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Feinmotorik

    Feinmotorik bezeichnet die gezielte und koordinierte Bewegung, die vor allem in der Handgeschicklichkeit zum Ausdruck kommt, wobei auch all jene Koordinationsprozesse dazu gehören, die die Muskeln des Mundes, der Augen und des Gesichtes einbeziehen. Der  Handgeschicklichkeit  werden  verschiedene  Teilbereiche  zugeordnet  wie  Hand-  und  Fingerkraft, Hand- und Fingergeschicklichkeit, visomotorische Koordination (Auge-Hand-Koordination), Zielgenauigkeit und exakte Einzelbewegungen eines Körperteiles.

    Die Entwicklung der Handgeschicklichkeit geht in der Regel mit der Gesamtentwicklung einher, wobei die Phasen individuell unterschiedlich sind, da jedes Kind individuelle Erfahrungen mit seinem Körper und allen Sinnessystemen macht, um seine jeweils spezifische Welt im wahrsten Sinn des Wortes zu begreifen. Man weiß aus Untersuchungen, dass die Feinmotorik, wie geschickt man mit seinen Fingern umgehen kann, Einfluss auf die Rechenfähigkeiten hat. Im Gehirn gibt es zwei Areale, in denen die Fingerbewegungen aber auch das Addieren und Multiplizieren gesteuert werden. Man vermutet, dass evolutionär im Gehirn für das Rechnen kein eigener Platz vorgesehen war, sondern die Areale für das Greifen und die Raumwahrnehmung verwendet hat. Wenn übrigens Kinder bei uns mit den Fingern zählen, beginnen sie immer mit dem Daumen, in den USA beginnen die Kinder das Zählen mit dem Zeigefinger und der Daumen kommt erst an fünfter Stelle. Chinesischen Kinder zählen bis fünf wie die Amerikaner, dann aber nehmen sie nicht die zweite Hand zur Hilfe, sondern heben für die 6 den Daumen und den kleinen Finger der gleichen Hand und die 7 wird durch Daumen und Zeigefinger dargestellt. Die chinesischen Kinder können mit größeren Zahlen rechnen, während bei 5 + 7 die Kinder schon eine dritte Hand brauchen.

    Die Mundmotorik mit Lippen- und Zungenbewegungen ermöglichen einem Kind das Artikulieren von Lauten, das Blasen und das Saugen, wobei die Mundbeweglichkeit eine angemessene Atemströmung unterstützt. Die Gesichtsmotorik spielt eine wichtige Rolle im nonverbalen Kommunikationsprozess, denn über Mimik und Grimassen kommuniziert ein Kleinkind mit seiner Umwelt und bereichert im weiteren Verlauf der Entwicklung die verbale Kommunikation, da sie die Stimmungen, Bedürfnisse und Gefühle verdeutlicht und unterstreicht. Eine wachsende Augenmuskelkontrolle ermöglicht einem Kind u.a. Objekte zu fixieren und bei ruhiger Kopfhaltung sich bewegende Objekte zu verfolgen, wobei diese Fähigkeiten wichtige Voraussetzungen für das Lesen- und Schreibenlernen bilden.

    Die Entwicklung der Feinmotorik aus der Perspektive der Psychologie umfasst somit die Bewegungsabläufe der Hand-Finger-Koordination, aber auch die Fuß-, Zehen-, Gesichts-, Augen- und Mundmotorik eines Kindes. Im Gegensatz zu Störungen der Grobmotorik sind Störungen der Feinmotorik oft schwer erkennbar. So werden manche Störungen der Feinmotorik, die die Hand betreffen, oftmals erst bei Schuleintritt bemerkt, wenn Probleme beim Schreibenlernen oder Zeichnen im Unterricht auftreten. So können unter anderem Störungen der Graphomotorik vorliegen, die die Schreibbewegungen umfasst.
    In den meisten Testverfahren zur frühkindlichen Entwicklung spielt die motorische Entwicklung  eine große Rolle, wobei meist die motorische Entwicklung eigenständig erhoben und mit einem separaten Entwicklungsscore versehen wird, auch wenn die mentalen bzw. geistigen Leistungen in dieser frühen Lebensspanne eng mit motorischen Entwicklungsschritten verknüpft sind. In der folgenden Liste finden sich durchschnittliche Leistungen eines Kindes, die im Einzelfall auch abweichen können.

    • Hand-Mund-Koordination 0-3 Monate
    • Auge-Hand-Koordination 0-3 Monate
    • Beide Hände zusammenführen 1-5 Monate
    • Objekt ergreifen, das hingehalten wird 2-5 Monate
    • Greifen nach Objekt außer Reichweite 5-7 Monate
    • Objekt zwischen beiden Händen transferieren 5-9 Monate
    • Objekt sicher mit Händen manipulieren 7-13 Monate
    • Hände zusammen klatschen 7-12 Monate
    • Zwei Objekte zusammen schlagen 7-12 Monate
    • Scherengriff 6-10 Monate
    • Pinzettengriff 9-13 Monate
    • Aus Tasse trinken 10-15 Monate
    • Löffel sicher benutzen 13-21 Monate
    • Stift halten und damit kritzeln 12-21 Monate
    • Kleidungsstücke ausziehen 14-21 Monate
    • Zwei Objekte (Klötze) stapeln 12-19 Monate
    • Vier Objekte (Klötze) stapeln 16-23 Monate
    • Kleidungsstücke anziehen 22-33 Monate
    • Grobe Reißverschlüsse öffnen und schließen 24-37 Monate
    • Vertikale Linie zeichnen 24-37 Monate
    • Knöpfe zumachen ab 34 Monate

    Neuronale Basis der Feinmotorik ist eine Rückkopplungsschleife

    In den ersten Lebensjahren beginnen Kinder zunächst grob, dann immer feiner nach Gegenständen zu greifen und sie zu bewegen, aber auch noch Erwachsene können feinmotorische Bewegungen durch Üben verbessern. Ein solches Training verändert das Gehirn, und zwar speziell eine Gruppe Nervenzellen im Nucleus ruber des Mittelhirns, wie Rizzi et al. (2019) bei Mäusen entdeckt haben. Beim Erlernen feinmotorischer Bewegungen und beim Üben neuer Greifbewegungen werden die Verbindungen zwischen diesen Neuronen verstärkt. Durch diesen Prozess wird beim Lernen neuer feinmotorischer Bewegungen die ausgeführte Bewegung optimiert und im Gehirn als Code gespeichert.

    Bewegung als zentrale Fähigkeit von Mensch und Tier ist ein hochkomplexes Zusammenspiel von Gehirn, Nerven und Muskeln, wobei insbesondere die Bewegung der Arme und Hände eine Koordinationsleistung mit höchster Präzision darstellt. Unaufhörlich sendet das Gehirn über das Rückenmark dazu Befehle an die Muskeln, um verschiedenste Bewegungen auszuführen. Dieser Informationsstrom erreicht vom Gehirn aus Interneuronen im Rückenmark, die dann diese Befehle über eine weitere Verschaltung zu Motoneuronen an Muskeln weiterleiten. Neuronal betrachtet senden viele Nervenzellen im Rückenmark ihre Befehle aber nicht nur in Richtung Muskulatur, sondern gleichzeitig über ein hochorganisiertes Netzwerk auch zurück an das Gehirn. Dieser doppelte Informationsfluss ist die Grundlage des Nervensystems für präziseste Bewegungen von Armen und Händen.

    Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (Pivetta et al. , 2014) konnten ebenfalls bei Mäusen zeigen, dass viele Interneuronen im Rückenmark die Befehle nicht nur via Motoneuronen an den jeweiligen Muskel, sondern zeitgleich auch noch eine Kopie dieser Information zurück ins Gehirn schicken. Der Befehl zur Muskelbewegung wird also in zwei Richtungen verschickt. In die eine Richtung, um im Muskel die gewünschte Kontraktion auszulösen. In die andere Richtung, um das Gehirn zu informieren, dass der Befehl auch tatsächlich Richtung Muskulatur geschickt wird. Obwohl die Information der Interneuronen zur Ausführung der Bewegung beim Eintreffen auf Motoneuronen im Gehirn zusammengeführt wird, wird diese Information in einem Kern des Gehirnstamms nach Funktion aufgeteilt, wobei die Informationen funktionell unterschiedlicher Typen von Interneuronen in verschiedene Areale dieses Kerns fließen. Es gibt somit eine funktionelle Trennung im Gehirnstamm, dass Informationen von Interneuronen des Rückenmarks, die etwa die Links-Rechts-Koordination einer Bewegung beeinflussen, im Gehirn an einer anderen Stelle gesammelt werden, als diejenigen von Interneuronen, die etwa die Geschwindigkeit einer Bewegung beeinflussen.

    Diese überaus präzise Rückkoppelung gewährleistet zu jeder Millisekunde, dass die Befehle richtig übermittelt werden und die gewünschte Folgebewegung über die Signale, die vom Rückenmark ans Gehirn zurück geschickt werden, bereits mit dem Gehirn koordiniert und angepasst wird. Interessanterweise gilt diese Art des Informationsflusses ins Gehirn nur für die Steuerung der Arme, nicht aber für die Beine, was beweisen könnte, dass dieser Informationsweg vor allem für die Feinmotorik wichtig ist, denn im Vergleich zum Bein müssen die Bewegungen eines Armes und insbesondere der Hände um ein Vielfaches präziser sein. Solch höchste Präzision kann der Körper offensichtlich nur durch konstanten rückgekoppelten Informationsfluss gewährleisten.

    Evolutionäre Basis der Feinmotorik der Hände

    Für die Evolution des Menschen war übrigens nicht nur die Entwicklung des Gehirns bedeutsam, sondern auch die Anatomie der Extremitäten und hier besonders die des Daumens. Davor war es natürlich wichtig, sich nur noch auf zwei Beinen fortzubewegen, um die Hände frei zu haben und damit auch Werkzeuge benutzen zu können, was umso besser funktioniert, wenn der Daumen den anderen Fingern anatomisch gegenübergestellt ist. Erst die Opposition des Daumens macht aus den Klettergreifern der Affen die pinzettenartig greifenden Präzisionswerkzeuge des Menschen. Daher ist der Pinzettengriff bei Kleinkindern ein Höhepunkt in der Entwicklung der Handmotorik, denn mit neun bis zehn Monaten lernt das Kind, Dinge mit den Fingerkuppen des Daumens und des Zeigefingers aufzuheben. Vor dem Pinzettengriff bedient sich das Kind in der Regel noch des Affengriffes und dann des Scherengriffes, während auf den Pinzettengriff der Zangengriff folgt. Mit dem Pinzettengriff gelingt es dem Kind, Daumen und Zeigefinger vollständig zu opponieren und mit den Fingerkuppen Gegenstände aufzunehmen und zu halten, womit eine wesentliche Grundlage für den späteren Gebrauch von Stiften und Werkzeugen geschaffen wird (Stangl, 2021).

    Übungen, um die feinmotorische Fähigkeiten zu verbessern (Stangl, 2014)

    Um die Feinmotorik auf spielerische Art und Weise zu fördern, gibt es zahlreiche einfache Aktivitäten und Übungen:

    • Kneten von Ton ist eine sehr gute Methode zur Förderung der Feinmotorik, stärkt die Muskulatur und regt auch die Fantasie an. Kneten von Ton ist eine Alternative zu Plastilin, denn es erfordert mehr Kraft beim Arbeiten und kann auch als dauerhaftes Produkt erhalten werden.
    • Das Abziehen und Aufkleben von Aufklebern erfordert Konzentration und Geschicklichkeit und fördert außerdem den Gebrauch des Pinzettengriffs und die Hand-Augen-Koordination
    • Das Zerreißen von Papier mit alten Prospekten, Briefen oder alten Zetteln stärkt die Handmuskulatur und fördert die Fingerkoordination. Solche Schnipsel können auch zum Basteln wiederverwendet werden.
    • Das Aufkleben von kleinen Dingen ist eine sehr gute Übung für die Geschicklichkeit, und kann mit Blättern, Blumen oder bunten Steinen verschönert werden.
    • Straßenkreide ist eine gute Möglichkeit, dem Kind ein Gefühl für den Druck zu vermitteln, der beim Malen erforderlich ist, denn man muss fester drücken, um einen bunten Strich zu ziehen, als mit einem Bleistift. So lernen die Kinder, die Kraft ihrer Hände zu messen und zu kontrollieren.
    • Ein Fädelspiel ist die ideale Übung für die Feinmotorik, denn es schult die Geschicklichkeit, die Hand-Augen-Koordination und die Konzentrationsfähigkeit. Übrigens kann man das auch mit Nudeln machen, die ein Loch haben.

    Literatur

    Barrocas, R., Roesch, S., Gawrilow, C. & Moeller, K. (2020). Putting a Finger on Numerical Development – Reviewing the Contributions of Kindergarten Finger Gnosis and Fine Motor Skills to Numerical Abilities. Frontiers in Psychology, doi:10.3389/fpsyg.2020.01012.
    Pauen, Sabina & Vonderlin, Eva (2007). Entwicklungsdiagnostik in den ersten drei Lebensjahren. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung.
    Pivetta, Chiara, Esposito, Maria Soledad,  Sigrist, Markus &  Arber, Silvia (2014). Motor-Circuit Communication Matrix from Spinal Cord to Brainstem Neurons Revealed by Developmental Origin. Cell, 156, 537-548.
    Rizzi, Giorgio, Coban, Mustafa & Tan, Kelly R. (2019). Excitatory rubral cells encode the acquisition of novel complex motor tasks. Nature Communications, 10, doi:10.1038/s41467-019-10223-y.
    Stangl, W. (2014, 7. Juni). Feinmotorische Fähigkeiten verbessern. Stangl notiert ….

    Feinmotorische Fähigkeiten verbessern


    Stangl, W. (2021). Das Gehirn brauchte in der Evolution einen Daumen 😉 – bemerkt. Was Stangl so bemerkt.
    WWW: https://bemerkt.stangl-taller.at/das-gehirn-brauchte-in-der-evolution-einen-daumen (2021-02-03).

     


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