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Literacy

    Literacy bzw. Literalität bezeichnet in den Erziehungswissenschaften die Lese- und Schreibkompetenz, schließt aber auch Fähigkeiten wie Textverständnis und Sinnverstehen, sprachliche Abstraktionsfähigkeit oder Vertrautheit mit Büchern ein.

    Literacy in der frühen Kindheit ist auch ein Sammelbegriff für kindliche Erfahrungen und Kompetenzen um die Buch-, Erzähl-, Reim- und Schriftkultur. Das Literacy-Konzept geht dabei davon aus, dass sich Sprechen, Lesen und Schreiben in ständiger Wechselwirkung entwickeln, also einander bedingende Bereiche sind. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Entwicklung des Lesens und Schreibens schon im vorschulischen Bereich stärker zu berücksichtigen, denn zu dieser Zeit werden die Grundlagen für die spätere Lese- und Schreibkompetenz gelegt. Dabei sind vor allem Elternhaus und Kindergarten gefordert.

    Die Definition der UNESCO besagt, dass Literalität keine singuläre Kompetenz im engeren Sinne darstellt, sondern als kulturell einge­bettete, gesellschaftlich ausgehandelte, soziale Handlungspraxis sowie als ein Bündel von Kompetenzen zu verstehen ist.: „Media and information literacy comprises all media (digital and non­digital) … and means the ability of sourcing, assessing, contributing to, and combining different kinds of media and information and using different media and information in diffe­ rent contexts/for different purposes. … [It] entails the ability to combine a range of skills and competencies in order to make use of information and media, including new media developments, for achieving personal objectives. These objectives are strongly connected with individual growth (e. g. developmental tasks, identity construction, management of relationships, lifelong learning etc.) and societal challenges (organi­ zing information, participation in public discourse, ethics and human rights, privacy, etc.)“ (Frau­-Meigs et al., 2014, S. 6).

    Auch in der Mathematik muss man nach Ansicht von Kaiser & Schwarz (2003) von Literatität sprechen, denn Mathematik besitzt neben eigenen Worten und Symbolen auch eine eigene Syntax und Grammatik, d. h., Mathematik ist eine Sprache, in der über die ideale, geordnete Welt mathematischer Gegenstände gesprochen werden kann. Diese Mathematik als Sprache muss für die Schülerinnen und Schüler bedeutungsvoll sein, damit sie mathematisch kommunizieren und Mathematik anwenden können. Die Vertrautheit mit grundlegenden Aspekten von Mathematik muss dabei von einer dynamischen, tätigkeitsorientierten Auffassung von Mathematik ausgehen, also von mathematische Literalität. Bei dieser mathematischen Literalität geht es demnach um die Fähigkeit zur funktionalen Verwendung von Mathematik und nicht um die Bewältigung schulischer Anforderungen, d. h., um die Fähigkeit zur Lösung mathematischer Probleme in einer Fülle von Situationen, wobei insbesondere authentische Fragen, die auf lebensweltlichen Situationen beruhen, im Mittelpunkt stehen sollten. Mathematik beinhaltet also ein System begrifflicher Werkzeuge, mit denen die Phänomene der natürlichen, sozialen und geistigen Welt geordnet werden können. Dabei gibt es eine Differenz zwischen der mathematischen Fachsprache und der Unterrichtssprache bzw. der alltäglichen Sprache. Sinnzusammenhänge bleiben den Lernenden meist verborgen und Fachworte werden als fremdsprachliche Namen für abstrakte Operationen oder Objekte gelernt und häufig schnell wieder vergessen. Die Schwierigkeiten von Übersetzungsprozessen aus der Umgangssprache in die mathematische Sprache, insbesondere in die Sprache der Algebra, sind aus einer Fülle von empirischen Studien bekannt, ebenso wie Fehler beim Übersetzungsprozess in die andere Richtung, des inhaltlichen Verstehens von formalisierten Beziehungen. Dieses Spannungsverhältnis bedarf einer expliziten Bearbeitung im Lehr-Lernprozess, damit die Lernenden die Bedeutung und die Herkunft der fachspezifischen Termini wie auch die Notwendigkeit ihrer Benutzung im mathematischen Kontext begreifen können. Vielfach wird aber gerade diese entscheidende Auseinandersetzung in den Lehr-Lernprozessen nicht geführt, so dass die Fülle der Fachbegriffe sowie die Konventionen des mathematischen Sprachgebrauchs den Lernenden verschlossen bleiben. Insbesondere wird meist nicht die Chance genutzt, durch die Herstellung von kulturhistorischen Bezügen bei der Herleitung neuer Begriffe auch die Kulturabhängigkeit der Mathematik und des Mathematiktreibens systematisch aufzuzeigen.

    Es gibt empirische Belege dafür, dass die Förderung der Schülersprache das Mathematiklernen von Schülerinnen und Schülern fördern kann. Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen der Sprachkompetenz der Kinder im Deutschen und ihrer Leistung im Mathematikunterricht, wobei die Sprachkompetenz dabei einen größeren Einfluss als etwa der sozioökonomische Status der Kinder hatte. Prediger et al. (2022) haben in einer cluster-randomisierten kontrollierten Studie unterschiedliche Effekte für verschiedene Zielgruppen untersucht. In einer Gruppe wurde mathematisches Verständnis gefördert, indem die Lernenden immer wieder zum Erklären und Begründen aufgefordert wurden. Eine zweite Gruppe erhielt zusätzlich lexikalische Lerngelegenheiten, etwa Informationen zu Satzbausteinen wie „der Teil vom Ganzen“. In einer dritten Kontrollgruppe wurde der Standardunterricht ohne zusätzliche Lernangebote durchgeführt. Vor und nach den Unterrichtseinheiten testete man die mathematischen Fähigkeiten der Kinder. Die Regressionsanalyse zeigte, dass alle Schülerinnen und Schüler ihr konzeptuelles Verständnis in beiden Interventionen signifikant vertieft haben, doch anders als erwartet hatte die integrierte Wortschatzarbeit keinen signifikanten zusätzlichen Nutzen für das Wachstum des konzeptuellen Verständnisses der mehrsprachigen Schüler. Wenn Schülerinnen und Schüler miteinander ins Gespräch gebracht werden, miteinander interagieren und über den Stoff diskutieren, dann kommt es zu vertieftem Mathematiklernen. Diese Ergebnisse sprechen für die Förderung eines sprachsensiblen Mathematikunterrichts für alle Schülerinnen und Schüler und für die Verwendung eines diskursiven statt eines wortschatzorientierten Ansatzes.

    Siehe dazu auch die Literacy-Erziehung.

    Literatur

    Frau­-Meigs, D., Arnoldi, P., Berger, G., Bevort, E., Bruillard, E., Celot, P., Trültzsch-Wijnen, C. W. (2014). Paris Declaration of Media and Information Literacy. Im Auftrag der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO).
    WWW: http://www.unesco.org/ new/fileadmin/MULTIMEDIA/HQ/CI/CI/pdf/In_Focus/paris_mil_declaration_final.pdf  (19-09-08)
    Kaiser, G. & Schwarz, I. (2003). Mathematische Literalität unter einer sprachlich-kulturellen Perspektive. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 6, 357-377.
    Niederdrenk-Felgner, C. (1997). Mathematik als Fremdsprache (S. 387-390). In Müller, K. P. (Hrsg.): Beiträge zum Mathematikunterricht: Vorträge auf der 31. Tagung für Didaktik der Mathematik vom 3. bis 7. März 1997 in Leipzig. Hildesheim.
    Prediger, S., Erath, K., Weinert, H., & Quabeck, K. (2022). Only for Multilingual Students at Risk? Cluster-Randomized Trial on Language-Responsive Mathematics Instruction. Journal for Research in Mathematics Education, 53, 255-276.
    Stangl, W. (2022, 29. September). Sprachförderung zur Verbesserung der Mathematikleistungen. was stangl bemerkt …
    Teale, W. H. & Sulzby, E. (1989). Emergent literacy: New perspectives. In D. S. Strickland & L. M. Morrow (Hrsg.), Emerging literacy: Young children learn to read and write (S. 1-15). Newark, DE: International Reading Association.
    Ulich, M. (2014). Literacy. In Pousset, R. (Hrsg.): Handwörterbuch Frühpädagogik. Mit Schlüsselbegriffen der Sozialen Arbeit. Berlin: Cornelsen.


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