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Modelllernen

    Wir brauchen unsere Kinder nicht erziehen,
    sie machen uns sowieso alles nach.
    Karl Valentin

    Auch in einem Königshaus lernt man wie die Affen:
    indem man die Eltern beobachtet.
    Charles, Prince of Wales

    Erziehen heißt vorleben.
    Alles andere ist höchstens Dressur.
    Oswald Bumke

    Die schwierigste Aufgabe, die Kinder heute lernen müssen,
    ist gutes Benehmen, ohne es bei irgendjemandem zu sehen.
    Fred Astaire

    Bekanntlich lernen Kinder durch Nachahmen und Beobachten vor allem der Eltern, denn dadurch eignen sich Menschen jenes Verhaltensrepertoire an, auf das sie später vor allem auch in Belastungsssituationen automatisch zurückgreifen können. Das hat den entscheidenden Vorteil, dass sich auf diese Weise zahlreiche komplexe Verhaltensmuster übernehmen lassen, von dem das Kind bereits gesehen hat, dass sie funktionieren, was nicht nur Lernzeit spart sondern später auch von Vorteil sein kann, wenn man in einer kritischen Situation nicht erst ausprobieren muss, wie man am besten reagiert. Die Theorie des Lernens am Modell beruht darauf, dass viele Tiere und die Menschen durch Abschauen bei anderen lernen und das Gesehene in einfachen oder komplexen kognitiven Prozessen verarbeiten, wobei sie ein kognitives Konzept als Modell eigenen Verhaltens erstellen.

    Menschen orientieren sich auch lieber am Verhalten anderer als sich belehren zu lassen, d. h., Vorwürfe z. B. für ein umweltschädliches Verhalten provozieren eher Widerstand, besonders dann, wenn diese Vorhaltungen auch noch stimmen. Eine Erklärung ist, dass Menschen, die unsicher sind, eher geneift sind, das Verhalten anderer Menschen nachahmen und sich von diesem inspirieren zu lassen, und zwar im Guten wie im Schlechten: Wenn sich viele Menschen einen SUV kaufen, dann eifern viele andere ihnen nach, weil es normal ist, so ein Auto zu besitzen. Wer Käufer vom Erwerb eines solchen für die Umwelt nicht günstigen Fahrzeug abhalten will, sollte darauf hinweisen, dass sich immer mehr Kunden für benzinsparende Modelle entscheiden. Natürlich muss diese Aussage weitgehend zutreffen, sonst wäre es eine unlautere Manipulation.

    Die Lerntheorien des Kognitivismus beziehen dabei Kognitionen und Emotionen mit ein. Eine kognitive Theorie ist beispielsweise die des Lernens durch Einsicht (kognitives Lernen). Die Bedeutung von Kognition zeigt sich in der sozial-kognitiven Theorie Albert Banduras: Die Erwartung der eigenen Selbstwirksamkeit (Self-Efficacy) ist hier ein zentraler Einfluss auf das Verhalten – ein anderer ist hier die aktuelle Gefühlslage. Lernen am Modell, Imitationslernen und Identifikationslernen sind Formen des sozialen Lernens. Beim Lernen am Modell liegt die Attraktivität bei dem Erfolg der beobachteten Handlung. Beim Imitationslernen liegt die Attraktivität in der beobachteten Handlung. Beim Identifikationslernen liegt die Attraktivität in der beobachteten Person.

    Das Video zum Modelllernen – Bobo Doll


    [Quelle: https://www.youtube.com/Pr0OTCVtHbU]

    1. Definition
    „Das Lernen am Modell ist eine Form des sozialen Lernens, welches auch als Immitationslernen, Beobachtungslernen, Modelllernen oder Nachahmungslernen bezeichnet wird. Hierbei werden Verhaltensformen, die bei anderen gesehen werden, in das eigene Verhalten übernommen. Der Lernende ist der Beobachter, die beobachtete Person das Modell. Das Lernen am Modell ist eine der urtümlichsten Lernformen des Menschen“ (Schröder, 2001, S.224).
    2. Definition
    „Modelllernen dient primär der kognitiven Informationsverarbeitung und –speicherung, sodass es als Vorläufer der Handlungstheorien angesehen werden kann (Edelmann zit. nach Pluge, 2000). Bandura (1965) definiert es als Fähigkeit des Menschen, kognitive Fertigkeiten in Form von Wissen und Verhaltensweisen durch Beobachtung eines Vorbildes (Modells) zu erwerben oder zu verändern, wobei das Modell entweder real (z.B. als Person) oder symbolisch (z.B. als Text) gegeben sein kann“ (Pluge, 2009, S.12).
    3. Definition
    „Mit dem Lernen am Modell haben Menschen die Möglichkeit, schnell komplexe Verhaltensweisen durch soziale Kontakte zu übernehmen (z.B. Kleidung, Bewegung, Mimik, Gestik, sprachlicher Ausdruck, Rollenverhalten etc.). Dabei ist es wichtig, sich deutlich zu machen, dass Modelllernen häufig implizit (qua unbewusst) stattfindet“ (Wagner & Hinz & Rausch & Becker, 2009, S.34).
    4. Definition
    Viele Verhaltensweisen und physiologischen Veränderungen werden nicht durch die direkte Erfahrung von klassischen und operanten Konditionierungsprozessen gelernt, sondern können auch durch Modelllernen bzw. Lernen durch Beobachtung erworben werden. Modelllernen ist bedeutsam für das Entstehen und emotionale Erleben von Krankheiten, z.B. wurde bei somatischen Störungen nachgewiesen, dass Familienmitglieder chronisch krank waren und somit ein Modell für den Umgang mit Erkrankungen abgaben (vgl. Ehlert, 2003, S.98).
    5. Definition
    „Bei Tier und Mensch sind Tendenzen zu beobachten, durch Nachahmung oder Beobachtung des Verhaltens anderer in einer bestimmten Situation von diesem Verhalten zu lernen und ähnliches […] Verhalten zu zeigen. Insbesondere Menschen können auch durch Beobachtung eines Modells […] nicht nur neue Reaktionen oder Verhaltensweisen lernen, sondern auch ihre alten modifizieren oder verstärken. Dabei ist es ohne Belang, ob der Betreffende sein neues Modellverhalten bereits in der Situation zeigt oder danach“ (Kron, 2009, S.189).


    Amüsantes zum Modelllernen

    Die Werbeagentur BBDO Berlin hat übrigens für einen Kleinwagen den  Spot „Kids“ gestaltet, der das Phänomen des Nachahmungslernens von Kindern auf amüsante Weise illustriert:


    [Quelle: https://www.youtube.com/iaZ5TRyOJTw]

    Ausführlicher ist die englische Version:


    [Quelle: https://www.youtube.com/2KSzDmYljoI]


    Praktische Beispiele zum Modelllernen

    • Ein Meister packt kräftig in der Werkstatt zu und ist sehr fleißig. Seine Auszubildenden eifern ihm nach, da er gute Arbeit bei ihnen anerkennt. Er wirkt als Modell, weil er beliebt ist, als Meister eine gewisse Macht hat und das Übernehmen des Verhaltens „fleißig arbeiten“ verstärkt. Wenn der Meister jedoch von der Geschäftsleitung ständig kritisiert würde, würden sich die Jugendlichen ihn nicht ohne weiteres zum Modell nehmen, da er selbst dann für sein Verhalten nicht verstärkt werden würde.
    • Die Hausfrau füllt die Gläser mit Orangensaft aus einer Karaffe. Ihr kleiner Sohn schaut ihr dabei zu und versucht am nächsten Tag selbst die Gläser zu füllen …
    • Ein Schüler erlebt es fast täglich mit, wie sein älterer Bruder JMitschüler durch Brutalität einschüchtert. Offensichtlich respektieren die Mitschüler ihn dafür (sei es nur aus Angst). Da auch der Schüler respektiert werden möchte und in der Schulcafeteria nicht lange anstehen möchte, versucht er das Verhalten seines Bruders nachzuahmen.
    • Ein Vater zeigt seiner Tochter, wir sie ein Raumschiff malen kann. Sie versucht das Beobachtete sofort zu Papier zu bringen.
    • einem Kind wird erklärt und gezeigt, wie es mit Messer und Gabel umgehen kann: „… und dann nimmst Du die Gabel so in die Hand und führst sie zum Mund. Sieh mal, wie ich das mache!“

    Neuronale Basis des Beobachtungslernens

    Wenn Menschen aus der Beobachtung des Verhaltens anderer lernen, wenden sie mindestens zwei verschiedene Strategien an. Bei der ersten Form der Nachahmung geht es um Entscheidungen, die von früheren Handlungen anderer Akteure einfach wiederholt werden (Imitation), während bei der anderen Form Nachahmung die Ziele und Absichten der Person im Vordergrund stehen und diese für eigene Handlungen abgeleitet werden, ohne aber die Handlungen des anderen nur zu kopieren (Emulation). Trotz der Prävalenz des beobachtenden Lernens bei Menschen und anderen sozialen Tieren bleibt eine grundlegende Frage unbeantwortet: Wie entscheidet das Gehirn, welche Strategie in einer bestimmten Situation anzuwenden ist? Charpentier et al. (2020) haben nun in zwei Studien nachgewiesen, dass das Gehirn zwischen zwei neuronalen Systemen wählt, die für jeweils eine dieser Arten des Lernens verantwortlich sind. Die reine Nachahmung basierte in der Regel auf jenen Gehirnarealen, die man als Spiegelsystem des Gehirns bezeichnet, die sowohl aktiv sind, wenn man eine Handlung ausführt, aber auch, wenn man jemand anderen bei derselben Handlung beobachtet. Die Emulationsstrategie wurde mehr auf jenes Gehinrnetzwerk übertragen, das dann aktiv ist, wenn man auf die Gedanken und Ziele einer anderen Person schließt oder sich in die Lage einer anderen Person zu versetzt und zu überlegt, was diese in der Situation denken würde. Die Computermodellierung in Verbindung mit der Verhaltensaufgabe mit virtuellen Spielautomaten, die die beiden Strategien trennte, ergab auch, dass die Kontrolle über das Verhalten adaptiv und dynamisch in Richtung der jeweils zuverlässigsten Strategie gewichtet wurde. Offenbar ist das menschliche Verhalten beim Beobachtungslernen immer eine Mischung aus beiden Strategien, d. h., das Gehirn kann abwägen, welche zu einem Zeitpunkt jeweils die optimale Strategie darstellt.

    Neuronale Mechanismen beim Nachahmungslernen bei Säuglingen

    Schon früh erwerben menschliche Säuglinge durch Beobachtung und Nachahmung neuartige Handlungen. Köster et al. (2020) haben die neuronalen Mechanismen, die dem kindlichen Handlungslernen zugrunde liegen, untersucht. Dabei wurden die Beurteilung der neuronalen Prozesse von Säuglingen während der Beobachtung von neuartigen Handlungen an Objekten (z. B. das Bewegen einer Massagerolle über die Hand) und deren anschließende Imitation dieser Handlungen verglichen, wobei sich zeigte, dass die Aktivität des Spiegelneuronensystems im motorischen Cortex während der Handlungsbeobachtung und der vorhergesagten Handlungsimitation bei Kindern im 20. Monat zunahm. Bei Kindern im 10. Monat, die die Handlungen anderer noch nicht zuverlässig imitierten, zeigte sich jedoch ebenfalls ein sehr ähnliches neuronales Aktivitätsmuster während der Handlungsbeobachtung. Das Vorhandensein oder das Fehlen kommunikativer Signale hatte weder Einfluss auf die neuronale Verarbeitung der Säuglinge noch auf ihr späteres Imitationsverhalten. Diese Studie liefert erste Hinweise auf neuronale Prozesse im motorischen Cortex, die es Säuglingen ermöglichen, transitive Handlungen von anderen zu erlernen. d. h., sie lernen eine Handlung, selbst wenn sie noch nicht in der Lage sind, die Bewegung selber auch auszuführen.

    Modelllernen bei Insekten

    Mit Zuckerwasser als Belohnung können Hummeln dazu gebracht werden, artfremde Dinge zu tun, wie winzige Kügelchen zu rollen oder an einem Faden zu ziehen. Bridges et al. (2024) konnten nun auch zeigen, dass selbst Hummeln von trainierten Modelltieren lernen können, ein neuartiges zweistufiges Puzzlespiel zu öffnen, um eine Futterbelohnung zu erhalten, auch wenn sie dies nicht selbst tun können. Die Versuchshummeln waren zwar nicht in der Lage, den ersten Schritt ohne Belohnung zu lernen, ohne dass eine vorübergehende Belohnung mit dieser Handlung verbunden war, die in späteren Phasen des Trainings entfernt wurde. Ein Drittel der naiven Beobachterhummeln lernte jedoch von diesen Demonstrationshummeln, die zweistufige Box zu öffnen, ohne jemals nach dem ersten Schritt belohnt zu werden. Dies deutet darauf hin, dass soziales Lernen den Erwerb von Verhaltensweisen ermöglichen könnte, die zu komplex sind, um durch individuelles Lernen neu erlernt zu werden. Außerdem gelang es den naiven Hummeln nicht, den Kasten zu öffnen, obwohl sie ihm bis zu 24 Tage ausgesetzt waren. Bei diesen Ergebnissen muss allerdings berücksichtigt werden, dass eine solche Verhaltensübertragung in der Natur praktisch unmöglich ist, da die Hummeln mit Ausnahme der Königin bereits nach einer Generation sterben. Dennoch zeigt dieses Experiment, dass auch Insekten in der Lage sind, komplexe, nicht angeborene Verhaltensweisen durch Beobachtung zu erlernen, was z.B. bei Primaten und anderen Tieren schon lange bekannt ist.

    Literatur

    Bridges, Alice D.,Royka, Amanda,Wilson, Tara,Lockwood, Charlotte,Richter, Jasmin,Juusola & Mikko,Chittka, Lars (2024). Bumblebees socially learn behaviour too complex to innovate alone. Nature, doi:10.1038/s41586-024-07126-4.
    Charpentier, C. J., Iigaya, K. & O’Doherty, J. P. (2020). A Neuro-computational Account of Arbitration between Choice Imitation and Goal Emulation during Human Observational Learning. Neuron, doi:10.1016/j.neuron.2020.02.028.
    Ehlert, U. (2003). Verhaltensmedizin. Berlin: Verlag Springer.
    Köster, Moritz, Langeloh, Miriam, Kliesch, Christian, Kanngiesser, Patricia & Hoehl, Stefanie (2020). Motor cortex activity during action observation predicts subsequent action imitation in human infants. NeuroImage, 218, doi:10.1016/j.neuroimage.2020.116958.
    Kron, F.W. (2009). Grundwissen Pädagogik 7. Auflage. München: Verlag Reinhardt.
    Pluge, M. (2009). Sozial-kognitive Lerntheorie in der Wirtschaft- modelllernen als Mittel zur Effizienzsteigerung im Unternehmen. Norderstedt: Grin Verlag.
    Schröder, H. (2001). Didaktisches Wörterbuch 3. Auflage. München: Verlag Oldenbourg.
    Stangl, W. (2024, 7. März). Modelllernen funktioniert teilweise auch bei Insekten. Psychologie-News.
    https:// psychologie-news.stangl.eu/5080/modelllernen-funktioniert-teilweise-auch-bei-insekten
    Wagner, R.F. & Hinz, A. & Rausch, A. & Becker, B. (2009). Modul Pädagogische Psychologie. Regensburg: Verlag Klinkhardt.
    https://www.uni-due.de/edit/lp/kognitiv/bandura.htm (11-08-21)


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    Ein Gedanke zu „Modelllernen“

    1. Psychologie Heute

      Wie laufen Ansteckung und Ausbreitung bei Gewalt ab? Statt Mikroorganismen wie HIV-Viren oder Tuberkulose-Bakterien sind es Gewaltakte, die als Erreger wirken (…). Wenn jemand Gewalt beobachtet oder zum Opfer wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Person selbst gewalttätig wird und so das gewalttätige Verhalten an andere weitergibt, was zu immer mehr und mehr Gewaltakten führt. In einem Artikel beschreibt der Wissenschaftler (Gary Slutkin; W.S.) einige der Übertragungsmechanismen, die dahinterstehen: das Lernen am Modell, wie vom Psychologen Albert Bandura beschrieben; der Erwerb von Scripts im Sinne von vorgegebenen Reaktionsmustern, die in bestimmten Situationen abgerufen werden; sozialer Druck durch Peers und die Angst, nicht dazu zu gehören; eine durch Traumata ausgelöste Fehlregulierung des limbischen Systems, die zu feindseligen Überreaktionen auf reale oder vermeintliche Angriffe führen kann. Natürlich wird nicht jeder, der Gewalt erlebt, selbst zum Gewalttäter, aber wenn Faktoren wie Armut, Drogen oder Isolation dazukommen, kann sich Gewalt leicht ausbreiten.
      Quelle: http://blog.psychologie-heute.de/ansteckende-gewalt-und-was-man-dagegen-tun-kann/ (17-03-23)

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