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perineuronale Netze

    Perineuronale Netze – Perineuronal nets (PNNs) – sind spezialisierte extrazelluläre Strukturen im zentralen Nervensystem, die für die synaptische Stabilisierung im erwachsenen Gehirn verantwortlich sind, und sich um bestimmte Zellkörper, Dendriten und Synapsen im zentralen Nervensystem anordnen. Perineuronale Netze sind dabei Zucker-Protein-Komplexe und sind an der Entwicklung neuronaler Aktivität, der Signalübertragung und vermutlich auch der Regeneration von Nervenzellen beteiligt.

    In der frühen Kindheit bilden sich im Gehirn sehr leicht neue Verknüpfungen, doch mit zunehmendem Alter verschwindet diese hohe neuronale Plastizität zugunsten langfristiger Erinnerungen, die durch perineuronale Netze stabilisiert werden. Sie spielen daher auch als Bremse der Plastizität eine entscheidende Rolle im sich entwickelnden und auch im erwachsenen Gehirn, und ermöglichen vermutlich durch diese Funktion erst die Stabilität von Gelerntem. Perineuronale Netze halten nämlich bestehende Verbindungen zwischen Nervenzellen aufrecht und ermöglichen so erst, dass das Gehirn Erinnerungen anhaltend speichert.

    In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass durch Zerstörung oder Ausschaltung dieser Netze erneut eine hohe Plastizität der Neuronen hergestellt werden kann, wobei es sogar zu einer Revision von tief gespeicherten Verhaltensweisen kommen kann. An Mäusen haben Venturino et al. (2021) nun einen Weg gefunden, die neuronale Plastizität wiederherzustellen, indem sie die Tiere entweder wiederholt mit dem Anästhetikum Ketamin oder mit Lichtflimmern in einer Frequenz von 60 Hertz behandelten, um die Hirnwellen dadurch zu beeinflussen. Dass Ketamin dazu geeignet sein könnte, perineuronale Netze zu entfernen, hatten bereits frühere Versuche an Ratten gezeigt, als diese über einen längeren Zeitraum niedrige Dosen verabreicht bekamen und als Nebenwirkung oft Symptome von Schizophrenie entwickelten. In dieser Untersuchung verwendete man dagegen eine so hohe Dosis Ketamin, dass sie ihre Versuchsmäuse damit in Narkose versetzten, und schon nach nur drei Behandlungen konnten man einen erheblichen Verlust des perineuronalen Netzes feststellen, der sieben Tage lang anhielt, bevor es wieder aufgebaut wurde. Diese starke Reaktion der Mikroglia auf die Ketamin-Narkose hat offenbar bewirkt, dass die Mikroglia das perineuronale Netz fressen und zwar offenbar ohne die in früheren Versuchen beobachteten massiven Nebenwirkungen.


    Übrigens: In einigen Medien findet man dann diese Untersuchung unter dem Titel

    „Wie man ein Gehirn verjüngt“


    Tewari et al. (2018) zeigten nun bei Menschen, die an epileptischen Anfällen leiden, dass die perineuronalen Netze erst den Datenaustausch ermöglichen und es den Neuronen erlauben, ihre Impulse schneller abzufeuern.

    Das Gehirn ist extrem schwierig zu untersuchen, denn eine Gewebeprobe sieht unter dem Mikroskop erst einmal so aus wie ein verworrenes Netz aus Zellen. Als der italienische Neurobiologe Camillo Golgi 1893 als erster das perineuronale Netz identifizierte, hielt er diese Struktur für ein Korsett, das den Datenaustausch zwischen den Neuronen verhindert. Im Jahr 1873 entwickelte Golgi eine Methode, um Hirnschnitte anzufärben, sodass das Bild unter dem Mikroskop so viel mehr Details enthielt. Santiago Ramón y Cajal fand mit Golgis Methoden heraus, dass das Hirngewebe aus einzelnen verbundenen Zellen besteht, den Neuronen, wobei Cajals Entdeckungen die Grundlage für die Neurowissenschaften des folgenden Jahrhunderts bildeten. Cajal und Golgi erhielten im Jahr 1906 den Nobelpreis für Medizin.

    Übrigens wurden nach Camillo Golgi die Golgi-Organe bzw. Golgi-Sehnenrezeptoren benannt, wobei diese Sehnenspindeln die Spannungssensoren des propriozeptiven Systems darstellen, die in den Sehnen im Übergangsbereich zwischen Muskel- und Sehnenfasern liegen und der Wahrnehmung der Tiefensensibilität dienen. Auch die Golgi-Mazzoni-Körperchen, schnell adaptierende Mechanorezeptoren, die vor allem Vibrationsempfindungen vermitteln, wurden nach Golgi benannt.

    Literatur

    Tewari, Bhanu P., Chaunsali, Lata, Campbell, Susan L., Patel, Dipan C., Goode, Adam E. & Sontheimer, Harald (2018). Perineuronal nets decrease membrane capacitance of peritumoral fast spiking interneurons in a model of epilepsy. Nature Communications, 9, doi:10.1038/s41467-018-07113-0.
    Stangl, W. (2014). Ergebnisse neuerer Gehirnforschung. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEHIRN/GehirnForschung.shtml (14-11-14).
    Venturino, Alessandro, Schulz, Rouven, De Jesús-Cortés, Héctor, Maes, Margaret E., Nagy, Bálint, Reilly-Andújar, Francis, Colombo, Gloria, Cubero, Ryan John A., Schoot Uiterkamp, Florianne E., Bear, Mark F. & Siegert, Sandra (2021). Microglia enable mature perineuronal nets disassembly upon anesthetic ketamine exposure or 60-Hz light entrainment in the healthy brain. Cell Reports, 36, doi:10.1016/j.celrep.2021.109313.
    https://en.wikipedia.org/wiki/Perineuronal_net (2014-11-14))


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