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Embodiment

    Ändert sich der Zustand der Seele, so ändert dies zugleich auch das Aussehen des Körpers und umgekehrt: Ändert sich das Aussehen des Körpers, so ändert dies zugleich auch den Zustand der Seele.
    Aristoteles

    Embodiment (Verkörperung oder Inkarnation) ist ursprünglich eine These aus der Kognitionswissenschaft, nach der menschliche Intelligenz ein Substrat benötigt, also die physikalische Interaktion mit dem Körper voraussetzt. Der zentrale Ansatz des Embodiment ist somit die Abhängigkeit allen Bewusstseins von einem Körper, dessen Beschaffenheit, Funktionen und Einbettung in eine Umwelt konstitutiv für phänomenales Erleben und bewusste Erfahrung sind. Im Mittelpunkt des gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Interesses am Körper stehen die Beziehungen zwischen soziokulturellen Strukturen, normativen Ordnungen und der in diesen Formen sich realisierenden Selbst-Bildung von Menschen als soziale Personen oder Subjekte. Das zur Analyse dieser Beziehungen verwendete theoretische Instrumentarium ist vielfältig, denn nach wie vor wird der Körper als eine Bühne für Identitatsdarstellungen, Selbstausdruck und Selbstinszenierung betrachtet, der kontextspezifische Zeichen kommuniziert. Die Neubewertung des Körpers als Agens wird insbesondere in der Diskussion über das Wissen des Körpers greifbar, denn diese richtet sich meist kritisch gegen ein Verständnis, das den Körper bloß als Erfüllungsgehilfen eines vernünftig  planenden Geistes begreift und Empfindungen und Gefühle unter den Generalverdacht stellt, das rationale Erkennen und planmäßige Handeln zu behindern.

    Embodiment zeigt sich auch sichtbar darin, dass sich schon beim menschlichen Embryo das Gehirn im Wechselspiel von Körper, Umwelt und Nervensystem formt, wobei diese dynamischen Interaktionen einen Informationsfluss zwischen Muskeln und Gehirn bewirken, bei dem das Embodiment bedeutsame Grenzen setzt, und zwar sowohl für die sensorischen Signale als auch für die motorischen Aktivitäten. Mit der Zeit wird so aus zufällig generierten Bewegungen nach und nach zielgerichtetes Verhalten. Über das Embodiment gestaltet sich auch die Entstehung von frühem sozialen Verhalten, wobei Kleinkinder über Emotionen und Bewusstsein allmählich lernen, das Verhalten von anderen nachzuvollziehen. Embodiment steht daher vom Beginn der Entwicklung an im Zentrum des menschlichen Bewusstsein, wobei mit der Zeit die Fähigkeit entscheidend wird, die nähere Zukunft vorherzusehen, woraus sich auch die Idee vom Gehirn als einer Vorhersagemaschine ableitet. Nach diesem Konzept des predictive coding strebt das Gehirn stets danach, Vorhersagefehler zu minimieren, indem es seine internen Modelle anpasst oder die Umwelt aktiv verändert.

    Der Körper des Menschen ist ein biologischer Merkmalsträger und daher auch Träger von Identitätsmerkmalen, die nur zum Teil veränderbar sind, etwa durch plastische Chirurgie, optische Modifikationen wie Haare färben, Tätowierungen oder auch Accessoires wie Kleidung oder Schmuck. Durch ein spezifisches Aussehen und auch den Lebensstil wird eine bestimmte Identität über den Körper ausgedrückt und auch in hohem Maße soziale Zugehörigkeit symbolisiert. In erster Linie aber sichert der Körper zunächst die biologische Existenz, denn er ermöglicht Sinneswahrnehmungen und Orientierung in der Welt. Der Körper bestimmt gleichzeitig die räumliche Abgrenzung zu anderen Menschen und definiert dadurch ein Individuum als unteilbare Einheit, er ist dadurch das Instrument, mit dem Menschen der sozialen Welt entgegentreten, bevor sie überhaupt noch sprechen können oder symbolvermittelte Kommunikation möglich ist. Der menschliche Körper bildet im psychologischen Sinn als relevante Ordnungsfunktion auch bei der Identitätsbildung einen Kristallisationspunkt, denn aus der Kleinkind- und Säuglingsforschung weiß man, dass der Aufbau von Körper- und Bewegungsgefühl, Körperbild und Selbstkonzept mit der konkret spürbaren, emotionalen und verbalen Ansprache des Körpers in sozialen Kontexten zusammenhängt. Der soziale Aneignungsprozess, in dem Menschen in ständigem körperlichen Austausch mit ihrer Umwelt stehen, führt zur Entwicklung eines Bewusstseins für die Objekte der Lebenswelt und vor allem für sich selbst. Dabei führt nur die mehr oder minder bewusste Reflexion in sozialen Kontexten erst zur Entwicklung eines unverwechselbaren Selbst, wobei auch das Gegenüber jeden Menschen mehr oder minder zur Wahrnehmung seines Selbst als Auslöser von Reaktionen zwingt.


    In Bezug auf den menschlichen Körper als Medium ist aus psychologischer Sicht auf jenen unaufhebbaren Doppelaspekt hinzuweisen, dass der Mensch sowohl einen Körper hat als auch ein Körper ist, und daher jede Distanzierung zu einem der beiden Aspekte eine zumindest gleich weite Distanzierung zum zweiten erfordert bzw. mit sich bringt (Stangl, 2012).


    Dass menschliches Fühlen und Wahrnehmen bzw. Urteilen massiv vom Körper beeinflusst ist, wissen Psychologen seit vielen Jahrzehnten. Ob jemand stolz ist, sich stolz fühlt, hängt auch damit zusammen, ob man  aufrecht und gerade oder gebeugt und gekrümmt sitzt, aber auch das Urteilsvermögen wird von rein körperlichen Momenten bestimmt und beeinflusst. Vereinfacht gesagt, das Prinzip des Embodiments ist die Hypothese, dass nicht nur die Psyche den Körper beeinflusst, sondern auch umgekehrt wirken sich die Selbstwahrnehmung und der Umgang mit dem Körper auf die Psyche aus. Die These des Embodiment aus der neueren Kognitionswissenschaft, nach der Bewusstsein einen Körper benötigt, also eine physikalische Interaktion voraussetzt, ist somit der klassischen Interpretation des Bewusstseins etwa im Sinne des Kognitivismus diametral entgegengesetzt und kann als Wende in der Kognitionswissenschaft betrachtet werden.

    Die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche ist aber eine beidseitige, denn psychische Zustände drücken sich nicht nur im Körper aus, also nonverbal, in der Körpersprache und Haltung, sondern auch Körperzustände beeinflussen psychische Zustände. Ein gutes und realistisches Körpergefühl ist somit essenziell für menschliches Wohlbefinden. In der Anpassung an wechselnde Lebensphasen und Lebenswirklichkeiten kann es jedoch vorübergehend oder dauerhaft verlorengehen, oft mit der Folge schmerzhafter Verdrängungen. Dass Körper und Geist zusammenhängen, wird in der Philosophie unter dem Oberbegriff „Leib-Seele-Dualismus“ seit Jahrhunderten diskutiert. Das Kognitionsverständnis des Embodiment betrachtet etwa Wahrnehmung nicht als Prozess der Abbildung sensorischer Stimuli auf ein inneres Modell der Welt, sondern als eine sensomotorische Koordination, die sich immer im Gesamtkonzept eines handelnden Lebewesens (complete agent) ereignet. Der Begriff Embodiment wird zunehmend in der Sozialpsychologie und Klinischen Psychologie verwendet, um die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche zu betonen, wobei vor allem darauf fokussiert wird, dass Körperzustände psychische Zustände beeinflussen, indem Körperhaltungen, die aus irgendeinem Grund eingenommen werden, Auswirkungen auf Kognition (z.B. Urteile, Einstellungen) und Emotionalität zeigen. Die im Körper gespeicherten Emotionen und Erinnerungen bezeichnet man auch als somatische Marker, die in ihrer negativen Ausprägung etwa einen gekrümmten Rücken oder eine zu starke Muskelspannung hervorrufen, während positive Körpererinnerungen sich in einer aufrechten Haltung oder einem Lächeln äußern können.

    Die Wahrnehmung ist also kein Prozess der Abbildung sensorischer Stimuli auf ein inneres Modell der Welt, sondern eine sensomotorische Koordination, die sich immer im Gesamtkonzept eines handelnden Wesens ereignet. Embodiment ist demnach ein universelles Phänomen, das jeden Bereich des Lebens umfasst. Allgemeiner wird der Begriff Embodiment in der Sozialpsychologie und klinischen Psychologie verwendet, um die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche zu betonen, d.h., dass sich psychische Zustände einerseits im Körper ausdrücken („nonverbal“ als Gestik, Mimik, Prosodie, Körperhaltung), andererseits sich auch Wirkungen in umgekehrter Richtung zeigen, dass Körperzustände wie Mimik oder Körperhaltungen psychische Zustände beeinflussen. Gefühle und andere mentale Vorgänge können daher durch körperliche Empfindungen beeinflusst werden, denn wenn Menschen etwa in einem Experiment einen Bleistift quer in den Mund nehmen und sich dadurch automatisch deren Mundwinkel hoben, fanden sie eine Reihe von Cartoons deutlich lustiger als ohne Stift im Mund, d.h., auch das unbewusste Lächeln versetzt in eine fröhlichere Stimmung.

    Aber nicht nur die Mimik sondern auch die Körperhaltung beeinflussen, wie man sich fühlt und wie man sich selbst sieht, was auch im psychologischen Coaching oder in der Körperpsychotherapie genutzt wird, in denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen, die eigene Körperhaltung und Mimik bewusst zu beobachten und anschließend zu verändern. Mit einer aufrechten Körperhaltung strahlt man einerseits mehr Selbstbewusstsein aus und fühlt sich tatsächlich auch deutlich selbstsicherer als jemand, der eher zusammengekauert dasitzt. Embodiment spielt vermutlich auch bei der Bewertung von menschlichen Eigenschaften oder Moralvorstellungen eine Rolle, denn in Experimenten hat sich gezeigt, dass jemand, der eine warme Tasse in der Hand hält, freundlicher zu seinen Mitmenschen ist als mit einer kalten. Kurioserweise zeigen etwa auch Menschen, die eine Rolltreppe nach oben fahren, mehr Mitgefühl beim Spenden als die, die sich auf der Rolltreppe nach unten bewegen.

    Die enge Verknüpfung von Körperlichem und Abstraktem kommt vermutlich deshalb zustande, dass Menschen für die Wahrnehmung der Welt Konzepte und Vorstellungen von konkreten Gegenständen benutzen, und um diese kognitiv erzeugen zu können, kommt es zu Rückgriffen auf körperliche Vorstellungen. Viele dieser Vorstellungen entstehen schon in früher Kindheit, denn etwa die Vorstellung, was eine Tasse ist, entsteht bei Kindern vermutlich erst dadurch, dass sie viele Tassen ansehen, anfassen und benutzen, sodass später das Denken an eine Kaffeetasse auch jene Areale im Gehirn aktiviert, die für das Greifen zuständig sind. Man denke dabei nur an die Vorstellung einer Wendeltreppe oder Spirale, die ohne körperliche Konnotationen fast nicht vorstellbar oder beschreibbar sind. Auch abstrakte Begriffe wie „Macht“ oder „Warmherzigkeit“ leiten sich offensichtlich für das Gehirn aus sensorischen Erfahrungen in der frühen Kindheit ab. Nach der Embodiment-Forschung sind auch viele abstrakte Vorstellungen auf Basis der körperlichen Erfahrung entstanden, z.B. aufgrund der Körperachse: „Oben“ wird typischerweise mit „mehr“ und „besser“ assoziiert, unten mit „weniger“ und „schlechter“. Ähnlich verhält es sich auch mit „links“ und „rechts“.

    Eine Studie amerikanischer Wissenschaftler kam übrigens zu dem Ergebnis, dass bei bei extremen Gefühlen wie Schmerz, Freude, Trauer, Ekstase nicht der Gesichtsausdruck verrät, ob die Betroffenen gerade Freude oder Leid erleben, vielmehr zeigt eher die Körperhaltung als die Mimik, was in einem Menschen vor sich geht. Man schließt daraus, dass die Gesichtsmuskulatur nicht darauf ausgelegt ist, extrem intensive Gefühle genau auszudrücken, sondern es interpretieren Beobachter die Mimik gemäß den Informationen, die die Körperhaltung ausdrückt. Dennoch unterliegen Menschen der Illusion, das Gefühl hauptsächlich aus dem Gesicht abzulesen, was vermutlich automatisch abläuft, denn die Probanden und Probandinnen waren sind sich der Zweideutigkeit der Botschaften des Gesichts und des Körpers kaum bewusst.

    Aktuelle Arbeiten im Bereich Embodied Cognition legen nahe, dass körperliche Zustände Einfluss auf das menschliche Denken und Handeln nehmen, denn so aktiviert eine aufrechte Haltung mentale Konzepte wie Moral oder Dominanz. In einem psychologischen Experiment bearbeiteten Probanden eine lexikalische Entscheidungsaufgabe, die entweder die abstrakten Konzepte Dominanz oder Moral aktivierten sollte. Anschließend wurde ein Diktatorspiel durchgeführt, in dem entschieden werden musste, wie viel von einem fiktiven Geldbetrag an einen Mitspieler abgegeben werden soll. Die entscheidende Manipulation lag in der Körperhaltung, die Probanden zur Aufgabenbearbeitung an einem Touchscreen einnehmen mussten: Während an einem auf Augenhöhe an der Wand angebrachten Display eine aufrechte und geöffnete Haltung eingenommen wurde, saßen Probanden an einem tischbasierten Display in geschlossener und gebückter Haltung. Wie vermutet, moderierte das Priming von Dominanz oder Moral den Effekt der Körperhaltung auf die Höhe der Abgaben im Diktatorspiel, wobei ein Dominanzpriming zur Folge hatte, dass Probanden in stehender Position weniger Geld an ihre Mitspieler abgaben als in sitzender Haltung. Wurde vorher Moral geprimet, zeigte sich das umgekehrte Verhalten, denn stehende Probanden gaben mehr an Mitspieler ab als in sitzender Haltung (Hurtienne et al., 2014).

    Da Körper und Psyche eng miteinander verwoben sind, ist es auch möglich, mit Psychotherapie auf diese Vorgänge einzuwirken und vom Gehirn angerichtete Teufelskreise zu unterbrechen, wie sie etwa bei Essstörungen oder Stress auftreten. Schon immer haben Menschen versucht, über die Psyche Einfluss auf Krankheiten zu nehmen, indem sie die Selbstheilungskräfte unterstützten, wobei Rituale, Hypnose und Naturheilverfahren in fast allen Kulturen praktiziert werden. Nach der im 18. Jahrhundert aufkommenden naturwissenschaftlich geprägten Medizin und auch Psychologie fehlen aber die schlüssigen Beweise und rationalen Begründungen für die Wirkung dieser Methoden.

    Der Forschungsstand zum Einfluss des Lächelns und anderer Mimik auf die eigene Stimmung: Gesichtsausdrücke haben nach zahlreichen kontroversiellen Studien offenbar tatsächlich einen Einfluss auf die Gefühle, d. h., man kann sich durch Lächeln glücklicher fühlen, durch einen mürrischen Ausdruck übellauniger oder durch ein Stirnrunzeln trauriger. Allerdings sind diese Effekte recht gering, was vermutlich auch der Grund für die teils widersprüchlichen Ergebnisse bei den einzelnen Studien sind. Menschen können sich daher nicht ins Glück lächeln, dennoch liefern die Studienergebnisse Hinweise darauf, wie Geist und Körper bei der Emotionserfahrung zusammenwirken können, doch zu den Rückkopplungseffekten und darüber, wie Emotionen funktionieren, gibt es noch immer viele Unklarheiten.

    Power Posen nur bedingt wirksam

    *** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Eine Studie von Ranehill et al., (2015) hat übrigens gezeigt, dass Posen der Macht weniger wirksam als gedacht wirken. Nach früheren Untersuchungen (etwa Cuddy et al., 2012) sollen Power-Posen wie Beine auseinander, Brust heraus, Schultern nach hinten die Hormonproduktion sowie die Risikobereitschaft beeinflussen, wobei Power-Posen das Verhalten nicht beeinflussen, sie lassen den Betreffenden sich allenfalls sicherer fühlen. Power-Posen haben danach weder Auswirkungen auf das Männlichkeitshormon Testosteron, das Stresshormon Cortisol, noch auf das tatsächliche Verhalten der Probanden. Die körperliche Machtdemonstration beeinflusst hingegen die eigene Wahrnehmung von Macht, ein Ergebnis, zu dem auch vorangehende Studien gekommen sind. Dies deutet darauf hin, dass der wesentliche Einfluss von Power-Posen darin besteht, dass die Probanden feststellen, dass sie sich selbstsicherer fühlen, jedoch ohne dass sich das auf ihr Verhalten oder ihre Physiologie auswirkt. In der Studie mussten etwa jeweils einhundert Männer und Frauen nach dem Zufallsprinzip Körperhaltungen mit viel Macht bzw. mit wenig Macht einnehmen. Die Teilnehmer führten danach eine Aufgabe zur finanziellen Risikobereitschaft durch, bei der sie, wie in einer früheren Studie zwischen fixen Geldbeträgen und risikoreichen Glücksspielen wählen konnten. Um die Auswirkung der Power-Posen auf den Hormonspiegel zu messen, wurden von jedem Teilnehmenden zwei Speichelproben – eine vor und eine nach der Studie – analysiert.

    Greifen und Begreifen

    Neue Theorien der Kognitionsforschung nehmen an, dass das menschliche Gedächtnis als Teil von Begriffen auch Körperempfindungen speichert. Es ist bekannt und offensichtlich, dass Menschen oft mit ihren Händen bzw. Gesten auf eine verbale Anfrage oder Anweisung reagieren, aber die funktionellen Zusammenhänge von Bewegungssteuerung und Sprache sind noch nicht vollständig geklärt, insbesondere deren neurophysiologische Grundlage. Ein Wort wie Schneebesen speichert das Gehirn wie in einem Lexikon und assoziiert es etwa mit Konzepten wie unbelebt und Küchengerät, zusätzlich aber verbindet es das Wort mit der individuellen Erfahrung, wie sich ein solcher Schneebesen anfühlt oder dass mit dem Küchengerät eine Schleuderbewegung damit verbunden ist. Koester & Schack (2016) haben nun untersucht, ob spezifische motorische Repräsentationen für das Begreifen von Objekten neurophysiologisch mit konzeptionellen Informationen interagieren, d.h. beim Lesen von Substantiven. Probanden saßen dabei am Bildschirm und hatten drei nebeneinander liegende Würfel vor sich: einer so groß wie ein Apfel, einer wie ein Tischtennisball und einer wie ein Spielwürfel. Auf dem Bildschirm waren ebenfalls nebeneinander drei weiße Felder zu sehen. Nun erschienen Wörter in einem der Felder, einerseits Phantasiebegriffe und andererseits echte Begriffe. Wurde etwa ein Pseudowort wie Quarl eingeblendet, mussten die Probanden nichts tun, erschien jedoch ein echtes Wort wie Orange, so sollten sie den unter dem Feld liegenden Würfel greifen. Mittels EEG zeichnete man während des Versuchs die Gehirnaktivität auf, so dass man feststellen konnte, wie das Wort im Gehirn verarbeitet worden war. Schon nach einer Zehntelsekunde reagierte das Gehirn, wenn eine Greifaktion erforderlich war. Diese Beobachtung bestätigt nicht nur, dass das Gehirn über gemeinsame Steuerprogramme für Sprache und Bewegung verfügt, sondern zeigt auch, dass sich die Verarbeitungsschritte des Gehirns sehr schnell verändern und an aktuelle Aufgaben anpassen, in diesem Fall an die Aufgabe, beim Lesen des Wortes zu greifen.


    Kurioses aus der Forschung: Um sich in der Umwelt zurechtzufinden und zu überleben, müssen Lebewesen eine Vorstellung von ihrer eigenen Körpergröße und -form entwickeln. Tanimoto (2019) hat am Modell der Fruchtfliege Drosophila melanogaster gezeigt, dass diese ein sehr stabiles Langzeitgedächtnis für die eigene Körpergröße und Reichweite der Gliedmaßen entwickelt, nachdem sie aus ihrer Verpuppung geschlüpft ist. Dieses Wissen wird durch das visuelle Feedback beim Gehen erworben, ist aber in den ersten zwei Stunden noch stressanfällig und noch nicht fest verankert, doch wenn das Gedächtnis einmal gefestigt ist, scheint es ein Leben lang erhalten zu bleiben, d. h., diese Insekten haben sich für den Rest ihres Lebens im Hinblick auf ihren Körper geeicht.


    Literatur

    Cuddy, A. J. C., Wilmuth, C. A. & Carney, D. R. (2012). The Benefit of Power Posing Before a High-Stakes Social Evaluation. Harvard Business School Working Paper, No. 13-027.
    Hurtienne, J., Löffler, D. & Schmidt, J. (2014). Zur Ergonomie prosozialen Verhaltens: Kontextabhängige Einflüsse von Körperhaltungen auf die Ergebnisse in einem Diktatorspiel. TEAP’14 Tagung experimentell arbeitender Psychologen. In A. C. Schütz, K. Drewing, K.R. Gegenfurtner (Hrsg.), Abstracts of the 56th Conference of Experimental Psychologists. Pabst.
    Koester, D. & Schack, T. (2016). Early neurophysiological interaction of conceptual and motor representations. PLOS ONE, doi.org/10.1371/journal.pone.0165882.
    Müller, B. (2011). Empirische Identitätsforschung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
    Ranehill, E., Dreber, A., Johannesson, M., Leiberg, S., Sul, S. & Weber, R. A. (2015). Assessing the Robustness of Power Posing: No Effect on Hormones and Risk Tolerance in a Large Sample of Men and Women. Psychological Science, March 25,. doi: 0.1177/0956797614553946.
    Rohr, E. (2004). Körper und Identität. Gesellschaft auf den Leib geschrieben. Königstein/Taunus: Ulrike Helmer.
    Tanimoto, Hiromu (2019). Bodily Awareness: How Flies Learn Their Own Body Size. Current Biology, 29, R572-R574.
    Stangl, W. (2012). Stichwort: ‚Körperschemastörung‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
    WWW: https://lexikon.stangl.eu/2451/koerperschemastoerung/(2012-12-22)
    Stangl, W. (2021, 26. September). Warum lernen in Bewegung besser funktioniert.
    https:// news.lerntipp.at/warum-lernen-in-bewegung-besser-funktioniert/.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Embodiment (10-02-03)
    http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article12642760/Wie-koerperliches-Empfinden-die-Gefuehle-beeinflusst.html (11-01-26)
    https://www.wissenschaft.de/gesellschaft-psychologie/macht-laecheln-froehlich/ (19-04-15)


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    3 Gedanken zu „Embodiment“

    1. Manuela Macedonia

      Die Embodiment-These steht im großen Widerspruch zu der alten Theorie von Rene Descartes und anderen grauen Eminenzen, dass Geist und Körper streng zu trennen sind. Unsere Gesellschaft geht aber in erster Linie nach dieser nun überholten Weisheit vor, d. h., Kinder sollen in der Schule ruhig sitzen und Inhalte aufnehmen, die rein geistiger Natur sind. In Wirklichkeit ist solch eine rein geistige Natur aber ein Hirngespinst, und zu handeln, als ob es sie gäbe, ist äußerst kontraproduktiv. Wenn man älter wird, ist dies umso schlimmer, weil das deklarative Gedächtnis schon etwa ab dem 20. Lebensjahr immer schwächer wird.
      Salzburger Nachrichten vom Sonntag, dem 26. September 2021.
      In Bezug auf das schulische Lernen geht man immer noch von der überholten Vorstellung aus, dass Kinder in der Schule still sitzen und rein geistige Inhalte aufnehmen sollen. Nach Repetto et al. (2021) ist eine solche rein intellektuelle Natur in Wirklichkeit ein Hirngespinst. Es ist daher äußerst kontraproduktiv, so zu tun, als gäbe es sie, vor allem mit zunehmendem Alter, zumal das deklarative Gedächtnis ab etwa 20 Jahren immer schwächer wird.
      Repetto, Claudia, Mathias, Brian, Weichselbaum, Otto & Macedonia, Manuela (2021). Visual recognition of words learned with gestures induces motor resonance in the forearm muscles. Scientific Reports, 11, doi:10.1038/s41598-021-96792-9.

    2. Geheimwaffe Lächeln ;-)

      Kurioses: Das Konzept des Embodiment liest sich dann in einer Zeitschrift unter dem Titel „Mit diesem Trick veräppeln Sie Ihr Gehirn bis Sie gut gelaunt sind“ so: Wer ernst und streng schaut, macht sich das Leben unnötig schwer. Dabei wäre es so einfach, sich wohler zu fühlen. Die Geheimwaffe: ein Lächeln. Probieren Sie es doch einmal aus!“

    3. Super Artikel. Würde gern mehr Beitraege zu der Thematik lesen. Ich freue mich schon auf die naechsten Posts.

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