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soziale Identität

    In der Theorie der sozialen Identität wird davon ausgegangen, dass Menschen ihre Umwelt anhand unterschiedlicher Merkmale wie Geschlecht, Beruf, Religion oder Interessen in verschiedene soziale Kategorien einteilen und selbst Mitglieder von Kategorien bzw. Gruppen sind. Über soziale Vergleichsprozesse werden Informationen über die eigene Position und die eigene Gruppe gewonnen. Vornehmlich wird im Vergleich mit anderen Gruppen nach solchen Merkmalen gesucht, die sich von den Angehörigen anderer Gruppen wirkungsvoll unterscheiden. Dieser Prozess der Abgrenzung stabilisiert Differenzen und fördert zugeleich die Bildung von Vorurteilen und diskriminierenden Verhaltensweisen.

    Untersuchungen (Ketturat et al., 2016) zeigen aber auch, dass je mehr man sich mit einer Gruppe identifiziert, umso weniger Stress erlebt man und umso weniger Stresshormone produziert der Körper, denn sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen, also eine gemeinsame soziale Identität zu haben, hilft dem Einzelnen auch, besser mit Belastungen fertig zu werden. In einer realen Belastungssituation wurden junge Erwachsene, die an einem eintägigen Aufnahmetest für das Sportstudium an der Universität Hildesheim teilnahmen zufällig in Gruppen zu je etwa zehn Personen eingeteilt. In diesen Gruppen absolvierten sie über den Tag hinweg sechs verschiedene Sporttests (Schwimmen, Turnen, Basketball, Badminton, Kugelstoßen, 3-km-Lauf). Nach der Gruppeneinteilung sowie jeweils vor vier der sechs Disziplinen wurden die Bewerberinnen und Bewerber per Fragebogen zu ihrem subjektiven Stressempfinden und zu ihrer Identifikation mit der Gruppe befragt. Nach vier der sechs Sporttests wurde zusätzlich mittels Speichelproben die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol untersucht. Außerdem sollten die Probanden am Ende des Tages angeben, wie stark sie sich von ihren Gruppenmitgliedern emotional und praktisch unterstützt fühlten. Die Bewerberinnen und Bewerber, die sich mit ihrer Gruppe identifizierten waren dabei weniger gestresst und fühlten sich auch subjektiv weniger belastet, setzten aber auch während der Belastungssituationen bei den Sporttests weniger Cortisol frei. Wenn im Tagesverlauf die Identifikation mit der Gruppe anstieg, verringerten sich dementsprechend auch das Stresserleben und der Cortisol-Level. Bemerkenswert ist, dass sich diese Effekte finden, obwohl die Gruppen erst am Testtag gebildet worden waren, also zur Entwicklung einer sozialen Identität nur wenig Zeit erforderlich war. Einen ähnlichen sozialen verbindenden Effekt kann man auch bei Gruppen von Schülerinnen und Schüler bzw. Studentinnen und Studenten beobachten, die sich gemeinsam auf Prüfungen vorbereiten.

    Forschungen haben gezeigt, dass Peers die Entwicklung der ethnischen Identität in der frühen Adoleszenz beeinflussen, wobei einiges darauf hindeutet, dass vor allem gleichethnische aber nicht multiethnische Peers für die Entwicklung dieser Identität bedeutsam sind. Anhand einer Längsschnittanalyse von sozialen Netzwerken untersuchten Jugert, Leszczensky & Pink (2019) den Peer-Einfluss gleich- und multiethnischer Freunde auf die ethnische Identitätsbindung, und es zeigte sich, dass sich Jugendliche vor allem an gleich-ethnischen Freunden orientieren während anders-ethnische Freunde dagegen kaum Einfluss haben. Dieser Effekt war bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund auch wesentlich stärker als bei Jugendlichen ohne einen solchen Hintergrund. Daher ist die Berücksichtigung der Ethnizität von Peers auch entscheidend für das Verständnis des Einflusses von Peers auf die Entwicklung in der Adoleszenz.

    Wahrnehmungsverzerrung durch soziale Netzwerke

    Man weiß. dass die Wahrnehmung über die Größe von Minderheiten in sozialen Netzwerken verzerrt sein kann, was sich in einer systematischen Über- oder Unterschätzung manifestiert. Diese Verzerrungen der sozialen Wahrnehmung werden oft auf verzerrte kognitive oder motivationale Prozesse zurückgeführt (wishful thinking, soziale Projektion), doch konnten Lee et al. (2019) zeigen, dass sowohl Über- als auch Unterschätzung der Größe einer Minderheitengruppe ausschließlich auf Grund strukturellen Eigenschaften sozialer Netzwerke entstehen können. Mit einem generativen Netzwerkmodell konnten sie belegen, dass diese Verzerrungen vom Grad der Homophilie, ihrer asymmetrischen Natur und von der Größe der Minderheitengruppe abhänge, wobei die Modellvorhersagen gut den empirischen Daten aus einer interkulturellen Umfrage und den Berechnungen aus sechs realen Netzwerken entsprechen.

    Wenn Menschen ihre Wahrnehmungen ausformen, haben sie selten eine repräsentative Wahrnehmung, sondern sind von den lokalen Strukturen ihrer persönlichen Netzwerke begrenzt, wobei diese die Wahrnehmung der Häufigkeit verschiedener Attribute in der gesamten Bevölkerung verzerren. Die Wahrnehmungen des Einzelnen sind geprägt von seiner Umgebung, d. h., je nachdem, wie groß die Mehrheiten und Minderheiten in einer Gruppe verteilt sind und wie stark der Einzelne mit anderen ähnlichen oder unähnlichen Netzwerken verbunden ist, umso stärker sind die unterschiedlichen Wahrnehmungsverzerrungen.

    Solche Wahrnehmungsverzerrungen tretenam stärksten auf, wenn Mehrheits- oder Minderheitsgruppen unverhältnismäßig groß sind, wobei sogar Mitglieder, die eng mit nur einer Gruppe verbunden sind und wenig Kontakt zu den anderen Gruppen haben (homophiles Netzwerk), verstärkt zu falschen Einschätzungen neigen. Dabei überschätzt der Einzelne seine eigene Gruppe und unterschätzt die andere. Eine weitere Wahrnehmungsverzerrung entsteht, wenn die beiden Gruppen innerhalb des Netzwerks gleichmäßiger verteilt sind (heterophiles Netzwerk), denn hier zeigt sich die Tendenz, dass die Mehrheitsgruppe das Vorhandensein einer Minderheitsgruppe höher als in der Realität einschätzt.

    Literatur

    Jugert, Philipp, Leszczensky, Lars & Pink, Sebastian (2019). Differential Influence of Same- and Cross-Ethnic Friends on Ethnic-Racial Identity Development in Early Adolescence. Child Development, doi:10.1111/cdev.13240.
    Ketturat, C., Frisch, J. U., Ullrich, J., Häusser, J. A., van Dick, R., & Mojzisch, A. (2016). Disaggregating within- and between-person effects of social identification on subjective and endocrinological stress reactions in a real-life stress situation. Personality and Social Psychology Bulletin, 42, 147–160.
    Lee, Eun, Karimi, Fariba, Wagner, Claudia, Jo, Hang-Hyun, Strohmaier, Markus & Galesic, Mirta (2019). Homophily and minority-group size explain perception biases in social networks. Nature Human Behaviour, doi:10.1038/s41562-019-0677-4.


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    Ein Gedanke zu „soziale Identität“

    1. Sehr geehrtes Stangl-Team!
      Haben Sie vielen Dank für Ihre Mühe und gute Arbeit.
      Aber lassen Sie bitte (!) das Gendern sein.
      Der Ausdruck „Bewerber“ bezeichnet eine allgemeine Eigenschaft, und reicht insofern vollkommen zur Bezeichnung von Menschen aus, die sich um einen Studienplatz bewerben. Eine explizite Unterscheidung ist nur dann erforderlich, wenn der Sexus (also das biologische Geschlecht) bei der Studienplatz-Vergabe eine Rolle spielt.
      In allen andren Fällen leisten sie damit einer toxischen und sozial unverträglichen Ideologie Vorschub. Und das ist eines seriösen Internet-Auftritts unwürdig. Denn wohin solche Ideologien führen, lehrt uns die Geschichte.
      mit freundlichen Grüßen
      J. G.

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