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Ontogenese

    Als Ontogenese bezeichnet man ganz allgemein die Geschichte der strukturellen Veränderung einer Einheit ohne Verlust ihrer Organisation. In der Biologie ist damit meist die Individualentwicklung gemeint, also die Entwicklung des Lebewesens von der befruchteten Eizelle bis hin zum erwach­senen Lebewesen. Die Ontogenese bezieht sich somit auf die Entwicklungsveränderungen zwischen der Konzeption und dem Tod eines Individuums.

    Im Laufe der Ontogenese entwickeln sich beim Embryo Organanlagen, aus denen später Organe entstehen, in denen sich wiederum die Zellen weiter spezialisieren. Die Ontogenese eines vielzelligen Organismus setzt sich zusammen aus der Embryogenese, dem Juvenilstadium, dem Adultstadium und der Seneszenz.

    Die Entwicklung eines Embryos von einer einzigen Zelle zu einem lebensfähigen Organismus ist ein komplexer und von der Natur genau gesteuerter Vorgang, denn die dabei entstehenden Zellen müssen wissen, welche Funktion sie an welchem Ort im Körper erfüllen müssen. Bei diesem Prozess muss alles zur richtigen Zeit und am richtigen Ort passieren, um sicherzustellen, dass aus einer Zelle ein Mensch mit mehr als einer Billion Zellen entsteht, die alle an ihrem Platz sind, denn sonst kommt es zu Entwicklungsschäden bzw. zum Tod des Embryos.
    Für die Kontrolle dieses Prozesses gibt es eine Vielzahl von Mechanismen, damit die Entwicklung von Organismen möglichst robust abläuft, von denen viele bis heute noch nicht genau erforscht sind. Für die  Entwicklung ist zunächst das Neuralrohr grundlegend, ein geschlossener Kanal von Zellen, der sich entlang der ganzen Länge des Embryos erstreckt und aus dem sich das Gehirn und das periphere Nervensystem entwickeln. Bei allen Wirbeltieren und auch beim Menschen zieht sich dabei ein gegenläufiger Gradient von zwei Botenstoffen (Sonic Hedgehog und Bone Morphogenic Protein) quer durch diesen noch primitiven Kanal, der dafür sorgt, dass auf der einen Seite des Rohres sensorische Neuronen entstehen, auf der gegenüberliegenden Seite Motoneuronen, die Muskeln lenken, und in der Mitte das vegetative Nervensystem, das später die Organe steuert. Eine Computeranalyse zeigte, dass eines dieser Signalmoleküle allein den Zellen noch keine genaue Identität zuweisen kann, sondern erst die Kombination von zwei Molekülen eine Identifizierung ermöglicht. Dabei bildet die Information dieser zwei äußeren Signalmoleküle für die wachsenden Nervenzellen ein genaues Koordinatensystem, das ihnen ihre zukünftige Rolle zuweist. Zagorski et al. (2017) konnten anhand eines Computermodells dieser Gradienten belegen, dass eine Verringerung der Konzentration eines Faktors zu anderen Zellidentitäten führt und sich etwa die mittleren Zellen nicht mehr ausbilden können oder sich deren Position verschiebt.

    Im heute heftig umstrittenen Biogenetischen Grundgesetz behauptet Ernst Häckel, dass in der Ontogenese Merkmale der Phylogenese (Stammesentwicklung) sichtbar werden.


    1. Definition
    „die Individual- oder Einzelentwicklung eines Organismus“  (Der große Brock Haus, In einem Band, 6.Auflage).

    2. Definition
    „Die Entwicklung des Individuums (nach E.Hackl, 1912)“ (Wörterbuch der Psychologie, 1968).

    3. Definition
    „Die Ontogenese ist die Geschichte des strukturellen Wandels einer Einheit ohne Verlust ihrer Organisation“ (Maturana, 1984, S. 84)

    4. Definition
    In der Ontogenese verfolgt man die Entwicklung vom noch nicht der Sprache mächtigen Säugling bis zum Kleinkind. (vgl. Hörmann, 1977, S. 1).

    5. Definition
    „Ontogenese ist die individuelle Entwicklung von Persönlichkeitsmerkmalen“.
    (Handwörterbuch Psychologie, 1983, S.113)


    Modellvorstellungen für die Erklärung von Entwicklung Quelle: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/PSYCHOLOGIEENTWICKLUNG/Entwicklungsmodelle.shtml © [werner stangl]s arbeitsblätter


    *** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Michael Tomasello hat eine Theorie der Ontogenese anhand der frühkindlichen Entwicklung entwickelt, indem er menschliche Babys bzw. Kinder und Schimpansen vor genau die gleichen Herausforderungen stellte und diese verglich. Dabei zeigten sich einerseits Parallelen, da beide Gruppen etwa ein ähnliches Grundverständnis für physikalische Phänomene entwickeln, andererseits überflügeln aber menschliche Kinder die Menschenaffen schnell in allen sozialen Aspekten, was nicht zuletzt am Lächeln der Babys liegt. Anders als bei Schimpansen sind menschliche Säuglinge auf die Unterstützung durch Menschen angewiesen, denn für ein Baby ist es überlebenswichtig, schnell Beziehungen aufzubauen, d. h., die starke Motivation menschlicher Säuglinge zur Abstimmung von Gefühlen liefert den emotional-motivationalen Ausgangspunkt für die einzigartige menschliche Psychologie. Auch Schimpansen kommunizieren und kooperieren sehr effektiv, aber sie wollen dabei von Anfang an eher eigene Interessen durchsetzen, während Kleinkinder schon mit neun Monaten versuchen, anderen zu helfen oder für sie interessante Dinge zu teilen. Aus „ich“ und „du“ entsteht dabei etwas Neues, ein gemeinsames „wir“, und das verändert die folgende Entwicklung, denn dieses „wir“ soll etwa die faire Aufteilung der Beute ebenso ermöglichen wie Parlamentsdebatten. Dabei gibt es nach Tomasello acht Merkmale, die menschliches Handeln vom dem der Menschenaffen unterscheiden: soziale Kognition, Kommunikation, kulturelles Lernen, kooperatives Denken, Zusammenarbeit, Prosozialität, soziale Normen und moralische Identität. Diese Merkmale sind nicht angeboren oder wird von den Eltern gelehrt, sondern es handelt sich dabei um einen Prozess, der durch Kommunikation immer neue Ebenen der Kooperation entfaltet.

    Literatur

    Asanger, Roland & Wenninger, Gerd (1983). Handwörterbuch Psychologie. Studienausgabe. 4. Auflage. Weinheim: Beltz Verlag.
    Hehlmann, Wilhelm (1968). Wörterbuch der Psychologie. 4.Auflage. Stuttgart: Kröner Verlag.
    Hörmann, Hans (1977). Psychologie der Sprache. 2.Auflage. Springer Verlag.
    Maturana, Humberto R. (1984). Der Baum der Erkenntnis. Fischer Taschenbuch Verlag.
    Marcin Zagorski, Yoji Tabata, Nathalie Brandenberg, Matthias P. Lutolf, Gašper Tkacik, Tobias Bollenbach, James Briscoe & Anna Kicheva (2017). Decoding of position in the developing neural tube from antiparallel morphogen gradients. Science, 356, 1379-1383.
    http://diepresse.com/home/science/5252608/Das-Koordinatensystem-der-Nerven (17-07-15)

    Bildquelle

    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/PSYCHOLOGIEENTWICKLUNG/Entwicklungsmodelle.shtml (98-11-17)


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