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Rhythmokinetik

    Rhythmokinetik ist eine leicht zu erlernende Selbsthilfemethode bei Verspannungen, Fehlhaltungen und chronischem Schmerz, bei der mit Hilfe sanfter Atem- und Bewegungsübungen u.a. das Schmerzempfinden positiv verändert wird. Hinter dem rhythmokinetischen Konzept steht die Überlegung, dass richtiges Atmen und Bewegen wesentliche Voraussetzungen zur Gesundheit darstellen. Rhythmokinetik verhilft zusätzlich zur Einsicht in körperliche Zusammenhänge, die zu Schmerzen führen und auf die der Betroffene selbst Einfluss nehmen kann.

    In der Rhythmokinetik sind Übungen entwickelt worden, bei denen man Atmen und Bewegen so aufeinander abstimmt, dass man einerseits auf die bestehenden Beschwerden Rücksicht nimmt, andererseits aber durch die bewusste und gezielte Veränderung von Atmung und Bewegung, aich die ursprüngliche Ausgewogenheit wieder herstellen lässt. Die Übungen können je nach Beschwerden im Liegen, Sitzen oder Stehen durchgeführt werden und können je nach Befindlichkeit angepasst werden.
    Bei vielen Entspannungsmethoden wird viel Wert auf die richtige Atmung gelegt, und das hat seinen guten Grund, denn die menschliche Atmung wird automatisch über das Nervensystem gesteuert, d. h., wenn man einatmet, gelangt Luft durch den Mund oder die Nase bis in die Lunge, wo der Gasaustausch erfolgt, indem Sauerstoff aus den Lungenbläschen ins Blut übergeht, diese das Kohlenstoffdioxid aus dem Blut aufnehmen und an die Ausatemluft abgeben. Dabei hat die Art und Weise der Atmung einen Effekt auf die Gehirnaktivität, indem messbar Gedächtnis und Emotionen beeinflusst werden, vor allem, wie der Atem aus- und einströmt und ob man durch die Nase oder den Mund einatmet. Erwachsene atmen in Ruhe im Schnitt etwa zwölf bis 15 Mal pro Minute ein und aus, Säuglinge holen dagegen 50 Mal in der Minute Luft. Ein Erwachsener atmet dabei rund 0,5 Liter pro Atemzug in Ruhe ein, doch wer bewusst tief Luft holt, kann dieses Volumen auf über 2,5 Liter steigern. Pro Tag strömen daher im Durchschnitt etwa 10000 Liter Luft durch die Lungen.


    Das menschliche Gehirn empfängt bekanntlich kontinuierlich Signale aus dem Körper und der Umwelt, und obwohl man sich dieser inneren körperlichen Prozesse wie dem Herzschlags meist nicht bewusst ist, können sie die Wahrnehmung beeinflussen. Al et al.(2020) haben die zwei Arten untersucht, wie der Herzschlag die bewusste Wahrnehmung leicht modulieren kann, die systolischen Phase und die anschließende diastolischen Phase. Dazu verabreichte man den Probanden schwache Elektroschocks an den Fingern, wobei diese Stromstöße während der systolischen Phase seltener registriert wurden als während der diastolischen Phase. Das Phänomen scheint dabei mit einer Komponente der Gehirnaktivität zusammenzuhängen, denn im EEG tritt genau 300 Millisekunden nach der Wahrnehmung eines Reizes eine kleine Delle auf. Während der systolischen Phase war dieses Phänomen tendenziell unterdrückt, d. h., Informationen zu diesem Zeitpunkt wurden nicht bewusst wahrgenommen. Je stärker das Gehirn dabei auf den Herzschlag reagierte, desto seltener registrierten die Probanden diese kleinen Reize. Vermutlich soll dieser Prozess eigentlich verhindern, dass Menschen ihren Puls ständig wahrnehmen, wobei als Nebeneffekt dabei eben auch schwache äußere Reize auf der Strecke bleiben.


    Medizinisches: Ein gesunder Organismus kann den zeitlichen Abstand zwischen zwei Herzschlägen den Erfordernissen anpassen, wobei diese Herzratenvariabilität sich in der Medizin zu einem Maßstab für den Gesundheitszustand entwickelte. Jeder Mensch besitzt in seinem Körper eine Vielzahl an Sensoren, die dem Herzen wichtige Rückmeldungen liefern, um den gesamten Körper optimal mit Blut versorgen zu können. So wird etwa über das autonome Nervensystem der Herzschlag in seiner Abfolge beeinflusst, sodass sich aufeinanderfolgende Herzschläge in Bruchteilen von Millisekunden durch ihre Länge und ihren Abstand zueinander unterscheiden. Die Herzratenvariabilität gewann in den vergangenen Jahrzehnten als spezifischer Anzeiger für ein gut ausgeglichenes autonomes Nervensystem in verschiedensten medizinischen Bereichen zunehmend an Bedeutung, wobei aufgrund der engen Verschaltung mit zentralnervösen Strukturen sie aber auch einer Vielzahl an kognitiven und emotionalen Prozessen unterliegt. Die Herzratenvariabilität gibt demnach auch Auskunft über die Kommunikation zwischen Herz und Gehirn und ist ein Zeichen körperlicher und psychischer Vitalität und Flexibilität. Schlägt ein Herz zu gleichmäßig, wie etwa bei Menschen mit Depressionen, lässt das etwa auf eine Störung der Kommunikation zwischen Herz und Gehirn schließen. Anhand der Herzratenvariabilität kann man erkennen, ob bzw. in welchem Ausmaß die Vernetzung zwischen Herz und Gehirn gestört ist. So ist eine Variabilitätsstarre der Herzfrequenz auch ein Zeichen der Unterbindung von zentralnervösen Regulationskreisen. Mithilfe kontrollierter Atmung kann man demnach die Herzratenvariabilität und damit das körperliche und seelische Wohlbefinden beeinflussen bzw. steigern. So bewirken sechs Atemzüge pro Minute, also alle zehn Sekunden ein Zyklus, eine optimale Sauerstoffaufnahme des Gehirns, wobei sich mit dieser Atemtechnik nicht nur Angst vermindern lässt, sondern auch die Gehirnfunktionen in Bezug auf das Arbeitsgedächtnis und die Reaktionszeit lassen sich dadurch verbessern.


    Übrigens: Menschen holen ganz intuitiv Luft, um sich auf eine anstehende Aufgabe vorzubereiten, was sich auch empirisch zeigen lässt, denn Probanden und Probandinnen, die vor bestimmten Aufgaben Luft geholt haben, wählen signifikant häufiger die richtige Lösung. Auch unterscheiden sich die Gehirnaktivitäten beim Ein- und Ausatmen, denn wenn Probanden und Probandinnen Luft geholt haben, zeigt ihr Gehirn Anzeichen von erhöhter Aufmerksamkeit.

    Literatur
    Al, Esra, Iliopoulos, Fivos, Forschack, Norman, Nierhaus, Till, Grund, Martin, Motyka, Paweł, Gaebler, Michael, Nikulin, Vadim V. & Villringer, Arno (2020). Heart–brain interactions shape somatosensory perception and evoked potentials. Proceedings of the National Academy of Sciences, doi:10.1073/pnas.1915629117.

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