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Rollenübernahme

    Ursprünglich war das Konzept der Rollenübernahme von G. H. Mead entwickelt worden, der darunter die Fähigkeit eines Individuums verstand, den anderen im Selbst abzubilden, d. h., von der Position des Anderen aus zu denken. Rollenübernahme ist bei Mead vor allem ein Erkenntnisprozess und beinhaltet weniger affektive Teilnahme bzw. empathisches Verständnis. Das geschieht etwa durch Interpretation von Gesten und Sprache des anderen, sodass es möglich wird, den Erwartungen des anderen gerecht zu werden. Persönlichkeit und soziales Handeln sind nach Mead vor allem durch Symbole geprägt, die im Prozess der Sozialisation erworben werden und im Prozess der Interaktion von den Handelnden wechselseitig bestätigt oder verändert werden. Der Mensch erschließt sich seine Welt demnach nicht direkt sondern über symbolische Bedeutung. So auch bei der Rollenübernahme, also die Fähigkeit zu entwickeln, sich in jemanden hineinzuversetzen, denn man sollte wissen, wie ein Individuum auf ein bestimmtes Verhalten reagieren würde und sein eigenes Verhalten daran anpassen.

    Mead geht davon aus, dass Menschen im Interaktionshandeln immer Erwartungen an das Verhalten der anderen hegen, deren Sichtweise und Erwartungen ihnen gegenüber antizipieren, so wie sie umgekehrt davon ausgehen, dass die anderen ihre Sicht und ihre Erwartungen an sie antizipieren, wobei sie diese im Sozialisationsprozess verinnerlicht haben. Mit der Übernahme und der gleichzeitigen Spiegelung der Sicht der anderen, erhalten Menschen so erst die Möglichkeit, eine sinnhafte Handlung auszuführen, auf die ein Interaktionspartner reagieren kann. Jeder Mensch muss sich durch die Augen wichtiger anderer Menschen und auch eines Kollektivs anderer Menschen sehen, und auf diese Weise sich selbst zum Objekt werden, um subjektiv sinnhaft handeln zu können. An dieser Stelle setzt Mead die Notwendigkeit, die Erwartungen des anderen zu interpretieren, mit dem Interesse, seinen Erwartungen auch gerecht zu werden, annähernd gleich. Das heißt, Mead unterstellt ein allgemeines Interesse am Funktionieren der Gesellschaft, denn alle verfügen über mehr oder weniger Empathie und übernehmen ihre Rollen. Aus der Tatsache, dass man versteht, was der andere meint, folgt jedoch nicht notwendigerweise, dass man sich auch an dessen Erwartungen hält.

    Mead stellt sich eine ideale Gesellschaft vor mit Empathie und Rollenübernahme von Gleichen, alle haben ein Interesse am Funktionieren der Gesellschaft. Aus der Empathie in Verhaltenserwartungen, entsteht nach Mead Identität. Das Individuum wird sich seiner Identität letztlich erst dann bewusst, wenn es sich mit den Augen der Anderen sieht. Diese Identität nennt Mead self (siehe auch Erikson).

    Emotionen haben evolutionär betrachtet die Funktion, Menschen zum Handeln motivieren, wobei es bei der Empathie um ein Verhalten geht, von dem vor allem die hilfsbedürftige Person profitiert, aber auch die helfende Person selbst, denn durch das Helfen reduziert sich sowohl das Leid des anderen als auch die als unangenehm empfundene empathische Als-ob-Antwort. Empathie gründet dabei auf der Aktivierung geteilter neuronaler Repräsentationen, d. h., wenn man Empathie mit einem unglücklichen Menschen empfindet, sind daran Areale des Gehirns beteiligt, die ebenfalls aktiv sind, wenn man selbst die entsprechende Emotion spürt, also etwa Trauer oder Niedergeschlagenheit. Das Gehirn reagiert damit auf das Leid des Gegenübers also zumindest teilweise so, als ob es das eigene wäre. Dieses Als-ob ist erstens wichtig, weil man durch die damit verbundene Emotion genauer einschätzen kann, wie es der fremden Person gerade geht, und zweitens ist die eigene emotionale Antwort ein wichtiger Antrieb für die Hilfsbereitschaft, die durch empathisches Mitfühlen unter Umständen ausgelöst wird.

    Empathie behindert manchmal das Verstehen von anderen

    Erfolgreiche soziale Interaktion setzt bekanntlich auch voraus, sowohl die Gedanken und Absichten des anderen zu verstehen als auch an den Gefühlen des anderen teilhaben zu können. Ebenfalls wichtig ist neben Empathie auch die kognitive Perspektivenübernahme, also die Fähigkeit, zu verstehen, was andere Menschen wissen, planen und wollen. In Untersuchungen (Kanske et al., 2016) zeigte sich übrigens, dass Menschen mit einem zu hohen Maß an Empathie nicht notwendigerweise diejenigen sind, die ihr Gegenüber kognitiv gut verstehen, denn zu großes Einfühlen behindert dabei das inhaltliches Verstehen.

    Siehe dazu auch Warum Empathie für Menschen so wichtig ist!

    Literatur

    Kanske, P., Böckler, A., Trautwein, F.-M., Lesemann, F.H.P. & Singer, T. (2016). Are strong empathizers better mentalizers? Evidence for independence and interaction between the routes of social cognition. Social Cognitive and Affective Neuroscience, doi: 10.1093/scan/nsw052.
    Mead, George Herbert  (1968). Geist, Identität und Gesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
    Stangl, W. (1999). Moralische Entwicklung. [werner stangl]s arbeitsblätter
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/MORALISCHEENTWICKLUNG/SozialkognitivEntwicklung.shtml (99-02-09)
    Stangl, W. (2022, 23. September). Empathie.Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
    https:// lexikon.stangl.eu/1095/empathie.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Symbolischer_Interaktionismus (11-11-21)


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