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Oxytocin

    Kurzdefinition: Oxytocin ist ein Eiweißstoff (Peptid), der im Gehirn aller Säugetiere hergestellt wird, und als Hormon über die Blutbahn in andere Organe gelangt und die glatte Muskulatur zusammenziehen lässt. Das passiert etwa, damit Muttermilch fließt, in der Gebärmutter zur Einleitung der Geburt und beim Orgasmus von Frauen und wenn sich bei Männern der Samenleiter rhythmisch verengt. Im Gehirn selbst beeinflusst es als Neurotransmitter soziale Interaktionen und verstärkt die Bindung zwischen Mutter und Kind aber auch Mann und Frau. Oxytocin hemmt das Angstzentrum im Gehirn und lässt Furcht schneller abklingen.

    Oxytocin war zunächst bei Präriemäusen als jener Stoff identifiziert worden, der die Bindung vom Muttertier zu den Jungen steuert und die Tiere zu lebenslanger Treue führt. Später entdeckte man, dass auch beim Menschen Oxiytocin als Förderung der Liebe und des Vertrauens fungiert. Vor allem ist das Hormon aber für den Geburtsvorgang essenziell und ist bis heute in Wehentropfen enthalten, denn durch Gebärmutterkontraktionen hilft es, die Geburt einzuleiten. Oxytocin stößt die Milchproduktion der stillenden Mutter an und wird im Gehirn eines Babys ausgeschüttet, wenn es an der Mutterbrust trinkt, woraus diese starke Mutter-Kind-Bindung im Wesentlichen beruht.

    Neuere Untersuchungen zeigen, dass Oxytocin auch bei Knochenbildung und Fettstoffwechsel mitspielt, denn es wirkt auch auf das Skelett, fördert die Knochenbildung und hemmt den Abbau von Knochenmaterial. Zumindest bei Experimenten an Mäusen konnte man zeigen, dass Oxytocin in der Zeit der Schwangerschaft und des Stillens am meisten knochenschützend wirkt. Dazu reduziert es die Menge des Körperfetts, bremst aber zugleich die Umwandlung von weißem Fett, das der Energiespeicherung dient, in braunes Fett, das Wärme erzeugt. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass Oxytocin gegen ein Absinken des Östrogenspiegels wirkt. Man vermutet daher, dass die basale, ursprüngliche Bedeutung des Oxytocins, Schwangerschaft und Milchproduktion zu fördern, die Aufgabe zu einer Förderung der Bindung erst bei Säugetieren übernommen hat und seither offenbar für immer mehr höhere, auch sozial relevante Aufgaben zuständig ist.

    Ausgeschüttet wird Oxytocin vom Hypothalamus, der bekanntlich wichtigsten Hormonquelle des Gehirns, und beeinflusst vor allem das emotionale Zentrum im limbischen System, indem es auf die Amygdala wirkt, die im Schläfenlappen des Gehirns liegend hauptverantwortlich für die emotionalen Reaktionen von Lebewesen ist. Die Wirkung entfaltet das Oxytocin an vielen verschiedenen Stellen im Körper, wobei es wie fast alle Hormone dafür als Vermittler Oxytocin-Rezeptoren benötigt, die die Botschaft des Hormons dann ins Zellinnere weiterleiten. Dort stellt es unter anderem sicher, dass man soziale Kontakte und Partnerschaft als angenehm empfindet und in andere Menschen Vertrauen gewinnt. Soziale Arten besitzen daher deutlich mehr Oxytocin-Rezeptoren in ihrem Gehirn als nicht soziale. Oxytocin ist also jenes zentrale Hormon, das für emotionale Bindungen, Liebe und Vertrauen verantwortlich ist, denn die Substanz sensibilisiert für soziale Verstärker wie lobende oder tadelnde Gesichter. Oxytocin spielt vermutlich für die Erkennung von sozialen Signalen, zum Beispiel von Gefühlen, die sich im Gesichtsausdruck widerspiegeln, eine wichtige Rolle. Menschen, die Oxytocin bekommen haben, können soziale Signale im Experiment besser lesen als Menschen, die das Hormon nicht erhalten haben, d. h., wenn man für Probanden und Probandinnen ein neutrales und ein fröhliches Gesicht übereinander legt, so dass man nur noch wenig Fröhlichkeit erkennen kann, sind Menschen, die Oxytocin bekommen haben, besser darin, diese Spur von Fröhlichkeit doch noch zu erkennen.

    Schon in früheren Studien wurde gezeigt, wie wichtig Oxytocin für den Umgang mit anderen Menschen und das Sozialverhalten im Allgemeinen ist, wobei Oxytocin manchmal auch als Liebes-, Kuschel-, Vertrauens- oder Orgasmushormon bezeichnet wird, denn es ist auch in den Geschlechtsverkehr involviert. Die Produktion von Oxytocin ist auch beim Stillen erhöht und wirkt sich damit auch auf das Bindungsempfinden generell aus, d.h., je mehr von diesem Hormon in die Blutbahn gelangt, desto mehr fühlt man sich zu Partner oder Kind hingezogen. Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Wirkung von Oxytocin im Gehirn bei Männern und Frauen unterscheidet, wobei Oxytocin bei Männern eher dämpfend wirkt, was man so interpretiert, dass Oxytocin bei Männern stressunterdrückend sein könnte. Bei Frauen hat man hingegen beobachtet, dass Oxytocin die Aktivität der Amygdala eher steigert, diese also durch Oxytocin mehr Stress erleben. 2005 wurde eine vergleichbare Studie durchgeführt und es zeigte sich zwar, dass mit Oxytocinsprays durchaus eine vertrauensfördernde Wirkung zu erzielen ist, aber nicht bei allen Menschen. In bestimmten Situationen löste Oxytocin sogar negative Emotionen wie Neid aus oder führte zu Aggressionen und zu gewalttätigem Verhalten.

    Oxytocin wird manchmal auch als Liebes- oder Orgasmushormon bezeichnet, denn es ist sowohl für die Zusammenziehung der glatten Muskulatur verantwortlich, etwa wenn sich beim Orgasmus bei der Frau die Gebärmutter oder beim Mann der Samenleiter rhythmisch kontrahiert. Die Produktion von Oxytocin ist auch beim Stillen erhöht und scheint sich damit auch auf das Bindungsempfinden generell auszuwirken: Je mehr von dem Hormon in die Blutbahn gelangt, desto mehr fühlt man sich demnach zu Partner oder Kind hingezogen. Das Hormon Oxytocin stärkt nicht nur das Vertrauen in andere Menschen, sondern wie in einer Studie von Ulrike Rimmele und Peter Klaver (Universität Zürich) nachgewiesen, hilft es auch beim Wiedererkennen von Gesichtern: Wer eine Dosis des Hormons als Nasenspray verabreicht bekommt, kann besser zwischen vertrauten und fremden Gesichtern unterscheiden. Die Erinnerung an leblose Gegenstände wie Häuser oder Statuen wird von dem Hormon nicht beeinflusst. Die Studie zeigt, wie wichtig Oxytocin für den Umgang mit anderen Menschen und das Sozialverhalten im Allgemeinen ist. Man hat auch nachgewiesen, dass Umarmungen durch den Partner zu einer höheren Ausschüttung von Oxytocin führen und damit zu einem niedrigeren Blutdruck. Das traf allerdings in hohem Ausmaß nur bei Frauen zu, denn bei Männern stellte sich kein so deutlicher Effekt ein, obwohl auch bei ihnen ein höherer Oxytocin-Spiegel gemessen wurde. Bei Frauen scheint sich das auch manchmal als „Bindungs-Hormon“ bezeichnete Oxytocin direkt auf das Nervensystem und verschiedene Körperfunktionen auszuwirken.

    Nach neueren Untersuchungen spielt Oxytocin bei Männern eine zentrale Rolle für Treue und monogames Verhalten, denn weisen Männer einen erhöhten Oxytocinspiegel im Gehirn auf, erscheint die eigene Partnerin im Vergleich zu anderen Frauen attraktiver. Man hatte in einem Versuch heterosexuellen Männern, die in einer Partnerschaft leben, ein Oxytocin-Nasenspray verabreicht und die Auswirkungen dieses Hormonschubs dokumentiert. Offensichtlich sorgt das Hormon dafür, dass beim Anblick der eigenen Partnerin das Belohnungszentrum im männlichen Gehirn aktiviert wird, wodurch die Zweierbindung und monogames Verhalten gestärkt wird. In Untersuchungen hatte sich u. a. auch gezeigt, dass in Partnerschaften gebundene Männer unter Oxytocin-Einfluss mehr Abstand zu attraktiven fremden Frauen wahren als Singles oder unbehandelte Männer, denn offenbar verstärkt das Hormon die Treue

    Auch durch häufige Berührungen wird der Oxytocinspiegel hochgehalten und dadurch  die Bindung stabilisiert. Man vermutet daher auch, dass das Hormon für die Monogamie, die bei Säugetieren nicht sehr verbreitet ist, den Menschen zur Ausnahme macht, denn vergleichsweise viele Paare des Homo sapiens haben in einer Liebesbeziehung keine weiteren Partner (vgl. Scheele et al., 2013).

    Oxytocin hat seinen Namen aus dem Griechischen („leicht gebärend“), da es die Wehen einleitet, und wenn das Kind da ist und Durst hat, dafür sorgt, dass Milch kommt. Und Vertrauen, denn Oxytocin stärkt den sozialen Zusammenhalt, vor allem den zwischen Mutter und Kind, vermutlich auch den zwischen Mann und Frau, daher gilt es als „Treuehormon“, nicht nur bei den Menschen, sondern alle Säugetiere produzieren es. Und sozial lebende Tiere aktivieren seine Produktion im Gehirn durch Körperkontakt, gegenseitiges Kraulen („grooming“). Bei Menschen funktioniert es aber auch akustisch, denn Mütter mobilisieren Oxytocin in den Milchdrüsen, wenn sie das durstige Baby hören, aber auch Kinder produzieren Oxytocin im Gehirn, wenn sie die Stimme ihrer Mutter hören.

    Markova (2018) untersuchte frühe soziale Spielroutinen während natürlicher Face-to-Face-Interaktionen zwischen Mutter und Kind und deren Beziehung zu Oxytocin, wobei dreiundvierzig Mutter-Kind-Dyaden beobachtet wurden, als die Säuglinge 4 Monate alt waren, wobei sie so interagieren sollten, wie sie es zu Hause tun würden. Soziale Routinespiele wie „Hoppe, hoppe Reiter“ oder „Das ist der Daumen, der schüttelt die Pflaumen“ sind ein fester und wichtiger Bestandteil von frühen Mutter-Kind-Interaktionen, und werden von Müttern zur Aufmerksamkeitslenkung bzw. als Emotionsregulationsstrategie bewusst eingesetzt. Während diese Interaktionen sammelte man mehrere Speichelproben von Babys und Müttern, um das Hormon Oxytocin zu messen, das eine wichtige Rolle in frühen Mutter-Kind-Interaktionen spielt. Mütter begannen soziale Spielroutinen hauptsächlich in Situationen, wenn ihre Kinder abgelenkt von der Interaktion mit ihnen oder auch frustriert waren, während in der restlichen Interaktionszeit Babys mehr positiven Affekt während des Spielens zeigten, wobei aber Spiele die Grundstimmung des Kindes aber nicht verändern konnten. Während es bei Müttern, die viel mit ihren Kindern spielten, zu mehr Oxytocin-Ausschüttung nach diesen Interaktionen kam, konnte bei Säuglingen, unabhängig von ihrem Geschlecht, interessanterweise nach besonders spielreichen Interaktionen weniger Oxytocin im Speichel nachgewiesen werden. Dies deutent auf eine regulierende Wirkung von frühen sozialen Spielroutinen hin, die sich sowohl auf der Verhaltensebene als auch der physiologischen Ebene beobachten lässt. Frühe soziale Spielroutinen können daher die Entwicklung komplexer sozialer Kompetenzen bei Babys unterstützen, indem sie es Säuglingen ermöglichen, an frühen Interaktionen mit anderen aktiv teilzunehmen und somit ihr soziales Verhaltensrepertoire zu erweitern.


    Übrigens hat eine britische Studie gezeigt, dass auch Pferde beim regelmäßigen Kraulen ihr Wohlbefinden ausdrücken: eine genießerisch vorgestreckte Oberlippe, verzückt halbgeschlossene Augen und ein gereckter Hals, wodurch Pferde deutlich zeigen, wie sehr sie dieses Kraulen genießen. In der Pferdeherde ist die soziale Fellpflege ein sozialer Kitt, denn die gegenseitige Berührung ist äußerst angenehm, senkt nachweislich den Cortisolspiegel im Blut und auch den Stresslevel. Das Beknabbern an den bevorzugten Körperpartien regt die Hautzellen an, woraufhin Oxytoci ausgeschüttet wird. In der Untersuchung integrierten Pferdebesitzer das Kraulen dreißig Tage lang fest in ihre Routinen. Interviews zeigten danach, dass diese neue Gewohnheit schnell zum Pflege-Ritual gehörte und Pferd und Mensch gute Gefühle bescherte. Die Pferde trugen zum Teil sogar selbst dazu bei, dass die neue Routine nicht vergessen wurde, indem sie das Kraulen aktiv einforderten, sodass die positiven Erfahrungen mit dem Pferd während des Kraulens die Probanden zusätzlich motivierte, die neue Routine beizubehalten.


    Allerdings weiß man bis heute nicht, ob Oxytocin für emotionale Bindungen zwischen Menschen wirklich unerlässlich ist, denn es gibt keine Möglichkeit, das Hormon im menschlichen Körper vollständig zu blockieren. Nur wenn man die individuellen Oxytocinmengen genau bestimmen kann, könnte gezeigt werden, ob unterschiedliche Konzentrationen zu Unterschieden im Sozialverhalten führen. Bisher gab es keine Methode, mit der die Konzentration des Hormons exakt gemessen werden kann, denn je nach Messverfahren erhielt man unterschiedliche Ergebnisse. Brandtzaeg et al. (2016) haben eine neue Methode entwickelt, die präziser sein soll als bisherige Verfahren, denn sie entdeckten, dass Oxytocin im Blut oft an Proteine gebunden ist und nur ein geringer Teil gelöst vorliegt, sodass viele Oxytocinmoleküle für gängige Messtechniken unsichtbar sind. Bricht man hingegen die Bindung zwischen den Proteinen und dem Botenstoff, steht die gesamte Menge des Hormons für die Analyse etwa durch Massenspektrometrie zur Verfügung. Mit dem neuen Verfahren wurde gezeigt, dass im menschlichen Blutplasma und Serum weitaus mehr Oxytocin vorhanden ist als bisher gedacht, und zwar ist die Hormonkonzentration bis zu hundertmal höher, sodass viele bisherige Erkenntnisse erneut überprüft werden sollten, auch wenn unklar ist, welchen Effekt Oxytocin im gebundenen Zustand überhaupt hat und ob es einen Zusammenhang zwischen der gelösten und der gebundenen Menge des Botenstoffs im Blut gibt.

    Bisher gab es jedoch keine eindeutigen Belege für die Annahme, dass sich das Oxytocin-System im Gehirn von Frauen und Männern unterscheidet. Sharma et al. (2019) identifizierten bei Mäusen nun eine Region im Hypothalamus, die sich bei Männchen und Weibchen deutlich voneinander unterscheidet, denn nur weibliche Tiere verfügen dort über Gehirnzellen, die für den Botenstoff Oxytocin sensibel sind. Während Mäuseweibchen über zahlreiche Neuronen mit Oxytocin-Rezeptoren in diesem Areal verfügten, kamen solche Zellen bei den Männchen dort praktisch nicht vor. Diese Zellen besaßen dabei zusätzlich Rezeptoren für Östrogen, wobei sich bei Abwesenheit dieses weiblichen Sexualhormons die Neuronen keine Oxytocin-Rezeptoren mehr ausbildeten. Die Ergebnisse belegen demnach, dass die Expression von Oxytocin-Rezeptoren spezifisch weiblich ist und von Östrogen abhängt. Diese auf Oxytocin reagierenden Neuronen in dieser Region des Hypothalamus spielen also eine wichtige Rolle für die weibliche Physiologie und das weibliche Verhalten, allen voran für den Mutterinstinkt. Man vermutet nun, dass dieser Zusammenhang nicht nur für Mäuse gilt sondern für alle Säugetiere, die mütterliche Fürsorge zeigen, einschließlich des Menschen.

    Oxytocin ist prädestiniert für therapeutische Anwendungen, denn damit kann man Geburten erleichtern, die sozialen Fähigkeiten von autistischen Kindern verbessern, und Schmerzen bei Migräne und chronischen Darmerkrankungen lindern. Da es aber nicht nur den eigenen Signalweg anschaltet, sondern auch jene des ähnlichen Vasopressin, verursacht es verschiedene Nebenwirkungen, denn es bindet neben der Oxytocin-Andockstelle auch die drei Vasopressin-Rezeptoren. In der Medizin wird Oxytocin bei psychischen Erkrankungen wie Autismus, Schizophrenie und sozialen Phobien eingesetzt, denn das Hormon ist für das zwischenmenschliche Verständnis bzw. für das Erkennen von Gefühlen des Anderen notwendig. Möglicherweise kann Oxytocin daher bei jenen autistischen Störungen hilfreich sein, bei denen sich die Betroffenen in sozialen Situation unangemessen verhalten, schlechter soziale Signale erkennen und soziale Situationen meiden, weil solche bei ihnen Stress auslösen.

    Ein internationales Forschungsteam (Muttenthaler et al., 2017) hat eine neue chemische Verbindung entwickelt, die ähnlich wie Oxytocin wirkt, aber in der Anwendung sicherer und nebenwirkungsärmer ist. Dieses künstliche Oxytocin wird durch chemische Synthese hergestellt, wobei drei Atome in dem Signalstoff ausgetauscht werden, und zwar zwei Schwefel-Atome jeweils gegen das sehr ähnliche Selen, und ein Stickstoff-Atom durch ein Sauerstoff-Atom. Dieses Se-Se-Oxytocin-OH ist seiner eigenen Andockstelle viel treuer und ignoriert weitgehend jene des Vasopressin, wodurch die pharmakologische Wirkung selektiver und besser steuerbar ist. Bisher konnte diese verbesserte Wirkung im Tierversuch und in Zellkulturen nachgewiesen werden. Im Zuge eines hochdotierten „Starting Grant“ des ERC, um neue therapeutische Ansätze gegen Erkrankungen des Verdauungstrakts zu erforschen, fand man dabei heraus, dass es zur Schmerzunterdrückung im Darm kommt, wenn man die dort befindlichen Oxytocin-Rezeptoren aktiviert. Derzeit werden zur Behandlung der von chronischen Magen-Darm-Erkrankungen ausgehenden Schmerzen Opiate verwendet. Diese verschlimmern allerdings die Erkrankungen oftmals und können zur Abhängigkeit führen, sodass der Oxytocin-Rezeptor daher von großer Bedeutung sein könnte, da er opiatunabhängig funktioniere und lokal im Darm aktiviert werden kann. Oxytocin zählt zu den Peptidhormonen, die generell für die Entwicklung von oral verfügbaren Medikamenten zu labil sind, denn es wird im Magen-Darm-Trakt sehr schnell verdaut. Nun ist es aber gelungen, eine viel stabilere Version herzustellen, was eine orale Verabreichung ermöglicht. Da Peptide zu groß sind, um die Magen-Darm-Wand zu überwinden und in den Blutkreislauf zu kommen, wirkt diese neue Wirkstoffklasse deshalb nur lokal im Darm, also dort, wo der Schmerz entsteht, ohne unerwünschte Nebeneffekte.


    Hinweis: Es sind oxytocinhaltige Körpersprays – z. B. Liquid Trust – am Markt, die angeblich bewirken, dass einem Menschen plötzlich das ganze soziale Umfeld vertrauen soll. In Experimenten ließ sich keine Wirkung bei den Probanden und Probandinnen nachweisen. Diese Sprays funktionieren daher nicht, das Produkt ist reiner Unfug, denn eine Dosis, die das Verhalten anderer beeinflussen könnte, müsste ziemlich hoch sein, und bei einem Spray, das auf andere Menschen zielt, verflüchtigt sich die Konzentration sofort. Hilfreich hingegen ist die menschliche Umarmung, überhaupt Körperkontakt, sanftes Streicheln, denn die Berührung führt dazu, dass körpereigenes Oxytocin ausgeschüttet wird, wobei Dopamin und Endorphine ebenfalls an dieser Vertrauensbildung beteiligt sind.


    Nach einer aktuellen Studie kann das Hormon auch bei der Bewältigung von Ängsten helfen, denn man fand heraus, dass Oxytocin das Furchtzentrum im Gehirn hemmt und dabei hilft, Angstreize abklingen zu lassen. Ängste, verursacht etwa durch einen Unfall, setzen sich durch Konditionierung tief im Gedächtnis fest, und sorgen dafür, dass bei bestimmten ähnlichen Situationen durch Bilder oder Geräusche diese mit Gefahr und somit auch Angst verbunden werden. Bei der Studie (Eckstein et al., 2014) hatte man Männern Bilder gezeigt, die mit einer Angsterfahrung verknüpft waren. Die eine Hälfte der Testgruppe bekam über ein Nasenspray Oxytocin, die andere Hälfte ein Placebo. Dass die Paarung aus einem bestimmten Bild und Schmerz tatsächlich im Gehirn der Probanden verankert war, wies man mit zwei Methoden nach: Die Elektroschockerwartung zeigte sich durch vermehrten Angstschweiß, der über die Hautleitfähigkeit gemessen wurde, andererseits bewiesen die Hirnscans, dass immer dann die Angstregionen im Gehirn besonders aktiv waren. Oxytocin verstärkte zunächst die bewussten Eindrücke und damit die Heftigkeit der Reaktion auf die Elektroschocks, doch nach wenigen Minuten überwog die angstlösende Wirkung. Oxytocin verstärkte tatsächlich die Extinktion, denn unter seinem Einfluss klang die Erwartung eines erneuten Angstereignisses im Verlauf stärker ab als ohne diesen Botenstoffn.

    Nach neueren Untersuchungen ist das Hormon aber auch als ein Aspekt für aggressives Verhalten gegenüber Fremden verantwortlich. In Studien wurde gezeigt, dass das Hormon bei Männern das Engagement und die emotionale Beteiligung in einer sozialen Situation steigert, etwa beim Umgang mit Streitigkeiten in einer Partnerschaft, was in einem aggressiven sozialen Umfeld auch negative Effekte haben kann, indem es die negativen Emotionen noch verstärkt. So hat man inzwischen gezeigt, dass das Hormon in bestimmten Situationen Neid auslösen kann und bei von Natur aus aggressiven Menschen gewälttätigem Verhalten Vorschub leistet. Aus Tierversuchen weiß man, dass Oxytocin bei Weibchen nicht nur die Bindung gegenüber Familienmitgliedern verstärkt, sondern zugleich die mütterliche Aggression gegenüber Fremden merkbar erhöht.

    Mitchell et al. (2015) verglichen das Sozialverhalten sowie Emotionen von Probanden unter dem Einfluss von Alkohol und Oxytocin, wobei beide Substanzen ähnlich auf den menschlichen Körper wirkten. Zwar reduzieren sowohl intranasal verabreichtes Oxytocin wie auch ein mäßiger Alkoholkonsum die Empfindung von Angst und Stress und machen Menschen vertrauensseliger, großzügiger und empathischer, aber auf der anderen Seite erhöhen beide Substanzen auch die Risikobereitschaft und lassen Eifersucht, Schadenfreude und Aggressivität wachsen. In den Studien fiel auf, dass die positiven Eigenschaften wie Großzügigkeit und Empathie vor allem den Mitgliedern der eigenen Gruppe galten, was gleichzeitig zu einer Ausgrenzung von Mitgliedern anderer Gruppen führte. Diese Gemeinsamkeiten der Wirkungsweise von Oxytocin und Alkohol erklärt sich auf Grund der Wirkung auf neuronalen Ebene, denn Oxytocin bindet zwar an einen spezifischen Rezeptor in der Präsynapse während Alkohol am GABA-Rezeptor in der Postsynapse andockt, doch beide Vorgänge stimulieren letztlich GABA-Rezeptoren, die wichtigsten hemmenden Rezeptoren des zentralen Nervensystems. Die Wirkung des Oxytocins sowie des Alkohols konzentriert sich dabei auf die Amygdala, das Angstzentrum des Gehirns und den präfrontalen Cortex, in dem Kontrollmechanismen ablaufen, die das Verhalten betreffen.

    Bei Menschen mit chronischen Schmerzen, die gleichzeitig Probleme haben, Bindungen aufzubauen, erzielen gängige Therapiekonzepte häufig keine nachhaltige Wirkung. Ann-Christin Pfeifer, Wissenschaftlerin an der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, untersuchten daher im Rahmen einer Studie an 150 Probanden mit lange bestehenden Rücken- und Nackenschmerzen, ob ein kombiniertes Behandlungskonzept, das die Bindungs-Probleme berücksichtigt, den langfristigen Therapieerfolg verbessern und die chronischen Schmerzen dauerhaft lindern kann. Die subjektive Einschätzung der Arzt-Patienten-Beziehung nach Abschluss der insgesamt vierwöchigen Therapie wurde mit zwei objektiv messbaren Merkmalen verglichen: dem Spiegel des Bindungshormons Oxytocin und dem Schmerzlevel drei Monate nach Therapieende. Die Kombinationstherapie umfasste dabei Medikamente, Physiotherapie und psychotherapeutische Elemente, die die soziale Interaktions- und Bindungsfähigkeit verbessern sollen. Es zeigte sich, dass rund zwei Drittel der Schmerzpatienten unsicher gebunden waren, also eine Tendenz zu Bindungsangst oder Bindungsvermeidung hatten, was im Vergleich mit der Durchschnittsbevölkerung einen sehr hoher Wert darstellt. Die Bindungsfähigkeit scheint also einen nicht zu unterschätzenden Einfluss sowohl auf die Entstehung als auch die Heilungschancen chronischer Schmerzen zu haben. Offenbar ist ein Vertrauensaufbau wichtig für eine gelungene therapeutische Beziehung und in Folge auch die Bereitschaft des Patienten, Empfehlungen seiner Ärzte über die Therapie hinaus einzuhalten. Auch hinaus ging ein hoher Oxytocin-Spiegel im Blut mit geringerer Schmerzempfindlichkeit einher, d. h., bei Menschen mit chronischen Rückenschmerzen ist der Oxytocin-Spiegel im Blut niedriger als bei schmerzfreien.

    Die Forschung zum Modethema Oxytocin bringt auch Kurioses zu Tage: Forscher berichteten, dass sich frisch verliebte Meerschweinchen mit erhöhtem Oxytocin-Spiegel die Lage eines Futterplatzes nicht mehr merken können, bei Rhesusaffen  die Wachsamkeit schwindet und bei Menschen negative Gefühle wie Schadenfreude und Neid verstärken kann. Dazu passt ein weiteres kurioses Forschungsergebnis zum Hormon Oxytocin, in dem Cardenas et al. (2021) die These überprüften, ob durch dieses Hormon der Erziehungsstil eines Mannes vorhergesagt werden kann, noch bevor das Baby überhaupt geboren ist. Man untersuchte dabei Männer, die ihre jeweiligen Partnerinnen während der Schwangerschaft begleiteten, und zwar regelmäßig bis drei Monate nach der Geburt ihres Kindes. Für die Studie wurden die Teilnehmer befragt, wie oder warum sie bestimmte Aufgaben in der Kindererziehung erledigten, wobei während der Befragung im MRT die Aktivitäten in den Hirnregionen aufgezeichnet wurden. Daneben wurde über Blutproben der Oxytocin-Spiegel erhoben. Bei der Bewertung des „Warum“ einer Handlung gegenüber dem „Wie“ der Handlung (Warum > Wie-Kontrast) zeigten die Probanden eine Aktivierung in jenen Regionen, von denen angenommen wird, dass sie die Theory of Mind unterstützen, einschließlich des dorsomedialen präfrontalen Cortex und des superioren temporalen Sulcus. Der pränatale Oxytocinspiegel der Väter sagte eine größere Signaländerung während des Warum > Wie-Kontrasts im inferioren parietalen Lobulus voraus. Sowohl pränatales Oxytocin als auch einfühlsame elterliche Überzeugungen waren mit der Warum > Wie-Aktivierung im dorsolateralen präfrontalen Cortex assoziiert, einer Theory of Mind-Region, die bei der Emotionsregulation eine Rolle spielt. Die Aktivierung des posterioren parahippocampalen Gyrus und des dorsolateralen präfrontalen Cortex während des Warum > Wie-Kontrasts sagte die Einstimmung der Väter auf die elterlichen Überzeugungen voraus. Wenn also das Gehirn eines Mannes vor der Geburt auf diese Weise im MRT analysiert wird, kann unter Umständen vorhergesagt werden, wie sein Erziehungsstil sein wird, wobei die pränatale neuronale Aktivierung in den Regionen der ,Theory of Mind‘ mit einem intuitiven Erziehungsstil des Vaters nach der Geburt zusammenhängt. Offenbar können nicht nur Mütter mit ihren Neugeborenen auf eine empathische Art und Weise in Verbindung treten.


    Übrigens hat einer Pressemeldung zufolge ein Team des Universitätsspitals Lausanne jüngst einen fluoreszierenden Sensor für Oxytocin entwickelt, denn eine Veränderung des Oxytocin-Spiegels im Gehirn kann die Ursache für verschiedene kognitive und emotionale Funktionsstörungen sein, wie etwa für Autismus oder Störungen im Sozialverhalten. Mit der entwickelten Technik, die man bisher bei Ratten und Mäusen angewendet hat, will man Oxytocin im Gehirn in Echtzeit erfassen, denn bisher waren solche Messungen nur mit zeitlicher Verzögerung möglich. Der Sensor besteht aus einem Rezeptor, der an ein fluoreszierendes Protein gekoppelt wird, denn sobald Oxytocin an einen Sensor andockt, wird er heller, wobei die Leuchtkraft des Sensors in Echtzeit einen direkten Hinweis auf die Aktivität von Oxytocin gibt. In Versuchen wurde den Tieren künstlich Oxytocin verabreicht und dabei die Oxytocin-Dynamik während der Paarung zweier Tiere gemessen.


    Siehe auch
    https://www.stangl-taller.at/paedpsych/INTERNET/ARBEITSBLAETTERORD/HORMONORD/Hypophyse.html
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/JUGENDALTER/Koerper-Sexualitaet-Entwicklung.shtml
    https://www.stangl-taller.at/paedpsych/4711/LEHRTEXTE/WarmingMobbing.pdf
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/PSYCHOLOGIEENTWICKLUNG/Geschlechtsunterschiede.shtml
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEHIRN/GehirnForschung.shtml


    Literatur

    Brandtzaeg, Ole Kristian, Johnsen, Elin, Roberg-Larsen, Hanne, Seip, Knut Fredrik, MacLean, Evan L., Gesquiere, Laurence R., Leknes, Siri, Lundanes, Elsa & Wilson, Steven Ray (2016). Proteomics tools reveal startlingly high amounts of oxytocin in plasma and serum. Scientific Reports, doi.org/10.1038/srep31693.
    Cardenas, Sofia, Stoycos, Sarah, Sellery, Pia, Marshall, Narcis, Khoddam, Hannah, Kaplan, Jonas, Goldenberg, Diane & Saxbe, Darby (2021). Theory of mind processing in expectant fathers: Associations with prenatal oxytocin and parental attunement. Developmental Psychobiology, doi:10.1002/dev.22115.
    Eckstein, M., Becker, B., Scheele, D., Scholz, C., Preckel, K., Schlaepfer, T.. E., Grinevich, V., Kendrick, K. M., Maier, W. & Hurlemann, R. (2014). Oxytocin Facilitates the Extinction of Conditioned Fear in Humans. Biological Psychiatry. Doi: 10.1016/j.biopsych.2014.10.015.
    Markova, G. (2018). The games infants play: Social games during early mother-infant interactions and their relationship with oxytocin. Frontiers in Psychology, doi:10.3389/fpsyg.2018.01041.
    Mitchell, I. J., Gillespie, S. M. & Abu-Akel, A. (2015). Similar effects of intranasal oxytocin administration and acute alcohol consumption on socio-cognitions, emotions and behaviour: Implications for the mechanisms of action. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 55, 98–106.
    Muttenthaler, Markus, Andersson, Åsa, Vetter, Irina, Menon, Rohit, Busnelli, Marta, Ragnarsson, Lotten, Bergmayr, Christian, Arrowsmith, Sarah, Deuis, Jennifer R., Chiu, Han Sheng, Palpant, Nathan J., O’Brien, Margaret, Smith, Terry J., Wray, Susan, Neumann, Inga D., Gruber, Christian W., Lewis, Richard J. & Alewood, Paul F. (2017). Subtle modifications to oxytocin produce ligands that retain potency and improved selectivity across species. Science Signaling, 10, doi: 10.1126/scisignal.aan3398.
    Pfeifer, A.-C. Ditzen, B., Neubauer, E. & Schiltenwolf, M. (2016). Wirkung von Oxytocin auf das menschliche Schmerzerleben. Der Schmerz, 30, 457–469.
    Scheele, D., Wille, A., Kendrickc, K. M., Stoffel-Wagner, B., Becker, B., Güntürkün, O., Maier, W. & Hurlemann, R. (2013). Oxytocin enhances brain reward system responses in men viewing the face of their female partner. PNAS, DOI: 10.1073/pnas.1314190110.
    Sharma, K., LeBlanc, R., Haque, M., Nishimori, K., Reid, M. M. & Teruyama, R. (2019). Sexually dimorphic oxytocin receptor-expressing neurons in the preoptic area of the mouse brain. PLoS ONE, doi:10.1371/journal.pone.0219784.
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/STRESS/Stresstheorien.shtml (10-05-01)
    http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-20812-2016-11-08.html (16-11-09)
    https://idw-online.de/de/news691647 (18.03-27)
    http://diepresse.com/home/Wissenschaft/5740188/ (19-12-19)
    https://www.cavallo.de/pferdeverhalten/so-gut-tut-routinemaessiges-kraulen-mensch-und-pferd/ (21-09-02)
    https://science.apa.at/power-search/1299792741372177460 (23-01-04)
    https://science.orf.at/stories/3217422/ (23-01-31)


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    Ein Gedanke zu „Oxytocin“

    1. Ein Älterer

      Oxytocin soll nach einer neuen Studie Menschen im Alter zufriedener, freundlicher und sozialer machen. Ältere Menschen mit einem höheren Oxytocin-Spiegel sind im Mittel hilfsbereiter und zufriedener als jüngere Menschen, auch wenn man keine ursächliche Beziehung zwischen Oxytocin, prosozialem Verhalten und subjektiven Einstellungen herstellen kann. Wahrscheinlich gibt es neben der Freisetzung von Oxytocin noch weitere Faktoren, die Menschen dazu veranlassen, Geld zu teilen, für wohltätige Zwecke zu spenden, an religiösen Aktivitäten teilzunehmen und eine hohe Lebenszufriedenheit zu haben. Die genaue Wirkungsweise von Oxytocin ist nach wie vor wissenschaftlich umstritten, belegt ist nur, dass das Hormon eine wichtige Rolle in der Beziehung zwischen Mutter und Kind spielt, denn Oxytocin leitet die Wehen ein, stimuliert die Milchproduktion und stärkt die Beziehung zum Nachwuchs. Daneben kann es Stress und Ängste reduzieren, einfühlsamer machen, ist für die sexuelle Erregung wichtig und kann Paarbindungen sowie das Vertrauen zwischen Menschen fördern. Allerdings ist die Wirkung dieses Neuropeptids differenzierter als früher angenommen, denn unter bestimmten Umständen und in bestimmten Situationen kann es Menschen auch misstrauischer und schadenfreudiger machen. Es konnte gezeigt werden, dass das Hormon zwar die Bereitschaft zu Vertrauen und Kooperation erhöht, allerdings nur innerhalb der Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, während andere Gruppen abgewertet werden können.

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