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Schmerztherapie

    Schmerzen werden in der Regel dann als chronisch bezeichnet, wenn sie sechs Monate und länger andauern, wobei Menschen oft in einen Teufelskreis geraten, denn sie haben Angst vor den Schmerzen und bewegen sich deshalb nicht richtig, sind in ihrem Privatleben beeinträchtigt und fallen bei der Arbeit aus. Schmerzen sind übrigens bei chronischen Erkrankten auch dann noch fühlbar, wenn der Schmerzreiz objektiv gar nicht mehr nachweisbar ist, wenn also die Ursache gar nicht mehr vorhanden ist. Der Schmerz als unangenehmes körperbezogenes Gefühl hat sich dabei wie andere Gefühle im limbischen System des Gehirns festgesetzt. Das alles schlägt sich auf die Stimmung, und der Schmerz gerät immer stärker in den Vordergrund, wobei hinzukommt, dass sich die Betroffenen nicht ernst genommen fühlen, wenn der Arzt die Diagnose stellt, nichts Konkretes finden zu können, was den Schmerz auslöst. Es gibt ein Stufen-Schema der Schmerztherapie für die medikamentöse Behandlungder Weltgesundheitsorganisation WHO:

    • Stufe 1: Solche Schmerzmittel sind etwa bei akuten Kopfschmerzen sinnvoll und sind zum Teil auch rezeptfrei in Apotheken und Drogerien erhältlich.
    • Stufe 2: Diese Schmerzmittelkategorie beinhaltet schwache Opioide, die zum Einsatz bei anhaltenden, stärker werdenden Schmerzen kommen.
    • Stufe 3: Diese Schmerzmittel beinhalten die starken Opioide, die die Weiterleitung der Schmerzreize an das Gehirn hemmen und so der Entwicklung eines Schmerzgedächtnisses vorbeugen. Diese Medikamente gibt es in Form von Pflastern, Tabletten, Zäpfchen und Sirup zur Verfügung.
    • Einige Autoren definieren noch eine 4. Stufe, zu der weiterführende invasive Maßnahmen zählen wie etwa periphere Lokalanästhesie intraventrikuläre Applikationen von Opioiden oder computergesteuerte transportable oder implantierte Pumpensysteme mit Kathetern oder Zuspritz- und Portkammern. Der Übergang von einer Stufe auf die nächsthöhere wird vollzogen, wenn die Analgesie nicht ausreicht. Je nach Situation können Stufen auch übersprungen werden, entsprechend muss nicht unbedingt mit der ersten Stufe begonnen werden.

    Schmerz ist im Prinzip ein wichtiges Warnsignal, dass etwas im Körper nicht in Ordnung ist und geändert werden muss, wobei es viele Auslöser für akute Schmerzen gibt, etwa einen Bandscheibenvorfall, Rheuma, Arthrose, Migräne, aber auch manche Krebserkrankungen. Heute setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass neben der Behandlung der Grunderkrankung und der Suche nach den Ursachen auch die Therapie der Schmerzen wichtig ist, denn diese unterliegen dem psychologischen Mechanismus des Lernens. Wenn etwa ein Reiz lange Zeit gesetzt wird, so verändern sich Strukturen im Gehirn, d.h., Schmerz ist für das Gehirn gewissermaßen durch häufiges Üben erlernbar, denn die Aufmerksamkeit auf den Schmerz ist erhöht und es entwickelt sich ein Schmerzgedächtnis, bei dem man den Schmerz bei bestimmten Bewegungen geradezu erwartet. Chronische Schmerzen sind nämlich keine akuten Schadensmeldungen mehr, sondern basieren auf einem Lernprozess. Bekanntlich hemmen körpereigene Botenstoffe wie Endorphine oder Adrenalin die Weiterleitung eines Schmerzsignals schon im Rückenmark, was etwa dabei hilft, nach einer akuten Verletzung vorübergehend handlungsfähig zu bleiben, um sich etwa einer Gefahrensituation zu entziehen. Das funktioniert bei kurzen, heftigen Schmerzen, wie bei einem Knochenbrüchen oder bei Verbrennungen meist recht gut, doch bei eher schwächeren, dafür aber permanent wiederkehrenden Schmerzen reagieren diese körpereigenen Dämpfungssysteme häufig nicht und die Schmerzsignale gelangen so ungehindert in das Gehirn. Bei solchen häufig wiederkehrenden Reize reagiert das Nervensystem nämlich damit, indem es deren Verarbeitung optimiert, also den Schmerz lernt. Auf neurobiologischer Ebene bedeutet das, dass wie auch bei anderen Formen des Lernens die beteiligten Neuronen bzw. Synapsen umgebaut und verfestigt werden. Dadurch reagiert das Gehirn auf diese Reize immer schneller und empfindlicher, wobei manchmal die Reizschwelle so weit absinkt, dass schon ein geringfügiger, kaum spürbarer Anlass Schmerzen verursacht und weiter präsent bleibt und wiederkehrt. Wie gut ein Schmerz gelernt wird, hängt aber auch entscheidend davon ab, wie der Betroffene diesen bewertet, denn mit jedem Schmerzsignal werden limbische Strukturen wie die Amygdala, der Hippocampus sowie große Anteile des frontalen Cortex und des cingulären Cortex aktiviert und färben jedes Schmerzsignal emotional, wobei je öfter es aufritt und je stärker es mit Gefühlen verknüpft ist, desto größer ist die Gefahr, dass sich der Schmerz einbrennt. Bei den Betroffenen führt das nach einer gewissen Zeit zu Ängsten, Niedergeschlagenheit und Passivität, also alles Faktoren, die eine Chronifizierung von Schmerzen zusätzlich begünstigen. Es ist nämlich nicht immer eindeutig bestimmbar, ob ein Mensch auf Grund von chronischen Schmerzen Ängste vor diesen entwickelt hat, oder ob er depressiv ist, weil sich sein Leben so negativ verändert hat, oder der Mensch zuerst eine Angststörung oder auch eine Depression hatte und dadurch beeinträchtigt ist, den Schmerz richtig zu verarbeiten.

    Bei einer Therapie ist es daher wichtig, Ängste abzubauen und die Betroffenen aktiv zu halten, d. h., sie müssen lernen, dass sie ihren Schmerzen nicht hilflos ausgeliefert sind. Dazu eignet sich eine pharmakologisch gestützte kognitive Verhaltenstherapie, bei denen Schmerzmittel unterstützend eingesetzt werden, um die Betroffenen aus ihrer Schonhaltung zu holen, denn die Medikamente dämpfen den bei Bewegung gefürchteten Schmerzreiz oder unterbinden ihn ganz. Dieser „Vorhersagefehler“ ist gemeinsam mit dem Erleben von Selbstwirksamkeit ein entscheidender Faktor für das Überschreiben bereits eingebrannter Schmerzen. Erlebt der Betroffene nämlich immer wieder, dass sich seine Schmerzerwartung nicht bestätigt, dann verliert er nach und nach die Angst vor dem Schmerz und macht zumindest teilweise den Abbau der am Schmerzerleben beteiligten neuronalen Verbindungen rückgängig (Zieglgänsberger, 2017).

    Bei multimodalen Therapiekonzepten kommen physiotherapeutische (z.B. Krankengymnastik), psychotherapeutische (z.B. Schmerzbewältigungsstrategien) und insbesondere medikamentöse Verfahren zum Einsatz. Oft werden zusätzlich hochpotente Wirkstoffe verabreicht, insbesondere aus der Gruppe der Morphine (Opiate), der Antidepressiva und andere zentralnervös wirkenden Mittel (z.B. Antiepileptika). Derartige Medikamente sind bei stärksten Schmerzen manchmal nicht zu vermeiden und sollen nach gegenwärtigem Erkenntnisstand relativ frühzeitig eingesetzt werden, um die Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses zu verhindern. Naturgemäß ist eine Pharmakotherapie häufig von erheblichen Nebenwirkungen begleitet und meistens langfristiger Natur. Die Behandlung von chronischen Schmerzpatienten erfordert daher physiologische und psychologische Unterstützung, denn neben der Einnahme von Medikamenten sind auch Maßnahmen wie Physiotherapie, Entspannungstechniken, Bewegung und oft auch eine ergänzende Psychotherapie hilfreich. Wer an Schmerzen leidet, die chronisch zu werden drohen, sollte sich möglichst bald in eine Schmerztherapie begeben, wobei hier eine psychologische Hürde besteht, denn manchmal sind Schmerzen eben leichter zu ertragen, als sich unangenehme Fragen stellen zu müssen. Eine auf der Akupunktur beruhende Therapie chronischer Schmerzen ist die Störherdtherapie, die etwa über die Ohr-Akupunktur nach Bahr und Nogier erfolgt. Dabei wird meist auch deutlich, welchen Anteil die Psyche am Gesamtgeschehen hat, wobei sich der Therapieerfolg klinisch an drei Parametern zeigt: die Schmerz-Dauer wird kürzer, die Schmerz-Intensität wird geringer und der Schmerz tritt seltener auf.

    Auch autogenes Training wird häufig als therapeutischer Ansatz in der multimodalen Schmerztherapie eingesetzt. Kohlert et al. (2021) haben in einer systematischen Übersichtsarbeit und Meta-Analyse die Wirksamkeit von Autogenem Training bei Menschen mit chronischen Schmerzen im Vergleich zu passiven und aktiven Kontrollgruppen untersucht. Die Studien schlossen Menschen mit chronischen Schmerzen ein, darunter Kopfschmerzen (Spannungskopfschmerz, Migräne), Thoraxschmerzen bei kardialem Syndrom sowie Schmerzen bei Multipler Sklerose, Krebs, rheumatoider Arthritis bzw. Reizdarmsyndrom. Die Gesamtheit der Befunde zeigte auch, dass Autogenes Training im Vergleich zur Standardbehandlung zu einer signifikant stärkeren Reduktion der Schmerzen führt, allerdings war in Hinblick auf die Schmerzreduktion Autogenes Training im Vergleich zu anderen psychologischen Interventionen wie Progressiver Muskelentspannung oder Selbsthypnose nur gleich wirksam. Für den Einsatz von Autogenem Training spricht aber, dass es vergleichsweise einfach zu erlernen ist und nach dem Erlernen auch selbständig von den Betroffenen durchgeführt werden kann.


    Übrigens ist der 5. September Weltkopfschmerztag!


    Neuere Untersuchungen zeigen, dass Schmerz ein komplexes Phänomen darstellt, das Wahrnehmungs-, motorische und Reaktionen des autonomen Nervensystems beinhaltet. Tiemann et al. (2018) erhoben Wahrnehmungs-, motorische und autonome Reaktionen auf kurze Hitzeimpulse und registrierten die Gehirnaktivität der Probanden und Probandinnen mit Hilfe der Elektroenzephalographie. Dabei zeigte sich, dass die Gehirnantworten für die Schmerzkomponenten nicht nacheinander ablaufen, sondern teilweise gleichzeitig. Das bedeutet, dass die Handlungsvorbereitung und die Energiebereitstellung nicht vollständig von der Schmerzwahrnehmung abhängen, sondern teilweise unabhängig davon umgesetzt werden. Diese Ergebnisse stellen einen Fortschritt in Richtung eines besseren Verständnisses der Gehirnprozesse dar, wie schädliche Reize in Schmerzen übersetzt werden, wobei wahrnehmungsbezogene, motorische und autonome Dimensionen des Schmerzes teilweise unabhängig und nicht seriell sind. Daraus folgt auch, dass bei einer Schmerztherapie alle drei Komponenten des Schmerzes beachtet werden müssen, denn bei chronischen Schmerzpatienten sind möglicherweise nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch die Vorbereitung und Durchführung von Handlungen gegen den Schmerz sowie die Energiebereitstellung verändert. Eine Schmerztherapie, die den Schmerz ganzheitlich mit all seinen Komponenten angehen möchte, sollte daher sowohl psychotherapeutische und medikamentöse wie auch physiotherapeutische Ansätze beinhalten.

    Es gibt akute und chronische Schmerzen, die sich vor allem in der Dauer und Funktion unterscheiden, wobei akute Schmerzen den Menschen und seinen Körper vor schädlichen Einwirkungen warnen. Sie sind in der Regel nach kurzer Zeit mit entsprechender Akutschmerzbehandlung zu lindern oder gehen von selbst zurück. Chronische Schmerzen – wenn sie länger als sechs Monate andauern oder wiederkehrend auftreten – hingegen haben sich von der eigentlichen Ursache oft abgelöst und überdauern diese, d. h., sie haben die lebensnotwendige Warnfunktion verloren. Schmerzen haben neben körperlichen Faktoren immer auch eine psychische und eine soziale Seite, wobei bei akuten Schmerzen eine zuwendende, auf die Betroffenen eingehende Kommunikation einen positiven, schmerzlindernden Einfluss haben kann und sogar die Wirkung von Schmerzmedikamenten deutlich verbessern kann. Je länger ein Schmerz anhält oder wiederkehrt, desto größer ist für die Betroffenen die Verunsicherung durch Schmerzen, sodass eine interdisziplinäre Schmerzbehandlung gefragt ist, die sowohl die Schmerzempfindung als auch die mit Schmerzen verbundenen Einschränkungen im Erleben und Verhalten verringert. Oft spielt die Psyche eine entscheidende Rolle bei der Schmerzverarbeitung, denn das menschliche Gehirn hat eine zentrale Funktion bei der Schmerzwahrnehmung und bei der Schmerzbeeinflussung. Es ist in der Lage, Reize aus der Peripherie des Körpers, etwa nach einem Schnitt in den Finger, zu empfangen, zu entschlüsseln, zu vergleichen mit früheren Reizen, zu bewerten und abzuspeichern. Die Folge ist, das das Gehirn Schmerzreize unterschiedlich wahrnehmen lassen kann. Ob nun die Reize stärker oder schwächer wahrgenommen werden, hängt unter anderem von der dem Schmerz aufgewendeten Aufmerksamkeit ab, von Gefühlen, Gedanken, dem Verhalten im Zusammenhang mit dem Schmerz, sehr stark aber auch von den Erwartungen über den Schmerzverlauf. Unsicherheit erhöht dabei oft das Schmerzerleben, während Sicherheit und Kontrolle hingegen Schmerzen unterdrücken kann, d. h., eine akute Schmerzzunahme kann letztlich durch eigene schmerzpsychologische Techniken, die jeder erlernen kann, beeinflusst werden. Etwa kann der Placeboeffekt die Schmerzbehandlung unterstützen, wobei pharmakologisch betrachtet ein Placebo ein wirkstofffreies Medikament ist. Studien haben jedoch gezeigt, dass ein Placebo unter bestimmten Bedingungen eine ähnliche Wirkung entfalten kann wie das echte Medikament, wobei aber der Placeboeffekt teilweise auch die Wirksamkeit eines tatsächlichen Wirkstoffes unterstützt, allein weil Betroffene an die Effektivität der Behandlung glauben.


    Siehe auch Schmerzpsychotherapie – Verhaltenstherapie im Rahmen der Schmerztherapie

    Literatur

    Kohlert, A., Wick, K., & Rosendahl, J. (2021). Autogenic Training for Reducing Chronic Pain: a Systematic Review and Meta-analysis of Randomized Controlled Trials. International journal of behavioral medicine, doi:10.1007/s12529-021-10038-6.
    Löll, Christiane (2011). Schmerz, lass nach! Hamburger Abendblatt vom 189. Februar 2011.
    http://www.chronifizierung.de/chronifizierung/ (12-19-21)
    Tiemann, Laura, Hohn, Vanessa D., Ta Dinh, Son, May, Elisabeth S., Nickel, Moritz M., Gross, Joachim & Ploner, Markus (2018). Distinct patterns of brain activity mediate perceptual and motor and autonomic responses to noxious stimuli. Nature Communications, 9, doi:10.1038/s41467-018-06875-x.
    Stangl, W. (2022, 6. Juni). Wie die Psychologie die Schmerzbehandlung unterstützen kann. Psychologie-News.
    https:// psychologie-news.stangl.eu/4213/wie-die-psychologie-die-schmerzbehandlung-unterstuetzen-kann.
    Zieglgänsberger, W. (2017). Wie entstehen chronische Schmerzen?
    WWW: http://www.spektrum.de/frage/wie-entstehen-chronische-schmerzen/1492883 (17-11-14)
    https://flexikon.doccheck.com/de/WHO-Stufenschema (17-09-17)


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    Ein Gedanke zu „Schmerztherapie“

    1. Ich möchte eine allgemeine Schmerzen-Therapie machen. Leider bekomme ich meine Schmerzen im linken Bein nicht mehr weg. Dank des Artikels weiß ich aber auch, dass ich mein Schmerzgedächtnis auch behandeln lassen muss.

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