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Computerspielsucht

    Kinder sind immer dann motiviert, wenn sie Erfolgserlebnisse haben, sodass Computerspiele deswegen auch besonders gefährlich sind, da sie als Alternative zum Alltag, etwa im Vergleich zum schulischen Lernen, mit leicht erreichbaren Erfolgen verknüpft werden. Hinzu kommt, dass Computerspiele ein Teil alltäglicher Lebenspraktiken geworden sind, wobei vor allem Spiele auf dem Smartphone für viele Menschen kaum mehr wegzudenken sind. Mit solchen Spielen lässt sich in Alltagssituationen sehr gut Langeweile vertreiben, wie etwa beim Bus fahren oder im Wartezimmer.

    Untersuchungen zeigen, dass die Faszination von Computerspielen vor allem in der Anfangsphase sehr (zeit-)intensiv sein kann: stundenlanges Spielen kann zunächst die Regel sein. Diese Phase, die sich über Monate erstrecken kann, geht jedoch im Normalfall vorbei. Online-Computerspiele wie „World of Warcraft“ üben aber durch die Mitgestaltungsmöglichkeiten und das ansprechende Design auf viele Kinder und Jugendliche eine große Faszination aus. Obwohl die meisten der SpielerInnen zwar vernünftig und maßvoll mit dem elektronischen Zeitvertreib umgehen, gibt es einige, die  sich mit der Zeit ganz in der virtuellen Realität verlieren und  darüber sowohl Ausbildung als auch soziale Kontakte vernachlässigen (vgl. Stangl, 2008). Für ein positives Spielerlebnis ist das Flow-Erlebnis verantwortlich, ein spezielles Phänomen der intrinsischen Motivation, das den Zustand des reflexionsfreien gänzlichen Aufgehens in einer glatt laufenden Tätigkeit bezeichnet, die als angenehm erlebt wird und zu Zufriedenheit und freudvollem Erleben führt. Das Flow-Erlebnis umschreibt dabei die Faszination, die Nutzer und Nutzerinnen an ein Online-Spiel fesselt, wobei auf Raum und Zeit vergessen wird und das im Extremfall auch dazu führt, dass auf bestimmte menschliche Bedürfnisse vergessen wird, etwa etwas zu essen, zu trinken oder die Toilette aufzusuchen.

    Nach einer neueren repräsentative Studie der Universität Münster im Jahre 2013 (Festl et al., 2013) verbringt jeder deutsche Computerspieler 52 Minuten täglich mit Computer- oder Konsolenspielen, wo bei davon 0,2 Prozent abhängig sind und 3,7 Prozent zeigen eine problematische Spielnutzung. Unter den Jugendlichen (Gruppe der 14- bis 18-Jährigen) liegt dieser Anteil mit 7,6 Prozent doppelt so hoch. Anhand von sieben in der internationalen Suchtforschung etablierten Kriterien wurde die problematische Spielnutzung untersucht. Wurden von den Befragten alle sieben Kriterien erfüllt, so ist von einer Spielsucht die Rede, ab vier erfüllten Kategorien liegt eine problematische Spielnutzung vor. Problemspieler verbringen mehr Zeit vor dem Bildschirm und bevorzugen auch Online- und Ego-Shooter-Spiele. Menschen mit Hang zu einer problematischen Spielnutzung weisen weniger Sozialkompetenz auf, haben ein geringeres Selbstvertrauen, verfügen über ein größeres Aggressionspotenzial und zeigen eine niedrigere Lebenszufriedenheit. Obwohl die Computerspielsucht nur eine Minderheit von SpielerInnen betrifft, ist für die Betroffenen und deren Angehörigen ist Spielsucht allerdings ein sehr ernstes Problem, gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die deutschen Studie zur Internetabhängigkeit im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums zeigt, dass etwa 1,0 Prozent der Bevölkerung zwischen 14 und 64 Jahren betroffen ist. Bei den 14- bis 24-Jährigen gelten 2,4 Prozent und bei den 14- bis 16-Jährigen sogar 4,0 Prozent als süchtig. Wie lange jemand spielt oder sich in sozialen Netzwerken aufhält, ist nach den DSM-5-Kriterien nicht allein ausschlaggebend, denn problematisch wird es erst, wenn Entzugssymptome, Kontrollverlust und die Täuschung Nahestehender hinzukommen.

    Jahrelange Forschung hat etwa fast 500.000 Risiko-Gamer in Deutschland nachgewiesen, im April 2019 ergab eine Studie der Krankenkasse DAK und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen, dass 465000 deutsche Jugendliche Risiko-Gamer sind und elf Prozent davon regelmäßig in der Schule fehlen, um sich Computerspielen zu widmen. Die betroffenen Teens klagen ferner über Sorgen und Ängste und haben mit Konzentrationsproblemen, motorischer Unruhe und erhöhter Aggressivität zu kämpfen. Die Studie weist aus, dass besagte Risiko-Gamer zwischen zwölf und 17 Jahren auch viel Geld für Gaming ausgeben, durchschnittlich werden innerhalb von sechs Monaten rund 110 Euro für das Hobby ausgegeben, der Spitzenwert lag bei 1000 Euro.

    In der repräsentativen Untersuchung „Game over: Wie abhängig machen Computerspiele?“ wurden mehr als tausendfünfhundert Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 12 bis 25 Jahren mit der Internet Gaming Disorder Scale vermessen, wobei wenn mindestens fünf von neun Standardfragen mit „ja“ beantwortet werden, die Teilnehmer als computerspielabhängig gelten. Danach sind in der Altersgruppe der 12- bis 25-Jährigen 5,7 Prozent von einer Computerspielabhängigkeit betroffen, wobei männliche Probanden mit 8,4 Prozent deutlich häufiger sind abhängig als weibliche. Die befragten Jungen und jungen Männer spielen am Wochenende im Durchschnitt fast drei Stunden pro Tag am Computer, sechs Prozent haben  dabei ernsthafte Probleme mit Familie oder Freunden, 13 Prozent konnten das Spielen gegen den Rat anderer Menschen nicht reduzieren, 19 Prozent haben Streit durch ihr Spielverhalten und 26 Prozent fühlen sich unglücklich, wenn sie nicht spielen können.

    Nach Angaben des Bundesverbands interaktiver Unterhaltungssoftware nutzt inzwischen fast die Hälfte aller Deutschen digitale Spiele – das sind 34,2 Millionen Menschen. Apps für Smartphones und Tablets machen Games überall verfügbar, wovon die Hersteller profitieren, aber der Entwickler des millionenfach heruntergeladenen Spiels „Flappy Bird“ hatte die App im Februar auf dem Höhepunkt des Erfolgs zurückgezogen, weil sie ein zu hohes Suchtpotenzial aufweist.

    Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat 2018 im vorläufigen Entwurf des internationalen Klassifikationssystems für Krankheiten (International Classification of Diseases ICD-11) die Sucht nach Videospielen als „Gaming Disorder“ in den Katalog aufgenommen (s. u.). Die Spielstörung soll dabei in der Kategorie „Störungen auf Basis suchtartigen Verhaltens“ geführt werden, unter die auch die Gambling Disorder fällt, also die Glücksspielstörung. Dabei wird die Videospielsucht folgendermaßen definiert: „Die Spielstörung entspricht einem Muster anhaltendem oder wiederkehrendem Spielverhaltens, das Online als auch Offline auftreten kann.“ Der WHO zufolge kann sich das im Verhalten äußern, wenn der Betroffene beispielsweise regelmäßig exzessiv und unverhältnismäßig viel Zeit mit Spielen verbringt und das Hobby die Kontrolle über den Alltag übernimmt und sich trotz negativer Folgen weiter verschlimmert. Ob die Gaming Disorder im Sommer 2018 tatsächlich aufgenommen wird, steht noch nicht fest, da eine solche Einstufung weitreichende Folgen haben könnte, denn am Katalog der WHO orientieren sich Ärzte und Krankenkassen, die die Aufnahme der Videospielsucht kritisch sehen, und begründen das damit, dass es damit zu einer Stigmatisierung auch gesunder Kinder und Erwachsener kommen könnte. Letztlich wurde Gamingsucht 2019 endgültig von der Weltgesundheitsorganisation in die Liste der Gesundheitsstörungen aufgenommen, und zwar trotz Kritik aus der Industrie. Diese Form der Spielsucht findet sich im neuen internationalen Katalog der Krankheiten (ICD-11) unter dem Begriff Gaming Disorder bzw. der Bezeichnung 6C51. Drei Kriterien wurden dabei festgelegt: Beeinträchtigte Kontrolle über das eigene Spielverhalten hinsichtlich Häufigkeit, Intensität, Dauer, Beginn oder Ende des Spielens, verstärkte Priorisierung von Gaming, bis hin zu dem Punkt, dass andere Lebensbereiche und Aktivitäten vernachlässigt werden und zuletzt Weiterspielen trotz Konsequenzen. Damit können Betroffene krankheitswertiger psychischer Störungen mit vorhandener ICD-Diagnose Psychotherapie auf Kosten der Krankenkasse in Anspruch nehmen.

    Literatur

    Festl, Ruth, Scharkow, Michael, Quandt, Thorsten (2013). Problematic computer game use among adolescents, younger and older adults. Addiction, 108, 1360-0443.
    Stangl, W. (2008). Spielsucht – Computerspielsucht.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/SUCHT/Spielsucht.shtml (08-02-17)
    http://www.rp-online.de/leben/gesundheit/psychologie/machen-computerspiele-wirklich-suechtig-aid-1.4126150 (14-03-25)
    http://de.ign.com/allgemein/127051/feature/who-will-videospielsucht-2018-als-krankheit-anerkennen (18-02-08)
    https://icd.who.int/dev11/l-m/en#/http%3a%2f%2fid.who.int%2ficd%2fentity%2f1448597234 (18-02-08)


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