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Asexualität

    Asexualität ist die Abwesenheit sexueller Anziehung gegenüber anderen Menschen oder das generelle Fehlen eines Interesses nach Sexualität, wobei Asexualität nicht mit sexueller Abstinenz gleichgesetzt werden kann, die einen selbst auferlegten Verzicht auf sexuelle Aktivitäten trotz vorhandener Fähigkeit und Motivation bezeichnet. Sexualität umfasst dabei neben Geschlechtsverkehr auch Küssen, Petting, Oralverkehr, Analverkehr, BDSM, oder Selbstbefriedigung. Asexuelle Menschen können sich zwar in andere Menschen verlieben und in ihrer Orientierung schwul, lesbisch, bi, hetero oder pan sein, d. h., wobei asexuelle Menschen eine romantische Partnerschaft suchen bzw. führen und ihren PartnerIinnen gegenüber Zuneigung empfinsen, aber eben keine Lust auf Sexualität verspüren.

    In der Regel zeigt sich die Asexualität bereits in der frühen Kindheit, was aber meist erst in der Pubertät sichtbar wird, dass sie anders als ihre Peers empfinden. Zwar verspüren auch andere Menschen Zeiten oder Lebensphasen, in denen sie keine oder kaum Lust auf Sexualität haben, allerdings bleibt ihre Libido im Kern erhalten. Asexualität wird dabei nicht als Krankheit verstanden, da bei Asexualität im Gegensatz zu Störungen der sexuellen Anziehung kein primärer Leidensdruck vorhanden ist und asexuelle Menschen diesen Umstand für sich selbst als passend empfinden. Es gibt jedoch auch asexuelle Menschen, die nur auf Grund eines Kinderwunsches Geschlechtsverkehr praktizieren. Asexualität wird aktuell zwar nicht mehr als psychische Störung klassifiziert, doch in der aktuell gültigen fünften Version des »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders« (DSM-5) finden sich die Diagnosen »Male Hypoactive Sexual Desire Disorder« und »Female Sexual Interest/Arousal Disorder«. Beide Störungsbilder beschreiben zwar ein vermindertes Lustempfinden mit Leidensdruck, werden jedoch nicht diagnostiziert, wenn die Symptome besser durch Asexualität zu erklären sind. Einige Asexuelle sehen das aber ebenfalls kritisch. denn Leidensdruck kann auch durch mangelnde Akzeptanz der Gesellschaft entstehen.

    Häufig wird asexuellen Frauen unterstellt, dass sie frigide oder traumatisiert seien, obwohl Asexualität nichts mit sexueller Gehemmtheit zu tun hat und diese sich auch nicht auf Grund von Traumata entwickelt hat. Sexuelle Funktionsstörungen wie Erektionsschwäche, vorzeitiger oder verzögerter Orgasmus, Scheidenkrampf, mangelnde Libido, Schwierigkeiten beim Orgasmus oder Schmerzen bei der Sexualität gehören nicht in das Spektrum der Asexualität.

    In der Psychologie und auch Psychotherapie wird Asexualität meist als eine Form einer psychischen Auffälligkeit dargestellt, da man in diesen Domänen davon ausgeht, dass jeder Mensch zumindest in einem gewissen Ausmaß sexuelle Lust zeigen muss, um als psychisch gesund zu gelten. Teilweise leben daher asexuelle Menschen auch unter einem gewissen gesellschaftlichen Anpassungsdruck, sich „normal“, also sexuell zu verhalten. Asexuellen Menschen fällt es meist auch sehr schwer zu erklären, was sie empfinden, da sich die Abwesenheit eines sexuellen Bedürfnisses kaum in Worte fassen lässt, empfinden aber Druck, Stress, Verkrampfungen, Anspannung und körperliche Enge, wenn sie sich selbst zu sexuellen Handlungen zwingen.

    Asexualität ist dabei auch keine sexuelle Orientierung, denn es gibt keine Ausrichtung der Sexualität auf ein Sexualobjekt. Physiologisch sexuelle Erregungsprozesse können bei Asexuellen vorhanden sein, werden aber von diesen nicht angestrebt, nicht bewusst hervorgerufen und nicht als Ausgangspunkt für sexuelle Befriedigung genutzt. Den Gegenpol bildet die Hypersexualität, also das stark gesteigerte Verlangen nach Sexualität, bei der ein großen Teil des Alltags mit sexuellen Fantasien oder sexuellen Aktivitäten verbracht werden.

    Im wissenschaftlichen Diskurs kam Asexualität erst in diesem Jahrtausend wirklich an, als. 2004 der kanadische Psychologe Anthony Bogaert Angaben von mehr als 18 000 Personen in Großbritannien auswertete, die unter anderem zu ihrer sexuellen Identität befragt worden waren. Ein Prozent der Befragten hatte dabei der Aussage »Ich habe mich noch nie zu jemandem sexuell hingezogen gefühlt« zugestimmt und wurde deshalb von Bogaert als asexuell eingestuft. Dennoch ist nicht genau bekannt, wie viele Menschen sich heute als asexuell bezeichnen, was auch daran liegt, dass viele Studien Asexualität unterschiedlich definieren.

    Da theoretische Modelle die Aufmerksamkeit als eine zentrale Komponente der sexuellen Reaktion betrachten, haben Milani et al. (2022) in einer Studie die Aufmerksamkeitsverarbeitung erotischer Reize bei Asexuellen und Heterosexuellen untersucht. Sie gingen dabei von der Hypothese aus, dass heterosexuelle Menschen anfängliche und kontrollierte visuelle Aufmerksamkeitsmuster aufweisen, die erotische Bilder gegenüber nicht-erotischen Bildern bevorzugen. Man vermutete, dass asexuelle Teilnehmer deutlich geringere oder gar keine Unterschiede in der Aufmerksamkeit gegenüber erotischen und nicht erotischen Bildern aufweisen würden. Die Probanden absolvierten eine Eye-Tracking-Aufgabe beim Betrachten erotischer und nicht-erotischer Bilder, wobei die Eye-Tracking-Daten keine Gruppenunterschiede bei der anfänglichen Aufmerksamkeit auf erotische Bilder zeigten. Bei der kontrollierten Aufmerksamkeit zeigte sich eine große Effektgröße in der angenommenen Richtung, d. h., heterosexuelle Teilnehmer fixierten mehr und länger auf erotische Bilder, während Asexuelle eine gleichmäßigere Verteilung der Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Bildtypen aufwiesen. Eine explorative Analyse der Gruppenunterschiede bei der Assoziation zwischen visueller Aufmerksamkeit und der Bewertung der sexuellen Attraktivität ergab ein komplexes Muster von Unterschieden, mit einigen Hinweisen auf eine stärkere Assoziation zwischen Gesamtfixation und sexueller Anziehung bei heterosexuellen Teilnehmern. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Unterschiede in der Aufmerksamkeit gegenüber sexuellen Reizen möglicherweise die grundlegenden Unterschiede zwischen asexueller und allosexueller Orientierung darstellen.

    Literatur

    Milani, Sonia, Zhang, Jia Yu, Zdaniuk, Bozena, Bogaert, Anthony, Rieger, Gerulf & Brotto, Lori A. (2022). Examining Visual Attention Patterns among Asexual and Heterosexual Individuals. The Journal of Sex Research, doi:10.1080/00224499.2022.2078768
    https://www.spektrum.de/news/asexualitaet-wie-es-ist-keinen-sex-zu-wollen/2056752 (22-09-26)


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