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Fluchen

    Derjenige, der zum ersten Mal anstelle eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation.
    Sigmund Freud

    Als Fluchen bezeichnet man in der Umgangssprache ein häufiges Sozialverhalten bei Menschen, das auf Ärger zurückgeht oder einen solchen vorgibt. Fluchen bedient sich in der Regel einer obszönen Sprache, die in den meisten sozialen Kontexten als unpassend und unannehmbar betrachtet wird. Die Sprache des Fluchens enthält unter anderem sexuelle, blasphemische oder vulgäre Begriffe. Fluchen ist normalerweise mit dem Ausdruck von Emotionen wie Wut, Frustration oder Überraschung verbunden, wird aber auch manchmal bewusst eingesetzt, etwa um andere Menschen oder ein Publikum zu unterhalten.

    Fluchen deckt sich nur in manchen Fällen mit dem ähnlichen Schimpfen, das aber stärker personenbezogen ist, was bei Flüchen nicht unbedingt der Fall ist, da diese meist allgemeiner sind bzw. auf abstraktere Gegebenheiten abzielen. Anders als bei Tieren ist das Schimpfen von Menschen nicht immer drohend, denn es kann sich auch auf unbelebte Vorgänge, Ideen oder Gedanken richten und ist nicht auf die Anwesenheit von anderen Personen angewiesen. Es kann sich beim Schimpfen über eine konkrete Person auch um Beleidigungen handeln, die mit der Absicht der Verletzung der psychischen Integrität des anderen geäußert werden.

    Aus Sicht der Psychologie handelt es sich dabei um eine Form des verbalen Drohverhaltens, das auf aktionale Komponenten verzichtet oder diese begleitet. Da beim Fluchen gebrauchte Schimpfwörter eigentlich tabuisiert und mit Strafe bedroht sind, wirken sie bei Menschen besonders extrem, was sich auch an neuen Formen wie Shitstorms im Internet zeigen lässt.

    Wikipedia definiert über die Google-Suche: „Ein Fluch ist ein Spruch, der ursprünglich auf ritualisierte Weise einer Person oder einem Ort Unheil bringen oder zur Sühne bewegen bzw. zwingen soll. Zorn oder der Wunsch zu strafen oder sich zu rächen können ihn begründen. Wer wirksam verflucht wird, muss dabei weder anwesend sein, noch von dem Fluch wissen.“

    Früher betrachtete man Fluchen als kathartische Funktion mit emotionaler Reinigung durch Abbau von inneren Spannungen und aggressiven Impulsen, allerdings ist dieser katharsische Effekt in der Psychologie umstritten bzw. widerlegt, da sich zeigte, dass Wut und Aggressivität viel eher verschwinden, wenn man versucht, sich zu beruhigen und den Ärger verrauchen zu lassen, anstatt diesen laut zum Ausdruck zu bringen. Dass sich manche Menschen beim und nach dem Fluchen dennoch besser fühlen, geht nicht auf den Abbau von Stress zurück, sondern auf das Gegenteil, denn Fluchen verstärkt die Stressreaktion und führt somit zur Ausschüttung von Adrenalin und Endorphinen, die das psychische aber auch physische Schmerzempfinden reduzieren. Menschen beginnen bei heftigem Fluchen zu schwitzen und ihr Herz klopft schneller, als bereite sich der Körper gleichsam auf einen Kampf oder eine Flucht vor. Hinzu kommt, dass ein fluchender Mensch sich meist stärker fühlt und mit Fluchen seine physischen Kräfte beflügelt.

    Eine mögliche kathartische Funktion kann man allerdings beim fluchenden Autofahrer vermuten, denn ein solcher Tabubruch verstößt zwar gegen die soziale Etikette, was in den meisten gesellschaftlichen Kreisen und Situationen dem eigenen Ansehen schadet, findet hier aber im geschlossenen Raum statt. Befindet man sich in der Öffentlichkeit, richtet man sich in der Regel danach, was als regelkonform gilt und was gesellschaftlich anerkannt und erwünscht ist, um ein friedliches und soziales Miteinander zu ermöglichen. Im Auto hingegen befindet man sich zwar einerseits in der Öffentlichkeit, gleichzeitig jedoch auch in einem privaten Raum, der von Außenstehenden abgeschlossen ist und dem Autofahrer die Möglichkeit eröffnet, seinen Ärger ungefiltert und unmittelbar herauszubrüllen, ohne negative gesellschaftliche Konsequenzen erwarten zu müssen. Besonders Vielfahrer nehmen die vielen Störungen und Konflikte im Straßenverkehr zum Anlass, hemmungslos zu fluchen, anstatt sich ruhig und stressfrei durch die Straßen zu bewegen und den Verkehr so hinzunehmen, wie er ist.

    Untersuchungen zeigen übrigens, dass heftige emotionale Reaktionen wie Fluchen Schmerzen etwas lindern kann. Probanden und Probandinnen konnten in einem Experiment ihre Hand im Durchschnitt wesentlich länger in eiskaltes Wasser halten, wenn sie dabei ein Schimpfwort an Stelle eines anderes Wortes sagen durften. Fluchen erhöhte dabei dabei den Herzschlag und machte die Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer angriffslustiger, d.h., dass Fluchen also nicht nur eine seelische, sondern auch eine körperliche Reaktion hervorruft (Stangl, 2012). Übrigens bestätigen Hebammen, dass Fluchen ein essentieller Bestandteil des Geburtsvorgangs ist und praktisch bei jeder werdenden Mutter beobachtet werden kann.

    Stephens et al. (2022) haben zwei Experimente durchgeführt, in denen der psychologischerMechanismus einer erhöhte Enthemmung für die Wirkung des Fluchens auf die körperliche Leistungsfähigkeit untersucht wurde. Beide Studien umfassten die Messung der körperlichen Leistungsfähigkeit, und zwar der Greif- und Armkraft,und die Ballonanalog-Risiko-Aufgabe (BART) zur Messung des Risikoverhaltens. Im zweiten Experiment wurden zusätzlich Flow, Emotionen einschließlich Humor, Ablenkung einschließlich Neuartigkeit, Selbstvertrauen und Angst bewertet. Es zeigte sich in beiden Experimenten, dass die Wiederholung eines Schimpfworts die körperliche Kraft fördert und das Risikoverhalten steigert, wobei das Risikoverhalten den Kraft-Effekt nicht vermittelt. Im zweiten Experiment fand man, dass die Wiederholung eines Schimpfworts den Flow, die positiven Emotionen, den Humor, die Ablenkung und das Selbstvertrauen erhöhte, wobei Humor die Wirkung des Fluchens auf die körperliche Kraft vermittelte. Konsistente Effekte des Fluchens auf die Körperkraft deuten also darauf hin, dass es sich um einen zuverlässigen Effekt handelt, wobei das Fluchen mehrere Konstrukte beeinflusste, die mit der Enthemmung zusammenhängen, einschließlich eines erhöhten Selbstvertrauens. Humor scheint die Wirkung des Fluchens auf die Körperkraft zu vermitteln, d. h., empfindet jemand das gewählte Schimpfwort als amüsant, dann sind die Chancen größer, dass er beim folgenden Krafttraining länger durchhält.

    Schimpfwörter sind eng mit denn stärksten Emotionen verknüpft und sind dadurch besonders machtvolle Wörter. Erwachsene fluchen, wenn sie wütend sind, aber für Kinder sind solche Wörter verboten, denn wer flucht, wird meist bestraft. Solche frühen Erfahrungen wirken wie eine emotionale Konditionierung, denn Menschen, die als Kinder häufig fürs Fluchen bestraft wurden, reagieren später besonders heftig auf Schimpfwörter.

    In einer Studie untersuchten Lev-Ari & McKay (2022) statistische Regelmäßigkeiten in den Lauten von Schimpfwörtern in einer Reihe von typologisch weit voneinander entfernten Sprachen. Der beste Kandidat für ein sprachübergreifendes phonemisches Muster im Schimpfwort war das Fehlen von Approximanten – also sonore Laute wie l, r, w und y. In der ersten Studie beurteilten Muttersprachler verschiedener Sprachen wie Arabisch, Chinesisch, Finnisch, Französisch, Deutsch und Spanisch Fremdwörter als weniger wahrscheinlich als Schimpfwörter, wenn sie einen Approximanten enthielten. In einer zweiten Studie fand man heraus, dass entschärfte Versionen von englischen Schimpfwörtern – wie z. B. „darn“ statt „damn“ – deutlich mehr Approximanten enthalten als die ursprünglichen Schimpfwörter. Diese Ergebnisse zeigen, dass nicht alle Laute gleichermaßen für Schimpfwörter geeignet sind, und sie belegen, dass die Lautsymbolik – bei der bestimmte Laute mit bestimmten Bedeutungen assoziiert werden – weiter verbreitet ist als bisher angenommen und über die Bezeichnung einzelner Begriffe hinausgeht und pragmatische Funktionen erfüllt. Schimpfwörter klingen demnach daher international ähnlicher als bislang angenommen.

    Beim Tourette-Syndrom, einer psychische Störung, ist das Auftreten von unwillkürlichen, nicht beherrschbaren Lautäußerungen charakteristisch, wozu neben dem plötzlichen Nachahmen von Tiergeräuschen auch das zwanghafte Fluchen bzw. Nachahmen oder Beleidigen von Menschen (Koprolalie) gehört. Nicht krankheitswertig ist hingegen das vor sich hin Schimpfen von manchen Menschen, wenn niemand da ist, auf den sich das Schimpfen richten könnte (Schimpftiraden).

    Menschen, die häufiger fluchen, sollen nach einigen Untersuchungen übrigens auch ehrlicher sein, was vermutlich daran liegt, dass Fluchen einen Ausdruck von Spontaneität darstellt. Da Menschen beim Fluchen ihre Sprache nicht filtern, um angenehm oder attraktiv zu wirken, d. h., nicht versuchen, sozial erwünscht zu erscheinen, filtern sie auch ihre Meinungen nicht.

    Ein Kuriosum des Fluchens: Die Tabuisierung der Sexualität in der katholischen Kirche führt in überwiegend katholischen Ländern bei den Gläubigen zu einer auch sprachlichen Verdrängung des Sexuellen im Alltag, die so weit geht, dass sogar das Fluchen Sexualität ausspart und sich auf die Funktion der Ausscheidung konzentriert, also Analität statt Sexualität benutzt. Der erste und älteste Flucher ist dabei bekanntlich Gott, denn in der Bibel verflucht er die Schlange und Kain, wobei die Bibel eine wahre Fundgrube von Schimpfwörtern darstellt, die von „Giftschlangenbrut“ bis „Otterngezücht“ reicht. Übrigens hat wohl auch deshalb die jüdische Tradition die fantasievollsten und unterhaltsamsten Flüche. Die meisten Flüche der Juden handeln dabei von den Themen Gesundheit, Geld und eben Religion. Osteuropäischen Juden wurden jahrtausendelang verfolgt und hatten dabei keine Waffen, um sich zu verteidigen, sodass sie Wörter als Waffe benutzten. Dabei kann Jiddisch seine verbale Munition aus drei Sprachgruppen schöpfen, und zwar aus dem Deutschen, den slawischen Sprachen und dem Hebräisch-Aramäischen. Beispiele: „Mögen deine Knochen so oft gebrochen werden wie die 10 Gebote“. „Möge Gott all deine Gebete beantworten, und dann möge Er dich mit deinem ärgsten Feind verwechseln.“ Zu den jiddischen Schimpfwörtern, die Frauen gegenüber verwendet werden, zählt etwa der Ausdruck „Schickse“, der wörtlich so viel wie „Christenmädchen“ bedeutet, aber im Sinne von „Flittchen“ gebraucht wird.

    Zur Herkunft des Wortes: mittelhochdeutsch „vluochen“, althochdeutsch „fluohhōn“, „fluohhan“, germanisch *flōk-a-, nach Kluge belegt seit dem 9. Jahrhundert. Da es im Sprachgebrauch sinngemäß im Gegensatz zum Wort „segnen“ steht, dürfte ihm immer schon eine spirituelle bzw. religiöse Bedeutung zugemessen worden sein, was auch durch das oft als Synonym gebrauchte „verfluchen“ bzw. „verwünschen“ bestätigt wird.


    Sucht man übrigens über die eigene Suchmaschine nach Fluch, erhält man 😉


    Literatur

    Stangl, W. (2012). Emotion Psychophysiologische Merkmale. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/EMOTION/EmotionPsychophysik.shtml (2012-03-18)
    Stangl, W. (2014). Stichwort: ‚Tourette-Syndrom‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
    WWW: https://lexikon.stangl.eu/1190/tourette-syndrom/ (2014-10-18)
    Stangl, W. (2022, 28. April). Kann Fluchen bei bestimmten Aufgaben helfen? was stangl bemerkt ….
    https:// bemerkt.stangl-taller.at/kann-fluchen-bei-bestimmten-aufgaben-helfen.
    Stangl, W. (2023, 24. Februar). Was macht Wörter zu Schimpfwörtern? arbeitsblätter news.
    https://arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/was-macht-woerter-zu-schimpfwoertern/.
    Stephens, Richard, Dowber, Harry, Barrie, Amber, Almeida, Sannida & Atkins, Katie (2022). Effect of swearing on strength: Disinhibition as a potential mediator. Quarterly Journal of Experimental Psychology, doi:10.1177/17470218221082657.
    https://www.shz.de/21347887 (18-10-18)
    https://de.wikipedia.org/wiki/Schimpfen (2014-10-18)
    https://de.wiktionary.org/wiki/fluchen (2014-10-18)
    https://sz-magazin.sueddeutsche.de/sprache/kruzifix-sakrament-hallelujah-78659 (12-01-03)


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    Ein Gedanke zu „Fluchen“

    1. Fäkal vs sexuell

      Deutsche und Österreicher fluchen eher fäkal, während Amerikaner, Engländer, Russen, Franzosen, Spanier, Italiener und Holländer eher sexuell fluchen. Allerdings ist auch hier eine Veränderung zu beobachten, denn Jugendliche fluchen immer mehr sexueller, was durch Filme und Serien in Originalton verstärkt wird.

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