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Inklusion

    Der Begriff Inklusion lässt sich aus dem Lateinischen herleiten und bedeutet „Einschluss“, daher bedeutet Inklusion im Bildungssystem, heterogene Gruppen individuell zu unterrichten. Inklusion bezeichnet somit den Einschluss aller zu Unterrichtenden – also auch heterogener Gruppen – in Schulen für alle. Inklusion ist der nächste logisch folgende Schritt im Zuge der Bemühungen zur Integration, denn sie eröffnet allen Menschen die Möglichkeit, ihr Recht auf adäquate Bildung und auf Erreichung ihres individuell höchstmöglichen Bildungszieles wahrzunehmen und damit ein möglichst selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben zu führen. Inklusion kann als dynamischer Prozess der Verwirklichung von Partizipation auf der einen Seite und des Anspruchs auf Vielfalt auf der anderen Seite verstanden werden, d. h., gelingende Integration lebt von der Lösung dieses immanenten Konflikts zwischen Gleichheit und Vielfalt. Inklusives Verhalten bezeichnet somit ein Verhalten, bei dem beides anerkannt wird: die Vielfalt aller und die Würde jedes Einzelnen.

    Der Prozess der Inklusion geht auch auf die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2006 zurück, in des es unter anderem heißt es: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung.“ Sie gewährleisten „ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen“. Menschen mit Behinderungen sollen „gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben.“ Mit der Konvention  werden somit die Rechte von Menschen mit Behinderungen als allgemeine Menschenrechte anerkannt, wobei die schrittweise Umsetzung der Konvention eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft darstellt. Der Abbau von Barrieren auf allen gesellschaftlichen Ebenen sichert nicht nur Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, sondern lässt gleichermaßen alle Menschen mit und ohne Behinderungen davon profitieren.

    Im UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes wird ausdrücklich festgehalten, dass jedes Kind einzigartig ist, d. h., jedes Kind hat ein Recht auf Achtung, Wohlergehen, Entfaltung seiner Persönlichkeit und auf vielfältige Entwicklungschancen. Nach wie vor wird die große Bedeutung der frühkindlichen Bildung für Leben und Lernen unterschätzt, denn in dieser Phase können frühe Benachteiligungen noch ausgeglichen werden, sodass der Ausbau und die Verbesserung frühkindlicher Förderung und Erziehung, insbesondere für benachteiligte Kinder, eines der fundamentalen Bildungsziele sein muss. Neben der Bildung und Erziehung in der Familie und der Familienbildung spielen dabei Kindertageseinrichtungen eine besondere Rolle in der Gestaltung früher Lern- und Lebenswelten und für die Teilhabechancen aller Kinder. Als öffentliche Bildungsinstitutionen haben sie den gesetzlichen Auftrag zur Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern, deren soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung sie fördern sollen, wobei Barrieren im frühkindlichen Bildungssystem abgebaut werden müssen, um jedem Kind die Teilhabe an qualitativ hochwertiger Bildung zu ermöglichen. Daher sind Bildungssysteme inklusiv zu gestalten, sodass unabhängig von Geschlecht, Religion, ethnischer Zugehörigkeit, besonderen Lernbedürfnissen, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen allen Menschen die gleichen Möglichkeiten offen stehen müssen, an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und die vorhandenen Potenziale zu entwickeln. Inklusive Bildung erfordert flexible Bildungsangebote und dementsprechende strukturelle und inhaltliche Anpassungen in allen Bereichen des Bildungssystems unter besonderer Betonung der frühkindlichen Bildung.

    Bei der Inklusion wandelt sich die Bedeutung des Unterrichts und die Rolle der LehrerInnen, d.h., Wissen wird nicht mehr „vorgetragen“ und „aufgepfropft“, sondern von den einzelnen SchülerInnen selbsttätig erworben. Die LehrerInnen begleiten und unterstützen diesen Prozess, stellen Ressourcen zur Verfügung, arbeiten, reflektieren und lösen Probleme teamorientiert. Jedes Kind hat dabei seinen eigenen individuellen Lehrplan, lernt allein, zu zweit oder in einer heterogenen Gruppe, in der die Mitglieder einander unterstützen. Wissen wird nicht mehr vorgegeben, sondern von den Lernenden selbsttätig erworben. In einer Untersuchung, in der Grundschullehrer nach ihrer Meinung zur Inklusion befragt wurden, zeigte, dass je mehr Erfahrungen sie hatten, desto positiver waren sie dem Unternehmen Inklusion gegenüber eingestellt, je weniger sie Erfahrungen mit Inklusion und inklusivem Unterricht hatten, desto skeptischer waren sie. Daraus lässt sich schließen, dass je mehr Inklusion realisiert wird, desto positiver wird es von en LehrerInnen begleitet.

    Schulversuche in der Schuleingangsphase, der alternativen Leistungsbeurteilung, oder der Auflösung von Leistungsgruppen haben positive Erfahrungen im Unterricht von heterogenen Gruppen gebracht, wobei festgestellt werden konnte, dass das Bildungsniveau bei Schülerinnen und Schülern aus heterogenen Gruppen in der Regel besser war, und dass auch benachteiligte Jugendliche durch Individualisierung und die Heranführung an selbsttätigen Wissenserwerb höhere Lernziele erreichen. Im Modellprojekt „Schulreifes Kind“ aus Baden-Württemberg, bei dem Erzieher schon eineinhalb Jahre statt erst ein halbes Jahr vor der Einschulung festlegen, ob Förderbedarf bei einem Kind besteht – etwa Sprachförderung, Schulung der Feinmotorik oder Übungen zur Förderung der Konzentrationsfähigkeit- zeigte ein positives Ergebnis, denn immerhin hatten bis zur Mitte der Grundschule noch mehr als die Hälfte dieser geförderten Risikokinder, die Bildungsstandards im Lesen, Schreiben, Rechnen erfüllt.

    Im Zuge der Umstrukturierung des Schulsystems hin zu einer inklusiven Schule mit wachsender Heterogenität in den Schulklassen, steigt aber die Bedeutung der sonderpädagogischen Diagnostik, wobei hier die Verlaufsdiagnostik eine zentrale Rolle spielen muss. Bisher lag der diagnostische Schwerpunkt in erster Linie darauf, Förderbedarfe festzustellen und notfalls Ressourcen für eine Förderung zur Verfügung zu stellen. Es sollte daher der Ansatz einer lernbegleitenden Diagnostik gewählt werden, die mit einer validen Verlaufsdiagnostik mittel- und langfristige Entwicklungen der Kinder einschätzen kann.


    Auf dem Weg zu einem inklusiven Bildungssystem, wie in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung gefordert, werden alle Bereiche der Schule verändert. Sehr häufig wird die normative Idee Inklusion auf die gemeinsame Unterrichtung von Kindern mit und ohne Behinderung reduziert, die Intention inklusiver Bildung geht jedoch weit darüber hinaus. Es geht um wirksame Bildung für alle Lernenden in allen Altersstufen, und das möglichst weitgehend im normalen Setting. Irritierend ist jedoch die internationale empirische Befundlage, denn es zeigen sich keineswegs eindeutig positive Wirkungen gemeinsamen Unterrichts und wenn, dann höchstens mit kleinen Effekten. Damit stellt sich die zentrale Aufgabe, eine wirksame Gestaltung des Unterrichts zur Unterstützung aller Lernenden, insbesondere jedoch von Lernenden mit Benachteiligungen und Risikobelastungen, sicher zu stellen.

    Wesentliche Merkmale der Inklusion sind daher

    • gemeinsames Leben und Lernen für alle
    • Theorie einer ununterteilbaren heterogenen Lerngruppe
    • Profilierung des Selbstverständnisses der Schule
    • systemischer Ansatz
    • Beachtung der emotionalen, sozialen und unterrichtlichen Ebene
    • Ressourcen für Systeme (Klassen/Schulen)
    • gemeinsames und individuelles Lernen für alle
    • ein individualisiertes Curriculum für alle
    • gemeinsame Reflexion und Planung aller Beteiligten
    • Anliegen/Auftrag von Schul-/Sonderpädagogik
    • Sonderpädagogik als Unterstützung für KollegenInnen und Klassen
    • kollegiales Problemlösen im Team

    In einer Studie in Deutschland überprüften Stranghöner et al. (2017) den Lernzuwachs im Lesen und Rechtschreiben bei Grundschülern mit Förderbedarf, d. h., inwieweit diese in ihren Lese- und Rechtschreibkompetenzen von einem inklusiven oder exklusiven Unterricht profitieren. Die Leistungen der Grundschüler mit Förderschwerpunkt wurden zu drei Zeitpunkten im Verlauf der dritten und vierten Klasse mit einem Leseverständnistest sowie einer Schreibprobe untersucht. Zu Beginn der Untersuchungsreihe wurden auch die Intelligenz der Kinder mit einem sprachfreien Test und Informationen über Bildungsabschluss und Berufsausbildung der Eltern sowie zum Wohlbefinden und zu weiteren emotionalen und sozialen Aspekten erhoben. Im Einklang mit früheren Studien zeigten sich durchgängig deutliche Unterschiede in den Leistungen zwischen Schülern auf Förderschulen und inklusiv beschulten Kindern. Die im inklusiven Unterricht beschulten Kinder haben bessere Ausgangswerte exklusiv Beschulte und zeigen zu allen Messzeitpunkten bessere Leistungen. Selbst zum Ende der vierten Klasse liegen die Leistungen der Förderschulkinder für den Bereich Rechtschreibung im Mittel hinter denen der inklusiv unterrichteten Kinder in der dritten Klasse. Diese Ergebnisse sind allerdings erwartbar und könnten auf Selektionseffekte hinweisen, denn leistungsstärkere Kinder mit Förderbedarf verbleiben meist im Regelschulsystem, während leistungsschwächeren Kindern eher der Wechsel zur Förderschule empfohlen wird. Die Ergebnisse im Längsschnitt zeigten auch nur geringfügige Unterschiede beim Leistungszuwachs von inklusiv und exklusiv beschulten Kindern zwischen der ersten und letzten Testung. Ein gegenläufiger Effekt war jedoch, dass sich die Lesefähigkeit bei den inklusiv beschulten Kindern stärker entwickelte als bei den exklusiv beschulten, während bei der Rechtschreibung die exklusiv beschulten Kinder mehr dazulernten. Die Geschwindigkeit der Lernfortschritte im Lesen und Rechtschreiben hängt nach den Studienautoren also weniger vom Schulsetting ab, sondern vermutlich mehr von der Qualität der Schule oder auch den Einflüssen effektiven Unterrichtens.

    Siehe auch Integration und Inklusion


    Exkurs: Inklusion als soziologischer Begriff beschreibt das Konzept der Inklusion eine Gesellschaft, in der jeder Mensch akzeptiert wird und gleichberechtigt und selbstbestimmt an dieser teilhaben kann, und zwar unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft, Religionszugehörigkeit oder Bildung, von Behinderungen oder sonstigen individuellen Merkmalen. In einer inklusiven Gesellschaft gibt es keine definierte Normalität, die jedes Mitglied dieser Gesellschaft anstreben oder erfüllen muss, sondern normal ist die Tatsache, dass Unterschiede zwischen den Individuen vorhanden sind. Diese Unterschiede werden als Bereicherung aufgefasst und haben keine Auswirkungen auf das Recht der Individuen auf Teilhabe. Die vordringlichste Aufgabe der Gesellschaft ist es, in allen Lebensbereichen Strukturen zu schaffen, die es den Mitgliedern dieser Gesellschaft ermöglichen, sich ohne Behinderung darin zu bewegen.

    Literatur

    Stranghöner, D., Hollmann, J., Otterpohl, N., Wild, E., Lütje-Klose, B. & Schwinger, M. (2017). Inklusion versus Exklusion: Schulsetting und Lese-Rechtschreibentwicklung von Kindern mit Förderschwerpunkt Lernen. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 31, 125-136.
    Voß, Stefan  & Gebhardt, Markus (Hrsg.) (2017). Verlaufsdiagnostik in der Schule. Themenausgabe. Empirische Sonderpädagogik.
    http://www.inklusion-schule.info/inklusion/definition-inklusion.html (14-04-04)
    http://unesco.de/reshv69-2.html (14-04-04)
    Medienbried Nr. 01.2015 des Zentriums für Medien und Bildung, NRW.


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