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Hospitalisierung

    Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Kinder, die länger als sechs Monate in Heimen untergebracht waren, häufig in ihrer sprachlichen, sozialen und motorischen Entwicklung zurückblieben. Viele wurden aufgrund fehlender Zuwendung im Heim hospitalisiert. Wissenschaftliche Filme aus den 1960er Jahren zeigen Kinder in Säuglingsheimen, die apathisch wirken und permanent mit den Köpfen wippen. Sie sind darin nicht unähnlich manchen Zirkustieren, die die meiste Zeit in zu engen Käfigen gehalten werden.

    René A. Spitz befasste sich als Erster mit der systematischen Erforschung der Psychologie des Säuglingsalters und wurde vor allem bekannt mit seinen empirischen Untersuchungen der gestörten Mutterbeziehungen des Säuglings bei inkohärenten Stimuli: Aktive und passive Ablehnung des Kindes, Überfürsorglichkeit, abwechselnde Feindseligkeit und Verwöhnung, mit Freundlichkeit verdeckte Ablehnung. Hospitalismus war ein von Spitz geprägter Ausdruck für ein zunächst in Spitälern beobachtetes Erscheinungsbild der psychischen Verwahrlosung, die sich in Verhaltensstörungen, zB Iaktation, Enuresis, Enkopresis etc, und retardierter Entwicklung äußert. Man spricht auch häufig von einer Gefühlsmangelkrankheit, denn Spitz beobachtete Kleinkinder, die früh von der Mutter getrennt wurden und unter guten Ernährungsbedingungen und Pflege in einem Heim betreut wurden. Allerdings waren den Schwestern zu viele Kinder anvertraut worden, sodass diese nicht jene Zuwendung und jenen körperlichen Kontakt erhielten, den sie für eine gesunde Entwicklung benötigt hätten. Da diese Kinder nur die physischen Überlebensbedürfnisse erfüllt bekamen, aber jegliche Emotionalität und mütterliche Fürsorge fehlte, und ein Defizit an äußeren Stimuli für jedes einzelne Kind fehlte, entstanden soziale, sensorische und emotionale Defizite beim Kind, sodass die Säuglinge psychisch verhungerten, was sich auch körperlich zeigte, teilweise bis zum frühzeitigen Tod. Typische Hospitalismusschäden bei den Kindern sind etwa eine verlangsamte Motorik, eine passive Gestimmtheit bis zur Apathie, eine Regression, Infektionsanfälligkeit, Störungen in der Wahrnehmung und Lernstörungen.

    Heimkinder und Pflegekinder

    *** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Fast ein Prozent der Kinder und Jugendlichen lebt heute außerhalb der Herkunftsfamilien, d. h., in einem Heim, bei Pflege- oder Adoptiveltern, wobei fast alle Betroffenen in ihren ersten Lebensjahren in irgendeiner Form verletzt worden ist, etwa mit einer nachhaltig andauernden Belastung und auch neuen kritischen Erlebnissen in Form einer Fremdplatzierung. Untersuchungen zeigen, dass die Bildungschancen bei diesen Kindern und Jugendlichen damit wesentlich eingeschränkt sind. Vor allem hängt ihr Bildungserfolg nicht mehr allein von ihren individuellen Begabungen und Fähigkeiten ab, sondern ist an spezifische Voraussetzungen geknüpft: Stabilität, Vertrauen und Wertschätzung vermittelnde soziale Beziehungen. Die Chance für einen erfolgreichen Bildungsverlauf ist dann umso größer, je mehr derartige Beziehungen mit Bildungssettings und bildungsförderlichen sozialen Orten verbunden sind. Außerdem ist eine gute Kooperationsbasis zwischen Bildungssetting und Betreuungssetting wichtig, in die idealerweise auch die Herkunftsfamilie einbezogen wird. Internationale Befunde deuten darauf hin, dass Kinder in einer Pflegefamilie drei- bis viermal häufiger Gefährdung erfahren als der Durchschnitt aller Kinder. Nach einer englischen Studie haben Heim- und Pflegekinder aus unterschiedlichen Gründen ein mehrfach erhöhtes Risiko, während der Fremdbetreuung misshandelt oder ausgebeutet zu werden. Deshalb ist eine gute und stete Begleitung der Platzierungsverhältnisse und der betroffenen Kinder selber sowie die kontinuierliche Einbindung in ein Netz von Beteiligten aus Tagesstätte, Kindergarten, Schule, Elternhaus, Behörden, Personal der Fremdunterbringung, TherapeutIn notwendig (Schild, 2017).

    Wie lange die Kinder in einem Heim gelebt haben, ist dabei ein entscheidender Faktor für deren künftige psychische Gesundheit, wie Sonuga-Barkeet al. (2017) an rumänischen Adoptivkindern nachwiesen. Kinder, die weniger als sechs Monate im Heim verbracht hatten, waren dabei psychisch ähnlich gesund wie eine Vergleichsgruppe. Kinder, die mehr als sechs Monate in einer Einrichtung gelebt hatten, zeigten hingegen soziale, emotionale und kognitive Probleme, etwa autistische Züge, der soziale Umgang mit anderen fiel ihnen schwer, und sie waren unaufmerksam oder überaktiv. Im Durchschnitt erreichten sie ein schlechteres Bildungsniveau und waren später häufiger arbeitslos. Man konnte in der Studie jedoch nicht feststellen, ob es ein Zeitfenster in der Entwicklung gibt, in dem Kinder besonders sensibel auf Vernachlässigung reagieren, denn die Kinder kamen mit unterschiedlichem Alter ins Heim und lebten dort für unterschiedlich lange Zeit.

    Siehe dazu auch Hospitalismus.


    1. Definition
    Hospitalisierung ist eine Sammelbezeichnung für psychologische und psychosomatische Schäden, die bei Kindern nach längerem Aufenthalt in Heimen, Pflegestätten, Kliniken, und Anstalten entstehen können. Diese Schäden sind hauptsächlich auf den Mangel emotionaler Zuwendung zurückzuführen. Hospitalisierung macht sich durch verzögerte Entwicklung, Aggressivität, Teilnahms- und Ausdruckslosigkeit von Kindern bemerkbar (Brockhaus Enzyklopädie 1989, S.261-262)

    2. Definition
    Die Hospitalisierung kann auf nahezu totalen Entzug mütterlicher Liebe zurückgeführt werden. Zuerst treten Entwicklungsstörungen auf, die zunehmend die Aktivität des Kindes hemmen und schließlich zu extremen körperlichen Veränderungen führen (vgl. Legewie & Ehlers 1992, S. 183).

    3. Definition
    Mit Hospitalismus wird eine Entwicklungsstörung in den ersten Lebensjahren bezeichnet. Diese tritt häufig bei Kindern auf, welche in Heimen und Anstalten aufwachsen oder über längere Zeit dort „hospitalisiert“ bleiben. Das hervorstechendste Merkmal ist ein Rückstand in der gesamten Entwicklung, der nicht nur die motorischen Funktionen (Sitzen, Gehen, Greifen, Manipulieren) hemmt, sondern in erster Linie das rechtzeitige Sprechen und damit die intellektuelle Entwicklung beeinträchtigt (vgl. Marhold 1969, S. 1468-1473).

    4. Definition
    Unter Hospitalismus versteht man die Beeinträchtigungen der körperlichen und/oder psychischen Gesundheit, die durch Krankenhausaufenthalte (Hospitalisierung) hervorgerufen werden, beispielsweise durch Infektionen, seelische Belastungen oder soziale Deprivationen (chronisch psychisch Kranke) (vgl. Tewes & Wildgruber 1992, S.152).

    5. Definition
    Hospitalismus im weiteren Sinne ist eine Sammelbezeichnung für ganz verschiedene Folgeerscheinungen, die durch einen längeren Krankenhaus-, Heim- oder Anstaltsaufenthalt hervorgerufen werden können. Solche Folgeerscheinungen können sich körperlich (z.B. Resistentwerden von Bakterien gegen Antibiotika) und auf seelischem Sektor äußern. Darüber hinaus sind die Kinder auch nicht in der Lage, tiefere zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen (Lexikon der Pädagogik 1972, S. 254).


    Literatur

    Legewie, H. & Ehlers W. (1992). Knaurs moderne Psychologie. München: Droemer-Knaur.
    Marhold C. (1969). Enzyklopädisches Handbuch der Sonderpädagogik und ihrer Grenzgebiete. Berling-Charlottenburg: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung.
    Schild, B. (Hrsg.) (2017). Fremdplatziert in der Bildungslandschaft – Förderung für Kinder und Jugendliche, die außerhalb der Herkunftsfamilie leben. Pabst.
    Tewes U. & Wildgruber K. (1992). Psychologisches Lexikon. München-Wien: R. Oldenbourg Verlag.
    Sonuga-Barke, Edmund J. S., Kennedy, Mark, Kumsta, Robert, Knights, Nicky, Golm, Dennis, Rutter, Michael, Maughan, Barbara, Schlotz, Wolff & Kreppner, Jana (2017). Child-to-adult neurodevelopmental and mental health trajectories after early life deprivation: the young adult follow-up of the longitudinal English and Romanian Adoptees study. The Lancet, doi:10.1016/S0140-6736(17)30045-4.
    Ohne Autor (1989). Brockhaus Enzyklopädie (S.261-262). Band 10. Neunzehnte Auflage. Mannheim: F.A. Brockhaus GmbH
    Ohne Autor (1972). Lexikon der Pädagogik (S. 254). Breisgau: Herder Druck Freiburg.


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