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Selbsttäuschung

    Die Begriffe Selbsttäuschung bzw. Selbstbetrug bezeichnet eine Täuschung, der sich jemand in Bezug auf sich selbst hingibt. Ein Mensch, der sich selbst täuscht, ist aufgrund einer speziellen Motivation von etwas objektiv Falschem überzeugt, wobei sein Verhalten darauf hindeuten kann, dass er sich der Wahrheit bis zu einem gewissen Grad bewusst ist.

    Was manchmal als Selbsttäuschung oder Selbstbetrug benannt wird, verweist aber auch auf die Tatsache, dass Erinnerungslücken oder Wissenslücken bei Unsicherheit und Ungenauigkeit vom Gedächtnis überspielt werden, indem es einfach etwas hinzu fügt. Dabei bedient es sich anderer Gedächnisinhalte und Erinnerungen, die entweder dazu passen könnten oder einmal in einem ähnlichen Kontext standen. Je häufiger man dann eine so ergänzte Erinnerung wiederholt, je mehr man diese in seinem Kopf weiterspinnt, desto realer erscheint sie dann mit der Zeit. Dabei wird immer mehr verdrängt, was damals genau war und die mentale Ergänzung wird plötzlich so erlebbar, dass man denkt, man hätte es tatsächlich erlebt.

    Mit Selbsttäuschung oder Selbstbetrug in Zusammenhang steht die Bestätigungstendenz oder der Bestätigungsfehler, der die Neigung von Menschen bezeichnet, vorwiegend jene Informationen zu suchen, wahrzunehmen und eben auch zu erinnern, die eine einmal vorgefasste Meinung bestätigen (selektive Wahrnehmung). Unbewusst ausgeblendet werden dabei all jene Informationen, die die eigenen Erwartungen widerlegen könnten.

    Nach Michael Shermer ist der Bestätigungsfehler die Mutter aller kognitiven Verzerrungen, da man stets nach Beweisen für das sucht, von dem man überzeugt ist und schließlich diese Beweise auch findet. Das ist die erste Schicht, über der als weitere Schicht eine Art allgemeiner Denkprozess liegt, der versucht, die Welt insgesamt zu verstehen, ihr Sinn zu geben. Denn die Welt ist größtenteils ziemlich chaotisch, denn es gibt viele Variablen, die ein Ereignis beeinflussen, wobei Beliebigkeit und Zufall jene Faktoren sind, die man meistens nicht wahrnehmen will. Unsere Gehirne sind nicht so verkabelt, um große Muster zu erkennen, denn Menschen sind eher dazu geeignet, kleine Muster zu erkennen, die etwas verstehbar machen, etwa was Wirtschaft, Politik und Gesellschaft betrifft, denn da sind Verschwörungstheorien attraktiv, da sie einfach sind und nur einige wenige Faktoren beinhalten. Da gibt es dann Politiker, der im Geheimen die Strippen zieht und dafür sorgen, dass Kriege ausbrechen, dass die Wirtschaft sich in eine bestimmte Richtung entwickelt usw. Aber die Wahrheit ist viel chaotischer und komplexer, doch die meisten Menschen sind einfach nicht so verdrahtet, dass sie das erkennen können. Hinzu kommt, dass Forschungen über die Psychologie des Extremismus zeigen, dass dann extreme Haltungen oft jene Menschen entwickeln, die glauben, dass sie komplexe Themen besser als andere verstehen, obwohl sie es tatsächlich nicht tun. Untersuchungen zur gesellschaftlicher Relevanz von genetisch modifizierter Nahrung etwa zeigen, dass über neunzig Prozent der Menschen angeben, dass sie zumindest leichte Aversion gegen diese hegen, doch je stärker diese Aversion ist, umso mehr Wissen über das Thema schreiben sie sich selber zu, doch umso weniger Wissen haben sie tatsächlich. Kurz: Extreme Gegner wissen es am wenigsten, aber sie denken, dass sie am meisten wissen (Fernbach et al., 2019). Bei Klimawandelleugnern scheint der Dunning-Kruger-Effekt, anders als diese Studie nahelegt, nicht zuzutreffen, denn man nimmt vielmehr an, dass die politische Polarisierung und die Zugehörigkeit zu diesen Gruppen die Einstellungen der Menschen zum Klimawandel sehr viel stärker prägen als das Wissen bzw. Nichtwissen darüber.

    Strategien zur Selbsttäuschung

    Überzeugungen sind nach Ansicht von Marchi & Newen (2022) wie Pfeiler, die das eigene Weltbild stabilisieren und schützen sollen, wobei dabei vor allem jene Überzeugungen wichtig sind, die das positive Bild stützen, das man von sich selbst oder anderen nahestehenden Menschen hat. Diese werden besonders hartnäckig verteidigt, denn es geht dabei ja nicht um die Fakten an sich, sondern immer um den Menschen, der sie vertritt. Dabei werden oft vier Strategien angewendet, und zwar oft ohne, dass man dies selbst bemerkt. Dabei ist Selbsttäuschung kurzfristig weder unvernünftig noch nachteilig, sondern sie kann vielen auch helfen, sich in schwierigen Situationen gut zu fühlen und motiviert zu bleiben. Es gibt aber auch wahre Meister darin, sich selbst zu belügen. Denn Selbsttäuschung gehört offenbar zum Leben eines jeden Menschen dazu. Das Perfide an der Selbsttäuschung aber ist, dass sie sich einfach in die Gedanken hineinschleicht, ohne dass es vielen bewusst wird. Vier typische Strategien der Selbsttäuschung haben Francesco Marchi und Albert Newen beschrieben und wie sie funktionieren.

    • Die erste Strategien ist die „Reorganisation der Überzeugungen“, wobei man die Fakten so interpretiert, dass sie den Überzeugungen folgen, obwohl die Beweise eher dagegen sprechen. Statt die Überzeugung also anzupassen, behält man die Überzeugung bei und organisiert sich eine Interpretation, die das zulässt.
    • Eine zweite Strategie ist das „Auswählen von Tatsachen“, dass man also jene Fakten auswählt, die die Überzeugung stützen, und umgekehrt gern alles vermeidet, was diese Überzeugungen torpedieren könnte.
    • Eine dritte Strategie ist das „Zurückweisen von Tatsachen“, wobei Menschen Fakten diskreditieren, die ihnen die eigene Überzeugung zerstören könnten, etwa indem die Glaubwürdigkeit der Quelle anzweifelt wird.
    • Als vierte Strategie ist das „Generieren von Tatsachen“, die dann zur Anwendung kommt, wenn es schwierig wird, die vorherigen Strategien aufrecht zu erhalten. Wo immer Situationen mehrdeutig sind, schlägt diese Strategie dann zu und fischt sich jene Erklärung heraus, die die eigene Überzeugung noch am meisten zu stützen vermag.

    Nur wenn Überzeugungen mittel- und langfristig völlig veränderungsresistent bleiben, wird es problematisch, vor allem dann, wenn sich die Umstände ändern und man an seinen Überzeugungen trotzig festhält.

    Viele Selbsttäuschungen fungieren auch als Abwehrmechanismus, denn sie mildern eine oft unangenehme Wahrheit ab und machen möglicherweise vorhandene Defizite erträglicher. Problematisch und unter Umständen krankheitswertig wird ein solches Verhalten allerdings dann, wenn aus einer Schönfärberei echter Selbstbetrug wird, der keinen Widerspruch mehr zulässt, wofür vor allem Menschen mit einem übergroßen Selbstwertgefühl anfällig sind. Denn um dieses Selbstbild zu verteidigen, befinden sie sich permanent in einer Art Kampfposition, aus der heraus alles, was nicht in das eigene Selbstbild passt, abgeblockt wird, und zwar nicht nur gegenüber anderen Menschen, sondern auch gegenüber sich selbst. Krankheitswertig kann diese Art der Selbsttäuschung bei Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung werden, denn diese täuschen und lügen, um den eigenen Willen durchzusetzen, um Anerkennung zu erhalten und sich selbst gegenüber anderen zu erhöhen.

    Siehe dazu Die Frage „Was ist Wahrheit?“

    Literatur

    Fernbach, P. M., Light, N., Scott, S. E., Inbar, Y. & Rozin, P. (2019). Extreme opponents of genetically modified foods know the least but think they know the most. Nature Human Behaviour, doi:10.1038/s41562-018-0520-3.
    Marchi, Francesco & Newen, Albert (2022). Self-deception in the predictive mind: cognitive strategies and a challenge from motivation. Philosophical Psychology, doi:10.1080/09515089.2021.2019693.


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