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Bildungsfähigkeit

    Bildungsfähigkeit oder Bildsamkeit meint die generelle Fähigkeit des Menschen, auf Bildungsangebote reagieren und dadurch sowohl als Akteur als auch als Objekt die Ausprägung der genetisch vorgegebenen Anlagen beeinflussen zu können. Die Wissenskumulation in der Entwicklungsgeschichte des Menschen ist ein eindrucksvoller Beleg für das Potenzial menschlicher Bildsamkeit trotz unveränderter genetischer Ausstattung seit Jahrtausenden. Durch intensivere Erziehung und Unterweisung vermag der rezente Mensch heute Aufgaben zu lösen, die dem genetisch gleichartigen Menschen der Jüngeren Altsteinzeit nicht zugänglich waren.

    Der Begriff Bildsamkeit wurde zunächst im Deutschen Idealismus sowie bei den klassischen, romantischen und aufklärerischen Dichtern verwendet, und erst später von den Klassikern der Pädagogik aufgenommen, wobei er sich in diesem Kontext vornehmlich auf die Möglichkeit bezog, auf Heranwachsende pädagogisch einzuwirken, d.h., diese zu erziehen und zu bilden.  Der Begriff Bildsamkeit wurde schließlich durch J. F. Herbart in seinen Vorlesungen in die Pädagogik eingeführte und steht von Beginn an in Beziehung zum Begriff der Erziehungsbedürftigkeit des Menschen. Bildsamkeit bedeutet daher nicht nur Plastizität im Sinne von Anpassungsfähigkeit und Entwicklung von Dispositionen wie Begabungen, sondern eine individuell abgestufte Veränderbarkeit von Verhaltensweisen, Einstellungen und Werthaltungen durch planmäßige, an bestimmten Erziehungszielen orientierte Beeinflussungen, also durch Erziehung. Die Bildsamkeit eines Menschen ist mitbestimmt durch das jeweilige gesellschaftliche Verständnis von Bildung und die daraus abgeleiteten Forderungen, aber auch speziell durch die unterschiedlichen begünstigenden oder behindernden Lebenssituationen und sozialen Konstellationen.

    Begabung darf daher nicht als statisches, sondern muss als dynamisches Phänomen verstanden werden. Die wissenschaftliche Diskussion um die Bildsamkeit des Menschen ist sehr komplex, weil damit auch der äußerst facettenreiche Bildungsbegriffs verknüpft ist, der aus der Erziehungswissenschaft in die Pädagogische Psychologie herüberwirkt, die immer an Antworten der Entwicklungspschologie interessiert und beteiligt war. Diese Diskussion ist zugleich außerordentlich belastet, weil die sich dahinter verbergende Frage nach dem Verhältnis von Anlage und Umwelt historisch immer von gesellschaftspolitischer Bedeutung war. Ideologische Einseitigkeiten in beiden Richtungen haben im letzten Jahrhundert verheerende gesellschaftliche Auswirkungen gehabt: die rassebiologische Erbtheorie im Nationalsozialismus und die Milieutheorie im Kommunismus, aber auch manche Formen der Frühförderung in den USA.


    1. Definition
    „Bildungsfähigkeit ist zwar eine Naturanlage, zugleich aber auch ein sozial-historisches Konstrukt im Wandel, das je nach gesamtgesellschaftlichem Kontext und struktureller Entwicklung des Bildungssystems Personengruppen ab- und zugesprochen wird“ (Gaus, 2010, S. 15).
    2. Definition
    Wer den Menschen bilden will, muss seine Anlagen und Entwicklungsmöglichkeiten kennen. In diesem Kontext befasst man sich mit der Frage der Bildsamkeit/Bildungsfähigkeit eines Menschen, also mit seiner individuellen Formbarkeit im Sinne der Ausbildung von Anlagen, der Prägung durch soziale Faktoren und der Anpassung kultureller Gehalte und an kulturelles Verhalten“ (dtv-Atlas Pädagogik, 2008, S. 127).
    3. Definition
    Der Begriff Bildungsfähigkeit ist nicht mit dem Erlernen von Kulturtechniken gleichzusetzen (Wüllenweber & Theunissen, 2006, S. 44).
    4. Definition
    Der Begriff Bildungsfähig wird auch für schwankend, begrenzt und ungenau gehalten. Es geht bei der Bildungsfähigkeit nicht nur um das Lernen, sondern auch um die Bildung von Sitte und Verhalten eines Menschen. Somit kann der Begriff auch mit „seblstständige Fortkommen in der Welt“ und Nützlichkeit eines Menschen in Verbindung gebracht werden (Sengelmann zit. nach Hänsel, Schwager 2004, S. 156).
    5. Definition
    Ein weiterer Aspekt ist, dass persönliche Erfahrungen dem Menschen aufgrund seiner Bildungsfähigkeit erlauben oder ermöglichen fehlendes Wissen zu kompensieren (Czoernig, 1858, S.191,192).

    Literatur

    Benner, D. & Brüggen, F. (2004). Bildsamkeit/Bildung (S. 174–215). In D. Benner & J. Oelkers (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Pädagogik. Weinheim: Beltz.
    Burkard F.-P. (2008). dtv-Atlas Pädagogik. München: Verlag DTV Deutscher Taschenbuch Verlag.
    Czoernig K. (1858).  Oesterreich’s Neugestaltung, 1848-1858, J. G. Cottasche Verlagsanstalt.
    Gaus D. (2010). Bildung, jenseits pädagogischer Theoriebildung – Fragen zu Sinn, Zweck und Funktion der Allgemeinen Pädagogik. VS-Verlag.
    Hänsel D. & Schwager H.-J. (2004). Die Sonderschule als Armenschule  – vom gemeinsamen Unterricht zur Sondererziehung nach Braunschweiger Muster. Verlag Peter Lang.
    Stangl, W. (2017, 28. Dezember). Entwicklungspsychologie – Betrachtung, möglichkeit, Entwicklung. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/PSYCHOLOGIEENTWICKLUNG/Anlage-Umwelt.shtml
    Wüllenweber E. & Theunissen G. (2006). Pädagogik bei geistigen Behinderungen – Ein Handbuch für Studium und Praxis. W. Kohlhammer Verlag.
    https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/bildsamkeit (17-12-12)


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