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Moral

    Moral ist der instinktive Widerwille einer Mehrheit.
    David Herbert Lawrence

    Jede Generation hat ihre eigenen moralischen toten Winkel. Wir sehen sie nicht, aber unsere Kinder werden sie sehen.
    Bono

    Moral bezeichnet ganz allgemein die faktischen Handlungsmuster, -konventionen, -regeln oder -prinzipien bestimmter Menschen, Gruppen oder Kulturen, wobei der Verstoß gegen Moralvorstellungen als Unmoral bezeichnet wird, während Amoral das Fehlen bzw. die bewusste Zurückweisung von Moralvorstellungen, bis hin zur Abwesenheit von moralischer Empfindung bezeichnet. Moralische Normen werden dabei mit Hilfe ethischer Reflexion untersucht.

    Moral bezeichnet in der Psychologie ein System von verbindlichen sittlichen Normen und Grundsätzen, die das zwischenmenschliche Verhalten regulieren, wobei diese Normen meist auf Tradition, Gesellschaftsformen und Religionen beruhen. Während behaviouristische Theorien das Erlernen von moralischen Einstellungen und die Angst vor Bestrafung betonen, betrachten psychoanalytische Theorien den Einfluss des Über-Ich für die Entwickung moralischer Normen verantwortlich.

    Die Moralpsychologie ist ein Zweig der Psychologie und untersucht beschreibend die tatsächlichen moralischen Wertvorstellungen von Menschen, liefert aber selbst keine ethischen Bewertungen. Sie beschäftigt sich mit der moralischen Entwicklung und Urteilsfähigkeit, der Umsetzung von moralischer Urteilsfähigkeit in moralisches Handeln, mit jenen Faktoren, die moralisches Verhalten ermöglichen und beeinflussen, sowie den Möglichkeiten der Moralerziehung. Weitere Themen der Moralpsychologie sind moralische Überzeugungen und die Emotionalität moralischer Wertungen.

    Themen der Moralpsychologie sind etwa die Annahme eines universalen Stufenmodells moralischer Entwicklung oder ob moralische Werte kulturell bedingt sind, ob es geschlechtspezifische Unterschiede gibt. Innerhalb der Moralpsychologie dominieren vorwiegend entwicklungspsychologische Ansätze, die Theorien zur Erklärung der Genese moralischer Vorstellungen bei Menschen entwickeln – siehe dazu etwa Kohlbergs Stufen der moralischen Entwicklung.

    Siehe dazu die Stichwörter


    Kein Kind beginnt seine moralische Entwicklung bei Null, denn jedes hat eine Reihe von angeborenen Reaktionen als Voraussetzung für ethisches Verhalten. Dazu gehört etwa Empathie, also die Fähigkeit, sich in die Freude oder den Schmerz eines anderen Menschen einzufühlen. Neugeborene weinen daher auch, wenn sie jemanden weinen hören, und sie freuen sich sichtlich, wenn sie fröhliche Laute und Lachen hören. Bereits im zweiten Lebensjahr trösten Kinder spontan traurige Spielkameraden oder die eigenen Eltern. Die emotionale Bereitschaft zum Trösten ist also offenbar angeboren, aber jedes Kind muss erst durch soziale Erfahrungen lernen, wie ein angemessener Trost aussieht. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Menschen moralische Entscheidungen treffen können, ohne sich dessen bewusst zu sein, was dafür spricht, dass die Moral tief im Gehirn verwurzelt ist. Dieser Sinn für das Richtige oder Falsche wächst jedoch nicht von selbst, sondern muss jedoch gefördert und durch Erziehung in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Übrigens besitzen sogar Primaten, die dem Menschen sehr ähnlich sind, einen Sinn für Gerchtigkeit und Empathie, die zentrale Aspekte der menschlichen Moral drstellen. Der Unterschied ist aber, dass ein Affe nicht in Kategorien von Gut und Böse denkt. Auch unterscheiden den Menschen von Tieren die Entscheidungsfreiheit, denn man kann einen Menschen töten, aber man entscheidet sich aus vielen Gründen dagegen. Nur sehr wenige Menschens entscheiden sich bewusst dafür, einen Menschen zu verletzen. Wichtig ist daher, dass das, was Menschen als richtig oder falsch empfinden, nicht allein von den Genen bestimmt wird, sondern maßgeblich von den Regeln der Gesellschaft.

    Der Schlüssel zu moralischem Verhalten liegt im Gehirn im präfrontalen Cortex, der offenbar für das Gewissen zuständig ist und die menschliche moralische Instanz darstellt. Der präfrontale Cortex ist somit eine Art Gegenstück zum limbischen System, das Gefühle wie Wut, Angst, Verlangen, Flucht oder Verteidigung verwaltet, wobei diese Empfindungen zu aggressivem Verhalten führen können, d. h., dieses Areal kontrolliert, bewertet und zügelt diese Gefühle. Gelingt dies nicht, neigt ein Mensch dazu, sich ungehemmt und aggressiv zu verhalten. Untersuchungen haben gezeigt, dass Gewalttäter ihre präfrontalen Hemmungsmechanismen bei Bedarf einfach abschalten können, wobei die Neigung zur Aggression durch Erziehung, kulturelle und soziale Bedingungen verringert werde kannn.


    Moral und Recht

    Es ist wissenschaftlich schon seit langem widerlegt, das juristisches Recht aus den jeweiligen Religionen abzuleiten ist, denn archaische Gesellschaften kennen auch zahlreiche nichtreligiöse Verbote und unterscheiden auch zwischen starren religiösen und anpassungsfähigen rechtlichen Normen. Man ging bisher auch eher davon aus, dass Gesetze in einer Art kultureller Evolution aus einem konkreten sozialen Umfeld ausgehen. Sznycer & Patrick (2020) sind aber nun der Ansicht, dass die Ursprünge des Strafrechts zu einem wesentlichen Teil in der universellen menschlichen Natur begründet sein könnten. Viele juristisch formulierte Gesetze könnten demnach auf neurokognitive Mechanismen und den Selektionsdruck der menschlichen Vorfahren zurückgeführt werden, denn dadurch hätten sich beim Homo sapiens bestimmte Gehirnstrukturen entwickelt, die die Intuitionen über Recht und Unrecht festlegen. Die beiden Autoren zeigten in einer Studie in den USA und in Indien, dass die rechtlichen und moralischen Intuitionen von heutigen Menschen im Wesentlichen mit den ältesten Gesetzen aus Mesopotamien und China übereinstimmen. Wenn in Babylon ein Mann einem anderen ein Auge ausbiss, wurde diese Missetat geahndet, wie aus dem Codex Ešnunna, einem der ältesten Gesetzestexte, vor dreitausend Jahren hervorgeht. Darin wird etwa auch der Fall behandelt und bestraft, wenn jemand eine Sklavin aus fremdem Besitz vergewaltigt hat. Im China sieht der Tang-Kodex (653 v. Chr.) Strafen dafür vor, wenn jemand seinen älteren Bruder schlägt, die nächtliche Ausgangssperre missachtet oder seine Sklaven tötet, obwohl diese nichts verbrochen haben. Sznycer & Patrick (2020) ließen dazu Laien aus den USA und Indien Straftatbestände aus diesen uralten Gesetzen danach einschätzen, wie hoch Haft- oder Geldstrafen sein sollten bzw. wie moralisch falsch eine Handlung jeweils ist. Dabei waren die Probanden und Probandinnen sich in ihren juristischen und moralischen Bewertungen ziemlich einig, wobei die Reihung der Schwere der im Versuch vorgelegten Vergehen durchgängig positiv mit den tatsächlichen Strafausmaßen in den alten Gesetzbüchern korrelierte. Es zeigte sich auch, dass in den Urteilen die Absicht schwerer wog als die Fahrlässigkeit, oder dass ein geplanter Mord schwerer als Totschlag im Affekt geahndet wurde.


    Yam & Barnes (2019) haben übrigens herausgefunden, dass besonders moralische Menschen weitaus weniger Sinn für Humor haben als weniger moralische. Dazu verglich man das moralische Selbstbild von Probanden in einigen Ländern und deren Bewertung von Witzen bzw. ihre Reaktion darauf. Offenbar zweifeln besonders moralische Menschen an ihrer eigenen ethischen Korrektheit, wenn sie über Witze lachen, die moralisch verwerflich sind und über die man ihrer Meinung nach doch keine Witze machen sollte. Darüber hinaus zeigte sich, dass aber auch ethisch korrekte Witze, über die weniger ethisch orientierte Menschen besonders viel lachen, moralische Menschen wenig berühren. Zwar können Menschen, die ein hohes ethisches Selbstbild haben, einerseits besser mit anderen Menschen kooperieren und zeigen sich sozialer und hilfsbereiter als andere, jedoch wirken solche Menschen anderen gegenüber oft unsympathisch, denn wer besonders moralisch handelt, gibt weniger moralischen Menschen instinktiv das Gefühl, ihnen würden Vorwürfe gemacht. So kommt es, dass Menschen mit einem hohen selbst auferlegten ethischen Standard als impliziter moralische Vorwurf durch das Leben gehen, was notwendigerweise bei anderen Aversion auslöst. Aus anderen Untersuchungen ist bekannt, dass manche Menschen schon Gedanken allein an ethisch Fragwürdiges dazu verleiten, sich selbst eine Art Strafe aufzuerlegen zu müssen, sodass man lieber auf die Sünde des Gelächters verzichtet, um dann keine Sühne dafür leisten zu müssen.


    Sind kreative Menschen unmoralischer?

    Laut einer Meta-Analyse (Storme, Celik & Myszkowski, 2021) stehen Kreativität und Unethik in einem positiven Zusammenhang. In zahlreichen Studien wurde ein positiver Zusammenhang zwischen Kreativität und Unethik festgestellt, in anderen wiederum nicht, was Zweifel aufkommen lässt, ob es überhaupt einen Zusammenhang gibt. Ein möglicher Grund für diese widersprüchlichen Ergebnisse könnte in den Methoden liegen, die zur Messung der Konstrukte verwendet werden (d. h. Selbsteinschätzung oder objektivere Messungen). Es gibt mehrere theoretische Erklärungen für den positiven Zusammenhang zwischen Kreativität und unethischem Verhalten. Die erste ist, dass kreative Menschen dazu neigen, ein starkes Anspruchsdenken zu haben, wenn sie den hohen Wert ihrer zukünftigen Verwirklichung antizipieren, was sie eher bereit macht, Grenzen zu überschreiten, um ihr Ziel zu erreichen. Wenn sie sich mit einer kreativen Aufgabe befassen, sehen sie den Nutzen ihres Produkts voraus, was sie dazu veranlasst, unethische Verhaltensweisen zu legitimieren, die das Erreichen dieses Ziels erleichtern können. Mit anderen Worten: Kreative Menschen neigen dazu, zu glauben, dass der Zweck die Mittel heiligt. Das zweite Argument lautet, dass Kreativität dazu beiträgt, Rechtfertigungen für unethische Handlungen zu finden, was wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, sich auf solche Verhaltensweisen einzulassen. Kreative Menschen sind aufgrund ihrer größeren kognitiven Flexibilität, die es ihnen ermöglicht, Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, eher in der Lage, unethisches Verhalten zu rechtfertigen. Der dritte Grund für diese positive Korrelation ist, dass sowohl Kreativität als auch Unethik Regelverstöße und nonkonformistische Prozesse beinhalten, wobei aus dieser Perspektive diese Konstrukte positiv assoziiert sind, weil sie die gleichen kognitiven Prozesse beinhalten. Man fand bei der Analyse der Studien einen positiven – wenn auch schwachen – Zusammenhang zwischen Kreativität und unethischem Verhalten. Analysen nach Art der Messung von Unethik (d. h. objektive Messungen gegenüber Selbstberichten) ergaben, dass die beiden Konstrukte nur in Studien, die sich auf objektive Messungen von Unethik stützen, positiv assoziiert sind, nicht aber in Studien, die sich auf Selbstberichte über unethisches Verhalten stützen. Da objektive Messgrößen weniger durch soziale Erwünschtheit verzerrt sind, ist es wahrscheinlicher, dass die beobachteten Korrelationen in Studien, die sich auf solche Messgrößen stützen, eine genaue Schätzung der Korrelation zwischen Kreativität und Unethik liefern. Die Messmethode für Kreativität hatte hingegen keinen Einfluss auf die Beziehung zwischen den beiden Konstrukten. Auch die demografischen Merkmale (d. h. Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status) hatten keinen Einfluss auf den Zusammenhang zwischen Kreativität und unethischem Verhalten, was darauf hindeutet, dass dieser Zusammenhang unabhängig von demografischen Merkmalen ist.
    Literatur

    Dewerne, Y. (2022). Moralisches Verhalten hält uns alle davon ab, kriminell zu sein. Wird uns Moral angeboren oder anerzogen?
    WWW: https://www.esquire.de/news/gesellschaft/psychologie-moral-moralisches-handeln (22-01-17)
    Sznycer, Daniel & Patrick, Carlton (2020). The origins of criminal law. Nature Human Behaviour, doi:10.1038/s41562-020-0827-8.
    Stangl, W. (2022). Sind kreative Menschen tendenziell unethischer? – bemerkt. Was Stangl so bemerkt.
    WWW: https://bemerkt.stangl-taller.at/sind-kreative-menschen-tendenziell-unethischer (2022-01-12).
    Storme, M., Celik, P., & Myszkowski, N. (2021). Creativity and unethicality: A systematic review and meta-analysis. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 15, 664–672.
    Yam, K. C., Barnes, C. M., Leavitt, K., Wei, W, Lau, T. C., & Uhlmann, E. (2019). Why so serious? A laboratory and field investigation of the link between morality and humor. Journal of Personality and Social Psychology.


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