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Architekturpsychologie

    Erst formen wir unsere Gebäude,
    dann formen diese uns.
    Winston Churchill

    Architekturpsychologie ist ein Teilgebiet der Psychologie, das untersucht, wie die gebaute Umwelt im weitesten Sinne das menschliche Erleben und Verhalten beeinflusst. Hierzu greife ArchitekturpsychologInnen auf das theoretische und methodische Fundament der allgemeinen Psychologie zurück, also auf gut fundierte Erkenntnisse über die menschliche Wahrnehmung, das soziale Miteinander, über Emotionen und Motivationen, Lernprozesse usw. Aus diesen allgemeinen Theorien leiten sie dann Hypothesen ab, die sie auf konkrete architektonische und städtebauliche Fragestellungen anwenden. Auf der Grundlage der jeweiligen individuellen Vorerfahrungen, des Wissens, der Einstellungen und Bedürfnisse nehmen Menschen Architektur individuell unterschiedlich wahr, was bei Architektur nicht anders ist als etwa bei der Mode oder der Kunst. Das Entscheidende ist, dass es bei aller individuellen Unterschiedlichkeit doch auch bestimmte Regelhaftigkeiten und Tendenzen gibt, die sich statistisch verlässlich nachweisen lassen und es deshalb ermöglichen, Empfehlungen zu geben, die dazu führen, dass eine Gestaltung positiver wahrgenommen wird bzw. besser genutzt werden kann oder stärkeres Wohlgefühl erzeugt. Da in den meisten Fällen Gebäude von einer sehr großen Anzahl unterschiedlicher Menschen genutzt bzw. wahrgenommen wird, ist eine durchschnittsbezogene Betrachtungsweise sinnvoll, wobei es natürlich wichtig ist, dass man vorher genau analysiert, für welche Personengruppe ein Gebäude gedacht ist und dies zur Grundlage der Überlegungen macht.

    Erste Überlegungen dazu, welche Rolle der Raum und die Architektur für unser Empfinden und Wohlergehen spielen, gab es schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts, und erhielt einen großen Schub dann aber in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, vornehmlich in den angelsächsischen Ländern, also den USA, England, aber auch in Australien. Zu dieser Zeit erlebte die moderne Architektur ihre erste große Krise, und aus der Kritik an den Folgen des modernen Städtebaus heraus ergab sich eine Hinwendung zu den Sozial- und Verhaltenswissenschaften, neben der Psychologie auch zur Soziologie und zur Humangeographie.

    Menschen verbringen bekanntlich den größten Teil ihrer Lebenszeit in einem künstlichen Umfeld, das andere Menschen unter bestimmten Gesichtspunkten entworfen haben. Nach Ansicht von ExpertInnen und nach zahlreichen Untersuchungen gibt es einen Zusammenhang zwischen der Architektur von Gebäuden und der Gesundheit der Menschen, die in ihnen wohnen oder arbeiten. In den meisten Fällen werden Gebäude aber nicht speziell auf deren Bedürfnisse zugeschnitten, sondern wurden vor langer Zeit für andere oder für überhaupt keine konkreten, sondern abstrakte, lediglich vorgestellte BenutzerInnen konzipiert. Wie wirken Räume, Gebäude, Straßen, Städte auf Menschen? Wie nehmen Menschen die gebaute Umwelt wahr und wie beurteilen sie diese? Wie können Nutzer an der Planung beteiligt werden? Wie vermitteln Architekten ihre Konzepte, wie erläutern sie die Qualität der Architektur? Solche Fragen nach der Wirkung und Bedeutung „gebauter Umwelten“ auf die Menschen, die sich darin aufhalten, sind eine Domäne der Architekturpsychologie, die z. B. erst in den 50er und 60er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts mit Frage begann, wie etwa psychiatrische Krankenhäuser so geplant werden können, dass ihre architektonischen Eigenschaften die therapeutische Arbeit mit den Patienten unterstützen.

    Schon bald begann man sich in der Architekturpsychologie, sich auch mit allgemeinen Fragen zur Beziehung zwischen Räumen, Gebäuden, Stadtteilen auf der einen und menschlichem Erleben und Verhalten auf der anderen Seite zu beschäftigen: Was bindet Menschen an ihre Wohnumgebung, welche Wirkungen hat es, wenn jemand seine Heimat verlassen muss? Gibt es bei Menschen analog zum tierischen Territorialverhalten eine Tendenz, bestimmte Gebiete für sich zu beanspruchen, als eigene zu markieren und gegen Eindringlinge zu verteidigen? Macht das Leben in lauten, hektischen und anonymen Großstädten krank? Wie wirkt es sich auf die Beziehungen in einer Familie aus, wenn die Wohnung deutlich zu klein ist?

    Forschungsprogramme mit architekturpsychologischem Schwerpunkt, Konferenzen und Kongresse und die Gründung von Fachzeitschriften und -gesellschaften in den USA und Europa um das Jahr 1965 herum markieren den Beginn der Architekturpsychologie als eigenständiges Fachgebiet. Das Fach Architekturpsychologie bzw. Wohnpsychologie entstand zunächst als Teilgebiet der Umweltpsychologie.

    Architekturpsychologen greifen bei ihrer Forschung auf sozialwissenschaftliche Methoden zurück, d.h., sie führen Interviews mit Angehörigen der Nutzergruppen, veranstalten Rollenspiele und moderieren Diskussionsforen, analysieren bereits existierende Gebäude auf deren Funktionen, d.h., zu erfassen, wie ein bereits fertiges Gebäude bei den Nutzern ankommt, ob es seine vorgesehenen Funktionen erfüllt und ob sich die Menschen darin wohl fühlen (Post-Occupancy-Evaluation).

    Hinzu kommen spezifisch architekturpsychologische Methoden wie die Simulation von Entwurfsalternativen am Computer oder mit Pappmodellen, oder auch die aufwändige Verhaltenskartografie, bei der in Lageplänen protokolliert wird, wie sich die Nutzer in ihrem Wohnalltag durch das Gebäude bewegen. Neben der rein funktionalen Perspektive, welche Tätigkeiten im zu entwerfenden Gebäude zu erwarten sind, achtet der Architekturpsychologe auch auf das soziale Miteinander und das subjektive Befinden der BewohnerInnen.

    Heute werden die Bedürfnisse der Nutzer noch vor dem ersten Rohentwurf des Architekten erhoben (User-Need-Analysis) und diesem in systematisierter Form als Planungshilfe an die Hand gegeben, doch auch bereits angefertigte Entwürfe können noch vor Beginn der Bauarbeiten im Hinblick auf ihre wahrscheinlichen Wirkungen auf die Nutzer bewertet werden (Pre-Occupancy-Evaluation). Allerdings weiß man aus der Psychologie ganz allgemein, dass Menschen für ihr Wohlbefinden zumindest die potentielle Möglichkeit brauchen, ihre Umwelt zu beeinflussen und mitgestalten zu können. Die architekturpsychologische Grundlagenforschung arbeitet daher auch an der Ermittlung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten des Wechselspiels von Mensch und künstlicher Umwelt. Originär psychologischen Faktoren führen zwar zu höherem Wohlbefinden, höherer Zufriedenheit und vielleicht auch zu Produktivität und einem besseren Miteinander, nicht aber zu Gesundheit und Krankheit auf individueller Ebene. So ist kritisch zu sehen, dass die derzeit entstehenden großflächigen innerstädtischen Erweiterungsgebiete, und das, was an den Rändern der Städte und Dörfer entsteht, auch langfristig keine guten lebensweltlichen Qualitäten erschafft, z.B. weil immer noch Strukturen entstehen, die auf den Autoverkehr ausgerichtet sind, Plätze und öffentliche Räume mit wenig Aufenthaltsqualität schaffen und wenig sozialen Zusammenhalt erwarten lassen. Es geht also eher um Auswirkungen auf das soziale Miteinander und auf ökologische Zusammenhänge.

    *** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Man hat in der Architekturpsychologie etwa herausgefunden, dass zwar die meisten Häuser nur teilweise oder kaum den psychischen Grundbedürfnissen ihrer Bewohner entsprechen, doch wenn man die Menschen nach der Wohnqualität ihrer vier Wände fragt, äußern sie sich dennoch meist zufrieden. Das liegt daran, dass Menschen dazu neigen, ihre Wünsche und Erwartungen allmählich an die Realität und üblichen Standards anzupassen, wobei es sich um eine Dissonanzreduktion handelt.

    Im Hinblick auf die Architektur haben Menschen einige ganz fundamentale Bedürfnisse, die sich nach Deinsberger-Deinsweger (2016) in sechs Kategorien einteilen lassen:

    • Schutzbedürfnisse waren von je her unmittelbar mit baulich konstruktiven Maßnahmen verbunden, wenn es beispielsweise um den Schutz vor Unwetter, vor Tieren oder Personen geht. Dies stellt auch jene Bedürfnisgruppe dar, die am stärksten im Bewusstsein der Menschen verankert ist und daher nahezu selbstverständlich in jedem Wohnbau umgesetzt wird.
    • Anhand der Kontaktbedürfnisse wird die Multidimensionalität in der Mensch-Umwelt-Beziehung besonders deutlich erkennbar. So steht der Begriff Kontakt in diesem Kontext stellvertretend für die Vielzahl an Austausch- und Interaktionsprozessen zwischen dem Menschen und seiner physischen wie sozialen Umwelt, beispielsweise für die Wahrnehmung (sensorischer Kontakt), Kommunikation (sozialer Kontakt), Metabolismus (physiologische Austauschprozesse).
    • Bedürfnisse nach Kontrolle, z.B. durch Entscheidungsmöglichkeiten: Je mehr Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung stehen, desto eher kann eine Situation mitbestimmt werden. Ein Mangel an Regulationsmöglichkeiten kann Unbehagen auslösen wie Stress, Angst, Reaktanz, Resignation u.a.
    • Dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Wahlfreiheit kann im Wohnbaukontext mit einem entsprechenden Angebot an Selektions- und Modifikationsmöglichkeiten entsprochen werden.
    • Der Mensch hat auch zyklisch wechselnde Aktivitäts- und Passivitätsbedürfnisse: Handlung, Entspannung und ungestörter Schlaf müssen im Wohnbereich möglich sein.
    • Kinder wie Erwachsene haben ein Bedürfnis nach Wachstum, Weiterentwicklung, Selbstverwirklichung, Selbstwirksamkeit, Identität, Kompetenz, Sinnerfüllung. Wieviel Entwicklung dieser Art lässt der Wohnbereich zu?
    • Unter dem Begriff Kongruenzbedürfnisse subsummiert man körperliches Wohlbefinden, Behaglichkeit, Bequemlichkeit, gute Nutzbarkeit, Aufwandsminimierung, Hindernisfreiheit, Ästhetik, Übereinstimmung mit eigenen Wertvorstellungen und Möglichkeiten der Selbstdarstellung.

    Wohnpsychologisches Wissen wird nach Deinsberger-Deinsweger (2016) in der Bauwirtschaft regelhaft ignoriert, sodass immer wieder ganze Wohnprojekte auf Grund wohnpsychologischer Defizite scheitern. Dies sind nicht nur Wohnobjekte, die sich durch Leerstände oder häufige Mieterfluktuation kennzeichnen, sondern auch Anlagen, die Vandalismus, Einbruch, Diebstahl, Verwahrlosung und dergleichen scheinbar anziehen. Bei näherer Analyse sind diese Hintergründe meist klar analysierbar und wohnpsychologisch erklärbar. Hinzu kommt, dass neben diesen offensichtlichen und größeren Folgeschäden falscher wohnpsychologischer Planung viele kleinere menschliche Schäden wie beeinträchtigte Beziehungen, Verhaltensauffälligkeiten, Gereiztheit, Angespanntheit, innere Unruhe, Unwohlsein, unbestimmte Angstzustände, dienicht unmittelbar mit wohn- und archtekturpsychologischen Problemen in Zusammenhang gebracht werden können.

    Gestaltung des Wohnraums als menschliches Bedürfnis

    Die Gestaltung, Aneignung und Personalisierung von Räumen ist nach Ansicht des Wohnpsychologen Harald Deinsberger-Deinsweger (Gründer und Vorstand des Instituts für Wohn- und Architekturpsychologie (IWAP) in Graz), ein menschliches Bedürfnis, wobei dieser Prozess eins zu eins mit der emotionalen Ortsbindung einhergeht und damit, ob und wie Menschen sich in ihren Räumen zu Hause fühlen können, denn das erhöht tendenziell auch die Wohnzufriedenheit. Die Wohn- und Architekturpsychologie erforscht, wie die gebaute Umwelt auf den Menschen und sein Denken, Fühlen und Handeln Einfluss nimmt, wobei das Wissen aus verschiedenen Disziplinen der Psychologie mit Wissen aus technischen und planenden Fachgebieten (u. a. Innenraumgestaltung, Städtebau, Raumplanung) verbunden wird. Dabei braucht das menschliche Gehirn brucht Nahrung, um gut funktionieren zu können, und diese Nahrung sind Stimuli von außen, die über die Sinnesorgane empfangen werden. Wenn ein Raum wenig Stimuli aufweist – etwa ein kahles Wohnzimmer mit weißen Wänden – ist das ein Mangel an Nahrung für das Gehirn, wobei diese Erkenntnis im Gegensatz zur weitverbreiteten Vorstellung steht, dass ein karges Umfeld eher zur Erholung beiträgt, was höchstens kurzfristig stimmt.

    Denn mit der Zeit – etwa nach ein bis zwei Stunden – kann dieser sensorische Mangel Symptome wie leichte innere Unruhe, Unwohlsein bis hin zu Gereiztheit und Konzentrationsstörungen auslösen. Es ist auch ein Irrglaube, dass Farben wie Grau und Weiß eine ruhige Atmosphäre schaffen, denn sie wirken auf Dauer eher beunruhigend, wenn nicht auch andere sinnlich wirksame Elemente im Raum vorhanden sind. Völlig anders sind die Wirkungen, wenn man sich über Stunden, Tage oder Jahre in einem Raum aufhält, denn einerseits gibt es die direkte, affektive Wirkung, die dem Menschen meist bewusst ist, weil er sofort spürt, ob er sich in einem Raum wohlfühlt. Der Mensch konzentriert sich meist auf die augenblickliche Wirkung, dafür ist sein Wahrnehmungssystem ausgelegt, aber der Großteil der Wirkungen spielt sich auf der unbewussten Ebene ab.

    Wie kann man nun für ein ausreichendes Reizniveau sorgen? Ersteres lässt sich mit Licht relativ einfach umsetzen, denn wechselnde Lichtsituationen schaffen unterschiedliche Stimmungen, die man seiner momentanen Stimmung anpassen kann, indem man zum Beispiel einzelne Wände oder den ganzen Raum beleuchtet. Beim Thema Vielfalt bietet die Natur eine gute Orientierung, denn Naturwahrnehmungen wie Pflanzen, Holz und Wasserelemente wirken sich positiv auf den Menschen aus, da sich das menschliche Gehirn evolutionär in einer natürlichen Umgebung entwickelt hat. Das Reizniveau, das die Natur bietet, ist in der Regel dasjenige, an das das Gehirn angepasst ist und am besten funktioniert, denn die Natur wirkt einerseits entspannend und beruhigend, andererseits stimulierend, hat also eine paradoxe Doppelfunktion. Denn beim Wohnen geht es stets um einen langfristigen Horizont, denn man hält sich dort ja Jahre oder sogar Jahrzehnte auf, sodass es wichtiger ist, sich mit dem gestalteten Raum identifizieren zu können, wobei es Leute gibt, die trauen sich nicht drüber, eine Wand mit einer anderen Farbe anzumalen.

    So ist die Schaffung einer persönlichen Nische eine grundlegende wohnpsychologische Empfehlung, d.h. jeder Mensch braucht einen eigenen Platz, über dessen Gestaltung und Nutzung er selbst entscheidet, z.B. einen kleinen Arbeitsplatz oder eine Leseecke. Durch eine persönliche Nische entsteht eine stärkere emotionale Bindung an die Wohnung, man fühlt sich eher zu Hause. Zudem kann das Bedürfnis nach sozialer Regulation – ein Schlüsselbegriff für gutes Zusammenleben – ausgelebt werden, d.h. der Mensch kann regulieren, wann er für sich sein möchte und wann er Kontakt haben möchte. Dazu braucht es unterschiedliche Aufenthaltsbereiche: Zum einen solche, in denen gemeinsame Aktivitäten und Kommunikation möglich sind, zum anderen solche, in denen man nur für sich sein kann. Ein eigenes Zimmer ist nicht unbedingt notwendig und oft auch nicht möglich. Die klassische Wohnung einer dreiköpfigen Familie besteht in der Regel aus einem gemeinsamen Wohn-/Essbereich, einem Kinderzimmer und einem Schlafzimmer, das tagsüber nicht genutzt wird. Das Kind hat mit seinem eigenen Zimmer eine persönliche Nische mit Rückzugsmöglichkeit, die den Eltern oft fehlt. Das Bedürfnis nach solchen persönlichen Nischen beginnt bereits im Kindergartenalter und erreicht im Jugendalter seinen Höhepunkt. Eine Standardempfehlung von Wohnpsychologen ist daher, das Potenzial von Schlafräumen zu nutzen, um den Aufenthalt zumindest eines Elternteils tagsüber zu fördern. Auch im Wohnzimmer kann man durch temporäre Abtrennung kleiner Teilbereiche, z.B. durch Schiebeelemente, eine persönliche Nische und damit eine soziale Regulierung schaffen. Fehlt die nötige „Me-Time“, kann das schnell zu schlechter Stimmung führen, man reagiert gereizt auf die Mitbewohner, der Partner zerrt an den Nerven. So suchen sich viele Ersatznischen außerhalb der Wohnung, d.h. manche verbringen z.B. mehr Zeit am Arbeitsplatz als nötig, andere genießen es, allein mit dem Auto unterwegs zu sein. Die Erfüllung der Wohnbedürfnisse muss aber nicht teuer sein, denn wichtiger als teure Materialien ist der Gestaltungsprozess, der allein die positive Wirkung erzeugt.

    Anfragen an ArchitekturpsychologInnen kommen potenziell aus allen Bereichen der architektonischen Planung, vom Freiraum und der Platzgestaltung über Straßen und den öffentlichen Nahverkehr bis zu Gebäuden der unterschiedlichsten Funktionen, wie z.B. Bildungsbauten, Kindertagesstätten, Schulen oder Hochschulen, Gesundheitsbauten, Arbeitsumwelten, dabei vor allem Büroraumgestaltung etc. Wichtig ist dabei zu beachten, dass ArchitekturpsychologInnen immer nur beratende Funktion haben und nicht in Konkurrenz zu ArchitektInnen oder PlanerInnen stehen, auch wenn das eventuell manchmal so wahrgenommen wird. Es gibt auch nicht das architekturpsychologisch geplante ideale Gebäude, sondern es gibt nur Planungen, die aus architekturpsychologischer Perspektive besser oder schlechter sind.


    Das Wohnhaus von außen

    *** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Riklef Rambow vom Karlsruher Institut für Technologie gab in einem Interview einen Überblick über einige Erkenntnisse aus der Architekturpsychologie. Hier zusammengefasst einige seiner Überlegungen, die bereits in die obige Darstellung der Architekturpsychologie eingeflossen sind:

    Etwa in Bezug auf die Wahrnehmung und die ästhetische Bewertung der Fassadengestaltung weiß man, dass mittelkomplexe Fassadenbilder als angenehmer empfunden werden als sehr einfache, monotone Strukturen oder sehr unregelmäßige wie spitzwinkelige oder asymmetrische Strukturen. Sehr dunkle Fassaden werden eher abgelehnt, Sichtbeton ist weniger beliebt als z.B. Ziegel, auch die Fensterflächen sollten ein bestimmtes Maß einhalten und weder zu klein noch zu groß sein etc. Auch der Kontext spielt eine große Rolle: Wie sieht z.B. die Nachbarbebauung aus, wie breit ist die Straße, d.h. von welchem Abstand oder aus welchem Winkel nehme ich sie wahr? Seitens der Architekturpsychologie gibt es eine Vielzahl an Regeln und Befunden, die auf die jeweilige Situation angewendet werden kann, um zu einer fundierten Einschätzung zu kommen. Verschiedene Versuche zur Wirkung von Architektur, insbesondere zu modernen Strukturen mit harten Linien und dominanten Rechtecken, wie sie heute gebaut werden und „Trend“ sind, belegen, dass diese vom menschlichen Gehirn schwieriger verarbeitet werden können, als natürliche abwechslungsreiche Strukturen. Stärkeren Einfluss auf das Wohlbefinden als die ästhetische Wahrnehmung haben aber Aspekte der Nutzung und der physiologischen Bedingungen der Nutzung, also Aspekte wie akustische Beeinträchtigungen, Luftqualität, Temperatur, Sichtbeziehungen oder die Möglichkeiten oder Hindernisse, die uns räumliche Bedingungen auferlegen z.B. in Hinsicht auf Rückzugsmöglichkeiten oder Kontakt und Kommunikation.

    Stadtplanung

    *** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Stadtplanung kann und sollte niemals nach rein ökonomischen Kriterien vorgehen und selbstverständlich auch eine langfristige Perspektive einnehmen und das Wohl der Bürger ins Zentrum stellen. Sie kann Rahmenbedingungen setzen und z.B. über Gestaltungsbeiräte und ähnliche Instrumente viel für eine hochwertige gebaute Umwelt tun. Faktisch wissen wir aber natürlich auch, dass viele Kommunen diese Möglichkeiten aufgrund ihrer ökonomischen und personellen Ausstattung nicht oder nur eingeschränkt nutzen. Es gibt gelegentlich Konflikte zwischen gestalterischen Zielen und den empirisch feststellbaren Präferenzen der Menschen, denn es gibt Gebäude, die mit Architekturpreisen überhäuft werden und die in der Bevölkerung aber nur auf wenig Gegenliebe stoßen. Auch das ist psychologisch gut erklärbar, denn die Wahrnehmung der Architekten ist durch die langjährige Ausbildung sehr viel differenzierter als diejenige von Laien. Tendenziell wird entweder sehr hohe oder sehr niedrige Komplexität (Minimalismus, Reduktion) bevorzugt, bestimmte Formen der Ornamentik, die Laien durchaus schätzen, werden von Fachleuten als unzeitgemäß oder „Kitsch“ abgelehnt. Auch den Trend zur „Retro-Architektur“, also den Wiederaufbau oder das Nachempfinden historischer Baustile, lehnen die meisten Architekten ab.

    Arbeitswelt gestalten

    Die Gestaltung der Arbeitswelt ist eine der großen aktuellen Herausforderungen, zu denen die Architekturpsychologie viel beitragen kann. Tendenziell erfolgt die Büroraumnutzung immer stärker spekulativ, denn selbst große Firmen lassen sich ihre Zentralen nicht mehr maßschneidern, sondern mieten Flächen kurzfristig an und wechseln sie je nach Bedarf.. Das entspricht nicht dem Sinn einer sorgfältigen, individuellen Planung, die auf einer Analyse spezifischer Bedürfnisse und Anforderungen beruht. Auch bei der Planung flexibler Büroformen, bei Co-Working-Spaces oder „hippen“ Bürowelten von Google und Co. kann die Architekturpsychologie Vieles beitragen, auch wenn zu diesen neuen Arbeitswelten noch relativ wenig Forschung vorliegt. Viele der neuen Büroprojekte scheinen durch Flexibilität und die Auflösung der festen Zuordnung von Mitarbeiter und Arbeitsplatz quasi den Stein der Weisen gefunden zu haben, doch Platzersparnis und damit Kostensenkung auf der einen Seite und Förderung von Kreativität, Kommunikation und Zufriedenheit auf der anderen Seite entpuppan sich bei genauerem Hinsehen als verkappte Sparmaßnahmen, die unter den Mitarbeitern keineswegs nur Begeisterung auslöst. Die Kompensation der Nachteile offener Bürostrukturen durch das Angebot geeigneter Rückzugsräume, Besprechungs- und Gemeinschaftszonen ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die eine sorgfältige Analyse der jeweiligen Anforderungen erfordert. Hier liegen vielfältige Aufgaben für die Architekturpsychologie vor, denn der Faktor Mensch wird in Zeiten des Fachkräftemangels tatsächlich immer wichtiger, aber in seiner ganzen Tragweite scheint mir das noch nicht erkannt worden zu sein.

    Literatur

    Bonnes, M. & Secchiaroli, G. (1995). Environmental Psychology. London: Sage Publications.
    Deinsberger-Deinsweger, Harald (1916). Habitat für Menschen – Wohnpsychologie und humane Wohnbautheorie. Teil I: Der menschengerechte Lebensraum. Pabst.
    Dieckmann, F., Flade, A., Schuemer, R., Ströhlein, G. & Walden, R. (1998). Psychologie und gebaute Umwelt. Darmstadt: Institut für Wohnen und Umwelt.
    Harloff, H. (Hrsg.) (1993). Psychologie des Wohnungs- und Siedlungsbaus. Göttingen: Hogrefe.
    Leising, D. (2002). Die Macht der Räume. Psychologie heute, 29, 34-37.
    https://polis-magazin.com/2020/05/riklef-rambow-eine-frage-der-wahrnehmung/ (20-05-12)
    https://topos.orf.at/wohnpsychologie100 (23-11-28)

    Link
    http://www.architekturpsychologie.org/


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    Ein Gedanke zu „Architekturpsychologie“

    1. Frühere Baumeister

      Die früheren Baumeister wussten übrigens sehr gut, dass Architektur und die Gestaltung der Räume einen wichtigen Einfluss auf das Wohlbefinden haben, doch nach dem Zweiten Weltkrieg spielte das vielerorts keine Rolle mehr, denn zerstörte Altbauten wurden durch schmucklose Mietshäuser ersetzt, d. h., es ging bei Planung und Umsetzung vor allem darum, schnellen und günstigen Wohnraum zu schaffen. In manchen Ballungsräumen entstanden in den 1960er- und 1970er-Jahren sogar komplett neue Stadtteile aus architektonisch fast einheitlichen, dichtbebauten Hochhaussiedlungen. Erst nachdem man die Bedarfsdeckung nach dem Krieg erledigt hatte, hat man wieder angefangen zu überlegen, was Architektur, was Räume, mit dem Menschen eigentlich machen. Allerdings wissenschaftliche Forschungen zum Thema Architektur-Psychologie gibt es sogar erst seit den 1980er-Jahren.
      Räume haben einen großen Einfluss auf das menschliche Wohlbefinden, das weiß man seit Jahrhunderten. Doch erst jetzt spielen Erkenntnisse aus der Architektur-Psychologie beim Bau von Krankenhäusern oder bei der Städteplanung wieder eine wichtigere Rolle. Der Einfluss von Architektur und Raum auf das Wohlbefinden betrifft zwar alle, doch besonders wichtig ist das aber bei denjenigen, die sich nicht mehr so leicht an die Umgebung anpassen können, also insbesondere ältere oder kranke Menschen, und je unsicherer ein Mensch ist, desto mehr Einfluss hat die räumliche Umgebung auf ihn und sein Wohlbefinden, sein Wohlfühlen und seine Gesundheit. So muss man etwa schon bei der Planung darauf achten, dass sich die Räume deutlich voneinander abgrenzen und dadurch besser erkennbar sind, aber auch eine gute Akustik muss herrschen, denn wenig Lärm bedeutet auch wenig Stress. Für ältere Menschen ist dies besonders wichtig, weil sie Umgebungsgeräusche nicht mehr so gut filtern können und dadurch auch die Sprachverständlichkeit gefördert wird. Auch gutes Licht durch große Fenster beeinflusst die Aktivität und Entspannung und fördert einen natürlichen Tag- und Nachtrhythmus. Auch die Farben müssen sorgsam ausgewählt werden, denn ältere Menschen haben nicht nur Schwierigkeiten, einen einen weißen Lichtschalter auf einer weißen Wand zu erkennen, sondern sie sehen warme Farben generell besser und mögen sie meistens auch lieber. Natürliche Materialien, die wie Holz auch noch angenehm riechen, vermitteln ein Gefühl von Behaglichkeit, wobei es wieder vor allem bei alten und kranken Menschen wichtig ist, dass ein Raum durch alle Sinne wahrnehmbar ist.
      Quelle: https://www.br.de/nachrichten/bayern/architektur-und-psychologie-wie-raeume-auf-menschen-wirken,SZf6pq5 (21-06-14)

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