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Gehirndoping

    Als Gehirndoping bzw. Neuro-Enhancement oder spezieller Cognitive Enhancement bezeichnet man legale oder illegale Drogen, die geraucht, geschluckt oder gespritzt werden, und zwar je nachdem, ob Menschen sich konzentrieren oder kreativ sein möchten, sich viel merken oder schnell reagieren möchten. Der englische Fachbegriff des Cognitive Enhancement wird übrigens häufig mit Verbesserung der Geisteskraft übersetzt, was von vornherein impliziert, dass es sich dabei um etwas Positives handelt, während Gehirn-Doping durch die gesellschaftliche Ablehnung des Dopings eher negativ besetzt ist.

    Im Prinzip kann jedes Medikament wie beim Doping im Spitzensport missbräuchlich verwendet werden, und so gut wie jedes Medikament hat beträchtliche Nebenwirkungen. Dopingsubstanzen für das Gehirn stammen aus Neurologie und Psychiatrie, wobei Pharmaka gegen Alzheimer, Schlaf-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen verwendet werden. Die natürlichen Neurotransmitter Acetylcholin, Serotonin, Glutamat, Dopamin, Noradrenalin müssen im Gehirn in der richtigen Menge, an der richtigen Stelle und vor allem zur rechten Zeit vorhanden sein, damit das Gehirn perfekt funktioniert. Gibt es auf Dauer zu wenig, kommt es im schlimmsten Fall zu Nervenkrankheiten. Zahlreiche Medikamente können einen Verlust an Neurotransmittern im Krankheitsfall zumindest teilweise ausgleichen.

    Beim Gehirndoping handelt es sich in der Regel um verschreibungspflichtige Medikamente oder illegale Drogen, wobei meist der neutralere Begriff Neuro-Enhancement verwendet wird. Die populärsten Mittel sind dabei:

    • Ritalin: Die kokainähnliche Substanz mit dem Wirkstoff Methylphenidat wird bekanntlich vor allem zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizits- und Hyperaktivitätsstörung bei Kindern eingesetzt und fördert den Anstieg des Dopamin. Gesunde erhoffen sich eine bessere Konzentrations- und Leistungsfähigkeit sowie eine Unterdrückung der Müdigkeit. Methylphenidat kann für Nebenwirkungen bis hin zu psychischen Krankheiten und Herzrhythmusstörungen sorgen und abhängig machen. Methylphenidat kann eine Psychose auslösen, insbesondere bei einer Einnahme über einen kurzen Zeitraum von mehreren Wochen, wobei diese  substanzinduzierte Psychose eher selten auftritt, aber es ist anzunehmen, dass mit der Dauer der Einnahme die Wahrscheinlichkeit einer Psychose geringfügig zunimmt. Die Begleiterscheinungen einer solchen substanzinduzierte Psychose ähnelt sind etwa akustische und visuelle Halluzinationen, Angstzustände, Paranoia, Aggressivität, selbstverletzendes Verhalten oder manische Pahasen. Sollte eine solche Psychose eintreten, ist das Medikament sofort abzusetzen und ein Arzt aufzusuchen. Allerdings sollte bei einer normalen Therapie die Einnahme des Medikaments nicht spontan unterbrochen, sondern langsam reduziert werden, da auch plötzliches Absetzen eine Psychose auslösen kann. Bei Einnahme dieser Droge ist daher eine regelmäßige ärztliche Betreuung und Aufsicht zwingend notwendig und auftretende Nebenwirkungen sollten augenblicklich nach Auftreten mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Es sind zahlreiche Wechselwirkungen mit Antidepressiva, Beruhigungsmitteln und Neuroleptika bekannt, auch kann Methylphenidat bei Epilepsiepatienten die Wahrscheinlichkeit eines epileptischen Anfalls erhöhen.
    • Modafinil wird zur Behandlung der Schlafkrankheit Narkolepsie eingesetzt, wobei zwar nicht genau bekannt ist, wie es eigentlich wirkt, doch vermutlich verlangsamt es die Ausschüttung eines schlaffördernden Botenstoffes und hält Narkoleptiker auf diesem Wege wach. Gesunde versprechen sich eine gesteigerte Aufmerksamkeit und Wachheit. Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit und Durchfall sind die häufigsten Nebenwirkungen, aber auf Grund der unklaren Wirkungsweise können gesundheitliche Langzeitfolgen nicht ausgeschlossen werden.
    • Piracetam ist ein Mittel gegen Demenz und verbessert kurzfristig bei Betroffenen die Denkleistung, indem es den Hirnstoffwechsel anregt. Neben Schlafstörungen, Übelkeit und Durchfall kann es zu Depressionen kommen.
    • Fluoxetin wird häufig gegen Depressionen verschrieben und erhöht den Serotoninspiegel und hebt dadurch die Stimmung. Nebenwirkungen sind Verwirrtheit, unkontrollierte Krämpfe und das Risiko einer Abhängigkeit, wobei die gravierendste Nebenwirkung eine erhöhte Suizidgefahr darstellt.
    • Nikotin: Im Sommer 1926 erschien im British Medical Journal ein Artikel des Mediziners Henry Moll von der University of Leeds, in dem er Nikotin­injektionen als Behandlungsansatz für das post­enzephalitische Parkinson-Syndrom beschrieb. Betroffene leiden nach einer Entzündung des Hirngewebes an Symptomen, die der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit bei der Parkinsonkrankheit gleichen, wobei dies allerdings nur eine Seite des Körpers betrifft. Es kommt zwar durch Nikotin nicht zu einer Heilung, aber immerhin kann dieser Therapieansatz die Symptome deutlich lindern. Das liegt daran, dass Nikotin an Rezeptoren im Gehirn andockt und so eine entspannende Wirkung entfaltet und daneben auch die kognitive Leistungsfähigkeit erhöht. Klinischer Studien liefern allerdings inkonsistente Ergebnisse, was darauf hindeutet, dass nur bestimmte Personen­gruppen von Nikotin profitieren.

    neuro-enhancementVon einer selektiven Wirkung auf spezifische Hirnfunktionen kann bei solchen Medikamenten daher überhaupt keine Rede sein. Allerdings ist eine gesteigerte Dopamin-Wirkung, wie sie viele dieser Mittel anstreben, ein unkalkulierbares Risiko, denn schon bei der Kurzzeitanwendung können diese Medikamente bei entsprechender Veranlagung aggressiver machen, denn die Fähigkeit, aggressive Handlungsimpulse zu kontrollieren, ist durch diese Medikamente nachhaltig gestört. Die Auslösung von Manien oder Psychosen ist insbesondere bei der langfristigen Einnahme von Amphetaminen wahrscheinlich. Die gesundheitlichen Gefahren werden beim Gehirndoping nach Ansicht von ExpertInnen massiv unterschätzt, denn viele der missbräuchlich eingesetzten Medikamente führen in kurzer Zeit in die Abhängigkeit, sodass ein Entzug in der Psychiatrie notwendig ist.

    Die neue Arbeitswelt mit ihren Anforderungen an Flexibilität, Erreichbarkeit und Mobilität ist nach Ansicht von ExpertInnen ein Nährboden für diese Süchte. Nach den Entwicklungen in den USA steigt auch in Europa die Bereitschaft zum Gehirndoping, wobei vor allem SchülerInnen und StudentInnen zunehmend der Versuchung erliegen, durch die Einnahme von Pillen auch den absurdesten Leistungsanforderungen gerecht zu werden. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2010 in Deutschland stehen mehr als 80 Prozent der befragten Schüler und Studenten in Deutschland einer frei verfügbaren Pille positiv gegenüber, die Leistungssteigerung und Stimmungsaufhellung verspricht, wobei hinzukommt, dass durch die Möglichkeiten des Internets verschreibungspflichtige Medikamente relativ frei verfügbar sind. Unter den Leistungsjunkies kursieren Listen von Medikamenten, die helfen sollen, sich in der Leistungsgesellschaft einen möglichst guten Platz zu sichern, jedoch ist allen Medikamenten gemeinsam, dass sie letztlich nicht zum gewünschten Effekt führen, sondern nur Nebenwirkungen bis hin zur Abhängigkeit entfalten. Besonders riskant ist die Einnahme von Methylphenidat, denn bei Gesunden führt Ritalin nicht zu Leistungssteigerung und besseren Stimmung, sondern eher zum Gegenteil. Auch die missbräuchliche Einnahme von Medikamenten zur Bekämpfung von Demenz und Depression bringt nach Beobachtungen bei Gesunden außer Kopfschmerzen, Ruhelosigkeit und Übelkeit nichts. Dennoch glauben immer mehr Studierende und auch Berufstätige, durch Gehirndoping besser und erfolgreicher funktionieren zu können. Bedenklich ist, dass rezeptpflichtige Substanzen wie Ritalin oder Modafinil über das Internet einfach zu beziehen sind.

    Wiebke Rögener beschreibt in ihrem Buch „Hyper Hirn“ die schöne neue Neurowelt, was heute schon möglich ist und welche künftigen Entwicklungen vorstellbar sind. Dabei kritisiert sie unter anderem die Medien und Wissenschaftler, die plakative Prophezeiungen verbreiten, etwa dass viele Intelligenzpillen sich im klinischen Versuchsstadium befinden und in weniger als fünf Jahren auf den Markt kommen können, was eine Fehleinschätzung darstellt. Aber auch andere Methoden, die sich für Gehirndoping eignen, werden in medizinischen Anwendungen getestet, etwa die transkraniale Magnetstimulation. Die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung existiert, denn schließlich ist auch Heroin ursprünglich als Medikament entwickelt worden. Der drohende Missbrauch stößt zudem eine wichtige ethische Debatte an, wenn etwa das Militär mittels Neuro-Enhancement Soldaten zu Killermaschinen optimiert.

    Nach einer repräsentativen Umfrage von 8000 Studenten aus dem Wintersemester 2010/2011 durch die Hochschul Informations System GmbH (HIS) nimmt zehnte Student leistungsfördernde Mittel, betreibt also „Hirndoping“ und nimmt verschreibungspflichtige Schmerz-, Beruhigungs- oder Aufputschmittel, um die Leistung zu steigern oder beizubehalten. Weitere fünf Prozent der Befragten greifen zu Vitaminpräparaten, Koffein oder homöopathischen Substanzen. Während Studenten der Veterinärmedizin zu 18 Prozent und Sportwissenschaftler zu 14 Prozent zu Medikamenten greifen, nutzen Mathematiker, Informatiker sowie Physiker kaum leistungsfördernde Mittel. Kaum einen Unterschied gibt es bei der Nutzung von Hirndoping durch Männer und Frauen, wobei etwa jeder Zweite die Medikamente zur Vorbereitung auf eine Prüfung nimmt und fast genauso viele bei generellem Stress, während bei der Prüfung sie etwas weniger Hochschüler nutzen. Dabei versprechen sich die Studenten durch die Mittel Hilfe gegen Lampenfieber und wollen die Nervosität in den Griff bekommen und weniger, um die geistige Leistung zu steigern.

    Nach einer Untersuchung in Deutschland haben sich in den vergangenen zehn Jahren die durch Gehirndoping bedingten Krankenstandstage vervierfacht. Dabei haben fünf Prozent der Arbeitnehmer – es gibt aber vermutlich eine hohe Dunkelziffer – in den vergangenen zwölf Monaten leistungssteigernde Präparate ohne medizinische Notwendigkeit eingenommen, wobei vor allem Jüngere regelmäßig nach Medikamenten zur Leistungssteigerung bei der Arbeit und zur Bewältigung des Alltags greifen. Frauen bevorzugen vor allem angstlösende Medikamente, während Männer eher zu leistungssteigernden Mitteln greifen. Wurde früher der Medikamentenmissbrauch vor allem bei StudentInnen während intensiver Lernphasen festgestellt, greifen heute auch Arbeitnehmer immer öfter zu Modafinil oder Methylphenidat (Ritalin), doch werden auch Haschisch oder Marihuana sowie Beruhigungsmittel wie Valium, Xanor oder Lexatonil missbräuchlich verwendet. Bezogen werden leistungssteigernde Medikamente von Erwachsenen meist aus dem Internet, während Beruhigungs- und Schlafmittel hingegen von den Hausärzten verschrieben werden. Missbräuchlich verwendet werden zunehmend auch Beta-Blocker, die  gegen Bluthochdruck wirken, wobei diese Menschen meist vor öffentlichen Auftritten einnehmen, weil diese Mittel auch Ängste lösen und beruhigen. Hinter Gehirndoping steht meist der Wunsch der Menschen, ihr Verhalten, die Leistungsfähigkeit und die Befindlichkeit einfach durch Chemie steuern zu können, doch das Gehirn lässt sich nicht modellieren, denn läuft es durch dieses Doping permanent auf Hochtouren, kommt es zu körperlichen und psychischen Schäden.

    Gehirnstimulation zur Selbstoptimierung?

    Fortschritte in der Neurowissenschaft und auch der Unterhaltungselektronik stellen das Gehirn als Ressource zur Selbstoptimierung in den Mittelpunkt, wobei mit Elektroden und Implantaten immer mehr Produkte angeboten werden, die zahlreiche neurologische Funktionen beeinflussen und verändern sollen, wie etwa kognitive und motorische Fähigkeiten oder auch die Stimmung eines Menschen. Ursprünglich für Menschen mit Behinderung entwickelt, werden sie immer mehr zur künstlichen Ich-Erweiterung und Ich-Verbesserung eingesetzt und angeboten, was zahlreiche ethische Fragen aufwirft.

    Die Arbeiterkammer Oberösterreich verweist bei einer Tagung im Juni 2019 darauf, dass Gehirn-Doping immer häufiger wird, wobei viele Menschen Drogen brauchen, um überhaupt ihre Arbeit zu bewältigen. Dazu der Psychiater Reinhard Haller: „Zum Frühstück ein Aufputschmittel und rein in den Terminstress: Immer mehr Menschen brauchen Drogen, um den Arbeitstag durchzustehen. (…) Man will seine Leistungsfähigkeit durch Suchtmittel regulieren. Das Bedürfnis danach ist enorm: Es gibt eine Untersuchung im deutschsprachigen Raum, dabei geben 48 Prozent der Hausärzte an, dass sie schon einmal ernsthaft nach so einem Mittel gefragt worden sind. Substanzen, die eine ähnliche Wirkung haben, wie Kokain. (…) Unter jedem Menschen mit Suchtproblem leiden durchschnittlich zehn weitere Menschen intensiv. Die Angehörigen natürlich in erster Linie. Aber auch die Kollegen, die Fehler beheben müssen und gegenüber den Vorgesetzten dadurch in schwierige Situationen geraten.“

    Siehe dazu auch Neuro-Enhancement

    Quellen
    Psychopharmaka
    Gehirndoping
    Ritalin

    Literatur

    Middendorff, Elke, Poskowsky, Jonas & Isserstedt, Wolfgang (2012). Formen der Stresskompensation und Leistungssteigerung bei Studierenden. HISBUS-Befragung zur Verbreitung und zu Mustern von Hirndoping und Medikamentenmissbrauch. HIS: Forum Hochschule.
    WWW: http://www.his.de/pdf/pub_fh/fh-201201.pdf (12-01-31)
    OÖN vom 31. August 2013.
    http://www.swr.de/landesschau-rp/gut-zu-wissen/gehirn-doping-pillen-fuer-besser-denker/ (15-04-29)
    https://notiert.stangl-taller.at/grundlagenforschung/nikotin-als-neuroenhancer/ (21-09-28)


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