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selbstgesteuertes Lernen

    Als selbstgesteuertes Lernen, selfdirected learning oder Konzept der Lernerautonomie wird ein Prozess bezeichnet, bei dem der Lernende alle Komponenten des Lernens, also Lernziele, Operationen und Strategien der Informationsverarbeitung, Bewertung, Rückmeldung und den Offenheitsgrad der Lernumwelt eigenständig regelt. Dies ist in der Praxis wohl eine Utopie, denn Lernen ist prinzipiell immer sowohl fremd als auch selbstgesteuert, denn ein völlig selbstgesteuertes Lernen stellt eine Utopie dar, da es generell keine Lernprozesse gibt, das ausschließlich fremdgesteuert sind. Das beste Bild dafür ist die Vorstellung eines Kontinuums, auf dem sich Lernen zwischen Selbst- und Fremdsteuerung bewegen kann. Die Grundlagen für das selbstgesteuerten Lernen wurden bereits im 18. Jahrhundert von Jean-Jacques Rousseau geprägt. Neuere Ansätze des selbstgesteuerten Lernkonzepts finden sich in der Systemtheorie, in der Kybernetik sowie in der Chaosforschung, und auch die Reformpädagogik begann sich zunehmend mit den Themen Autonomie und Selbstständigkeit zu beschäftigen.

    Unter selbstgesteuertem Lernen versteht man stets einen aktiven Lernprozess, bei dem die individuellen Bedürfnisse des Lernenden im Mittelpunkt stehen, d. h., statt lediglich passiv Wissen von einer oder einem Lehrenden vermittelt zu bekommen, wie es beim fremdgesteuerten Lernen der Fall ist, erarbeitet sich der Schüler bzw. die Schülerin die Inhalte weitgehend selbst. Andere Begriffe für diese Lernform sind autodidaktisches, selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen, wobei im schulischen Kontext auch vom offenen Unterricht gesprochen wird. Das bedeutet konkret, dass die Schüler bzw. Schülerinnen eigene Entscheidungen treffen dürfen, was Lernstrategien, Lernpartner und manchmal sogar Lernorte anbetrifft. In einem gewissen Rahmen darf sogar über die Lerninhalte selbst entschieden werden, solange letztendlich der Lehrplan eingehalten wird. Die Schüler und Schülerinnen organisieren ihren Lernprozess eigenständig und gehen dabei in ihrem persönlichen Tempo vor. Selbstgesteuertes Lernen eignet sich nicht aber nur für Schüler und Schülerinnen, sondern auch Erwachsene können von dieser Methode enorm profitieren, denn Lernprozesse finden schließlich in jedem Lebensbereich und in jedem Lebensalter statt.

    Das Konzept der Lernerautonomie wurde Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre, unter dem Schlagwort des selbstgesteuerten Lernens bekannt und ursprünglich für die Erwachsenenbildung entwickelt, bald aber auch in anderen Bildungsbereichen eingesetzt. Es entwickelte sich zunächst in der Praxis und wurde erst später durch Ansätze, insbesondere aus der kognitiven Psychologie wie auch den Neurowissenschaften oder dem Konstruktivismus, theoretisch fundiert. Das Konzept der Lernerautonomie stellt dabei den Lernende in den Mittelpunkt, denn er besitzt die Fähigkeit, die Verantwortung für alle Entscheidungen, die sein Lernen betreffen, zu übernehmen. Der Lernende als Individuum mit seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten rückte zunehmend in den Vordergrund von didaktischen Konzepten und forderte ein Umdenken in Bezug auf die Rolle der Lernenden und die Lehrerrolle. Der autonome Lernende ist in der Lage, eigenständig Entscheidungen über verschiedene Aspekte des Lernens zu treffen, also kann entscheiden, was er lernen möchte, wie er es lernen möchte und wie schnell er es lernen möchte. Er sucht sich dafür selbstständig Material aus, das er bearbeiten will, und legt auch selbst seine Ziele fest. Während der Bearbeitung beobachtet er seinen Lernprozess und seine Lernhandlungen, die er anschließend evaluiert. Daraus zieht er Schlüsse, wie er sein zukünftiges Lernen gestalten will. Der autonome Lernende lernt gerne, ist sich der Grenzen seiner Lernmöglichkeiten bewusst, kennt seine Lernprobleme sowie seine Stärken beim Lernen und kann diese auch benennen. Darüber hinaus ist sich der autonome Lernende seiner individuellen Präferenzen für bestimmte Lernstrategien und Lerntechniken bewusst, überprüft jedoch auch ihren Einsatz und ist in der Lage unter Umständen auch neue Lernstrategien und -techniken auszuprobieren und alte zu verwerfen oder zu adaptieren. Zudem ist der autonome Lernende dazu in der Lage, gezielt neues mit bereits vorhandenem Wissen zu verbinden. Dieses Idealbild des autonomen Lernenden steht im Gegensatz zum traditionellen Bild des Schülers im Schulalltag, denn der ist abhängig vom Lehrer, der für ihn alle wichtigen Entscheidungen trifft. Der Lernende bearbeitet das vorgegebene Material innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens, der Lernrhythmus wird vom Lehrer vorgegeben und ist in der Regel für alle gleich. Die Progression und das Thema werden durch die Aufgaben bestimmt, wobei der Lernende in der Regel seinen Lernprozess und sein Lernverhalten nicht evaluiert, da der Fokus auf dem Produkt liegt und nicht auf dem Prozess. Die Erhebung der Lernleistung durch vom Lehrer konzipierte Tests kann nicht mit einer Evaluation verglichen werden, bei der es um die individuelle Entwicklung der Lernkompetenz eines Lernenden geht. Durch die gezielte Material- und Aufgabenwahl wird der Wissenserwerb vom Lehrer gesteuert, wobei es das Ziel ist, dem Lerner möglichst viel Wissen zu vermitteln, wie und ob der Lerner sich dieses Wissen aneignet, bleibt aber unklar. Der gesamte Ablauf ist produktorientiert, Im Rahmen des Konzepts der Lernerautonomie muss auch die Lehrerrolle neu definiert werden, denn der Lehrer wird zum Lernberater, Ratgeber oder auch Lernhelfer. Seine Aufgabe ist es, die Autonomie des Lerners, die während der Schullaufbahn erworben werden soll, zu fördern. Der Lehrer unterstützt den Lerner in seiner Entscheidungsfindung, der Material- und Aufgabenwahl, der Beobachtung seines Lernprozesses sowie bei der Evaluation, z. B. durch die Bereitstellung von Material oder durch beratende Gespräche (vgl. Holec, 1981).

    Nach Weinert (1982, S. 102) „kann der Handelnde die wesentlichen Entscheidungen, ob, was, wann, wie und woraufhin er lernt, gravierend und folgenreich beeinflussen“. Bei Knowles (1980, S. 18) ist der Lernende fähig „Lernbedürfnisse festzustellen, seine Lernziele zu formulieren, menschliche Ressourcen für das Lernen zu identifizieren, angemessene Lernstrategien zu wählen und zu realisieren und die Lernergebnisse zu evaluieren“. Nach Schiefele & Pekrun (1996, S. 258) „ist selbstreguliertes Lernen eine Form des Lernens, bei der die Person in Abhängigkeit von der Art ihrer Lernmotivation selbstbestimmt eine oder mehrere Selbststeuerungsmaßnahmen (kognitiver, metakognitiver, volitionaler oder verhaltensmäßiger Art) ergreift und den Fortgang des Lernens selbst überwacht“. Zimmerman (1989, p. 329) betont besonders die aktive Rolle der Lernenden: „In general, students can be described as self-regulated to the degree that they are metacognitively, motivationally, and behaviourally active participants in their own learning process“. Mandl (2004, S. 848) definiert: „Beim selbstgesteuerten Lernen bestimmt das Individuum sein Handeln eigenständig unter Verzicht auf Fremdsteuerung“.

    Beim selbstgesteuerten Lernen bestimmt demnach das Individuum sein Handeln eigenständig unter Verzicht auf Fremdsteuerung, wobei in neobehavioristischen Ansätzen zur Verhaltensmodifikation das selbstgesteuerte Lernen auf das Konzept der Selbstkontrolle bezogen wird. Nach Glynn, Thomas & Shee (1973) bezeichnet Selbstkontrolle einen aus 4 Komponenten zusammengesetzten Verhaltenskomplex:

    • Selbstwahrnehmung: Das Individuum prüft, ob es ein bestimmtes Zielverhalten gezeigt hat.
    • Selbstregistrierung: Das Individuum registriert die Auftretenshäufigkeit dieses bestimmten Verhaltens.
    • Selbstbestimmung der Verstärkung: Das Individuum bestimmt die Art und Quote seiner Verstärkung.
    • Selbstverabreichung von Verstärkung: Das Individuum verabreicht sich entsprechend seines Verstärkerplans seine Verstärkung.

    Selbstkontrolle bedeutet hier, dass das Individuum die Reize setzt, die sein Verhalten kontrollieren. Demgegenüber bedeutet Kontrolle in den kognitionspsychologischen Ansätzen Steuerung: Sie bezeichnet, dass ein intelligentes System die Prozesse der Aufnahme und Verarbeitung von Reizen steuert (Dorsch,1994).
    Selbstvertrauen. Unter Selbstvertrauen versteht man ein auf Eigenmacht basierendes Gefühl, das mit möglichen Schwierigkeiten fertig wird.

    Gehirn kann sich selber belohnen

    Menschen und Tiere lernen einerseits, wenn sie für ihr Verhalten belohnt werden, andererseits aber häufig auch dann, wenn sie eine Belohnung lediglich erwarten, wobei eine Belohnung nicht unbedingt Materielles sein muss, sondern auch Lob und soziale Interaktionen umfassen kann. Im Alltag eignen sich Menschen häufig neues Wissen an, ohne dafür belohnt zu werden, d. h., wobei unbelohntes Lernen im Gehirn dennoch zu stabilen Gedächtnisinhalten führt. Untersuchungen (Ripollés et al., 2016) zeigen, dass wenn das menschliche Gehirn von außen kein belohnendes Feedback erhält, es in der Lage ist, die fehlende äußere Belohnung durch ein inneres Signal zu simulieren, und so dieses Lernen neuer Informationen selbstgesteuert zu verstärken. Insgesamt zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass selbstgesteuertes Lernen die Belohnungsgedächtnisschleife des Gehirns anstoßen kann. Allerdings ist unklar, wann selbstgesteuertes Lernen etwa eine bessere Lernmethode darstellt als ein Lernen, das auf externes Feedback und Belohnung baut, bzw. unter welchen Bedingungen externe und interne Belohnungsstrategien beim Lernen optimal ineinandergreifen.

    Selfdirected Learning in Unternehmen

    Selfdirected Learning bzw. Eigenständigkeit beim Lernen lässt sich nicht in jedem Unternehmen sofort und einfach einsetzen, denn wenn die Strukturen eher starr waren, ist zunächst eine Veränderung dieser Strukturen notwendig. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Führungskultur, da Selfdirected Learning gerade für Vorgesetzte und Führungskräfte subjektiv betrachtet einen Kontrollverlust darstellt. Daneben spielen Kommunikation und Evaluation bei einem solchen Wandel eine wichtige Rolle, wobei eine gute externe Beratung all diese Aspekte leichter berücksichtigen und das Unternehmen auf dem Weg zu einem passenden E-Learning-Konzept begleiten kann, denn erfahrungsgemäß greift Beratung rund ums Thema E-Learning innerhalb eines Unternehmens oft zu kurz, denn es geht nicht allein darum, das passende webbasierte Training auszuwählen, sondern um das richtige Gesamtkonzept für den geplanten Lernprozess, insbesondere dann, wenn die MitarbeiterInnen an eigenverantwortliches Lernen erst herangeführt werden müssen. Vor allem geht es um die Motivation der MitarbeiterInnen, denn je motivierter diese beim selbstgesteuerten Lernen sind, desto höher ist deren Zufriedenheit und auch der nicht unwesentliche Lerntransfer. Dabei ist es gleichgültig, ob die Motivation aus Interesse entsteht, oder weil in dem Unternehmen ein konkretes Problem gelöst werden soll. Meist ist E-Learning allein nicht immer die richtige Lösung, denn in der Regel sind es verschiedene Maßnahmen und Formate, die ineinander greifen und den MitarbeiterInnen ein vielfältiges Lernangebot bieten müssen. Dabei kann ein Lernberater den Mitarbeitern einen Überblick über das Angebot verschaffen und erklären, welches Format zur Arbeitsweise, den technischen Voraussetzungen und der Zeitspanne passt, die dafür zur Verfügung stehen. Die Unternehmen stehen daher vor der Herausforderung, für jeden Lernbedarf das Wissen im geeigneten Format zur Verfügung zu stellen. Bei guter Beratung werden Herausforderungen des Unternehmens festgestellt, Wege aufgezeigt und realistische Ziele genannt.

    Literatur

    Friedrich, H. F. & Mandl, H. (1997). Analyse und Förderung selbstgesteuerten Lernens. In F.E. Weinert, (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (Enzyklopädie der Psychologie, Serie I, Themenbereich D, Praxisgebiete, Bd. 4, (S. 237-293). Göttingen: Hogrefe.
    Glynn, E. L., Thomas, J. D., & Shee, S. M. (1973). Behavioral self-control of on-task behavior in an elementary classroom. Journal of Applied Behavior Analysis, 6, 105-113.
    Holec, H. (1981). Autonomy and foreign language learning. Oxford: Pergamon.
    Knowles, M. (1980). Self-directed learning. A guide for learners and teachers. Englewood Cliffs: Prentice Hall.
    Ripollés, P., Marco-Pallarés, J., Alicart, H., Tempelmann, C., Rodríguez-Fornells, A. & Noesselt, T. (2016). Intrinsic monitoring of learning success facilitates memory encoding via the activation of the SN/VTA-Hippocampal loop. doi:10.7554/eLife.17441.
    Schiefele, U. & Pekrun, R. (1996). Psychologische Modelle des fremdgesteuerten und selbstgesteuerten Lernens. In E. Weinert (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie. Pädagogische Psychologie: Bd. 2. Psychologie des Lernens und
    der Instruktion (S. 249-278). Göttingen: Hogrefe.
    Weinert, F. E. (1996). Für und Wider die „neuen Lerntheorien“ als Grundlage pädagogisch-psychologischer Forschung. Zeitschrift für pädagogische Psychologie, 10 (1), 1–12.
    Zimmerman, B. J. (1989). A social-cognitive view of self-regulated academic learning. Journal of Educational Psychology, 81, 329-339.


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    Ein Gedanke zu „selbstgesteuertes Lernen“

    1. Zu den erarbeitenden Verfahren zählen:
      Projektarbeit: Eine Gruppe bearbeitet ein gemeinsam gewähltes Thema innerhalb eines festgelegten Zeitraums.
      Moderation: Alle Gruppenmitglieder diskutieren über ein Thema. Ein Moderator sorgt für einen gerechten Diskussionsablauf.
      Gruppenpuzzle: In Gruppenarbeit werden Teilaspekte eines bestimmten Themenschwerpunkts bearbeitet. Danach werden die Ergebnisse in neu gebildeten Gruppen präsentiert.
      Stationenlernen: Es gibt verschiedene Stationen mit Wahl- und Pflichtaufgaben. Die Lernenden arbeiten diese Stationen in beliebiger Reihenfolge mit flexibler Zeiteinteilung ab.
      Zu den darstellenden Verfahren zählen:
      Rollenspiel: Szenen mit lernrelevantem Inhalt werden in Gruppen nachgestellt.
      Referat: Referate sind die Klassiker unter den darstellenden Verfahren. Es wird entweder einzeln oder in einer Gruppe ein Vortrag zu einem bestimmten Thema gehalten.
      Visualisierung: Abstrakte Themen werden mithilfe verschiedener Hilfsmittel (z. B. Experimente oder Bildmaterial) veranschaulicht.
      Zu den vertiefenden Verfahren zählen:
      Dominoverfahren: Ähnlich wie beim Dominospiel gilt es passende Fragen und Antworten zusammenzufügen.
      Strukturierung: Komplexe Themen werden in Teilaspekte aufgeteilt und vereinfacht wiedergegeben.
      Sortieraufgaben: Vertiefung und Überprüfung der gelernten Inhalte.
      Zu den vernetzenden Verfahren zählen:
      Entdeckendes Lernen: Wissensvermittlung nach dem Prinzip „Ausprobieren und Lernen“. Durchführung eigener Experimente, um Theorien zu beweisen oder zu widerlegen.
      Ganzheitliches Lernen: Lernen mit allen Ressourcen und Sinnen.
      Zu den integrierenden Verfahren zählen:
      Lernen durch Wissensvermittlung: Ein einzelner Schüler oder eine Gruppe von Lernenden gibt zuvor angeeignetes Wissen an andere weiter. Auf diese Weise lassen sich die Inhalte noch einmal vertiefen.

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