginn des ersten Weltkriegs lässt sich innerhalb der deutschen Gesellschaftspyramide das Bildungsbürgertum noch als eine informelle Schicht begreifen, die hinsichtlich Erziehung, Einkommen, Interesse und kultureller Anstrengung eine gehoben kleinbürgerliche Elite bildete, insbesondere neben anderen und auch machtvolleren Eliten in Administration, Wirtschaft und Militär. Sie umfasste Menschen mit zumeist akademischer Ausbildung und Berufsausübung, sie las Bücher, besuchte Konzerte, unterhielt Salons, unterstützte die Künste und bestimmte auf solche Art das allgemeine kulturelle Klima.

    Das Bildungsbürgertum ist eine soziologisch schwer fassbare Gruppe, den ihr fehlt die genaue soziale Kontur, wobei es ziemlich verbreitet ein bestimmtes Bürgertum gibt, ohne selbst im Ansatz vorhandene kulturelle Interessen und Aktivitäten tatsächlich zu besitzen. Andere Länder wie z. B. Frankreich oder Russland kennen den Begriff überhaupt nicht, denn hier existiert etwa eine Bourgeoisie bzw. eine Intelligentsia, die aber letztlich ein anderes Bedeutungsfeld haben.

    Für den klassischen Bildungsbürger ist Bildung vor allem der Maßstab für die Beurteilung des Zustands der Entwicklung anderer Individuen, ob diese den Stand der Anpassung an die Werte oder Ideale, an die Lebenswerte der bürgerlichen Elite erreicht haben, wie weit sie sich angepasst und in diese integriert hat und von daher gesellschaftliches Humankapital darstellen. Dieses Bürgertum begreift sich als Inhaber des menschlichen Geistes überhaupt, ohne dies anders erweisen zu müssen, als durch Zitierung des gegebenen Humanwissens, das es durch Wissens- und Literaturkonsum erworben hat und hieraus seine Freiheit ableitet.

    Der Bildungsbürger lässt sich auch dadurch charakterisieren, dass er sich mit den Bedingungen des, den aktuellen Machtverhältnissen geschuldeten, schlechten Lebens arrangiert, aber nicht müde wird, immer und immer wieder über das gute Leben zu sinnieren. Seiner Sehnsucht nach dem guten Leben nimmt er die Brisanz, indem er sie in bürgerlicher Kunst und Kultur und in intellektuell-kritischer Auseinandersetzung mit den Inhumanitäten dieser Welt neutralisiert. Das bildungsbürgerliche Credo lautet etwa, dass, je höher der Grad an humanistischer Bildung, umso höher wäre auch das moralische Bewusstsein ausgebildet und umso sicherer würde sich die soziale Kompetenz des Individuums als vergesellschaftetes Wesen von selbst einstellen. Bildungbürger leben somit von den idealisierten Bildern, die eine Kultur von sich aus den Verallgemeinerungen ihrer Selbstwahrnehmungen entwirft und im Großen und Ganzen wie ein ganz gewöhnliches Selbstverständnis aus dem Kulturkonsum beziehen, den sie meist schon weit hinter sich gelassen haben. Es sind Menschen, die meist sogar in äußerst kleinbürgerlichen Verhältnissen leben und ihre Lebenseinstellungen an den öffentlichen Institutionen und Medien bzw. aus der Propaganda für eine heile Welt ausrichten.


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