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Other-Face-Effekt

    Es gelingt Menschen, im Bruchteil von Sekunden Gesichter zu erkennen und richtig einzuordnen, wobei das Gehirn vermutlich blitzschnell die charakteristischen individuellen Abweichungen von einem prototypischen Gesicht feststellt, etwa wie ein Karikaturist in seiner Zeichnung nur die wesentlichen Merkmale eines Gesichts herausarbeitet bzw. sogar überbetont. Das ist aus evolutionärer Sicht ein Überlebensvorteil, um etwa Freund von Feind unterscheiden zu können. Auch  Neugeborene bevorzugen schon in den ersten Minuten ihres Lebens Strukturen, die in ihrem Aufbau Gesichtern ähnlich sind, auch wenn sie  alles noch verschwommen sehen und auch  keine Details erkennen können, wobei jedes kreisförmige Schema, das mehr Merkmale in der oberen Hälfte als in der unteren Hälfte aufweist, eine Hinwendung produziert.

    Die menschliche Gesichtserkennung hängt  auch stark vom kulturellen Kontext ab, wobei in weniger als einer Zehntelsekunde im Unterbewusstsein unbekannte Gesichter der gleichen Kultur eingeordnet werden. Dieser „Other-Face-Effekt“ manifestiert sich neuronal im ersten Lebensjahr, wobei etwa im Alter von drei Monaten der Mensch beginnt,  Gesichter instinktiv zu identifizieren, und mit neun Monaten diese Fähigkeit aber wieder verliert und dazu übergeht, dann neue Gesichter automatisch nach derselben gelernten Kategorie zu klassifizieren, sodass es später schwer fällt,  Gesichter aus anderen Kulturkreisen mit anderen generellen Merkmalen zu differenzieren.

    Die menschliche Fähigkeit zur Gesichtserkennung ist also das Ergebnis eines neuronalen Prozesses im visuellen System, das von Geburt an lernt, Dinge aus der Umgebung sofort in ein grobes Muster einzuordnen, Eine speziellen Zellgruppe auf der Gehirnrinde hinter dem Ohr (fusiform face area) ist für die Erkennung von Gesichtern verantwortlich, denn beim Anblick eines Menschen werden dort elektrische Signale ausgesandt, die sich mit Hilfe eines Elektroenzephalogramms  aufzeichnen lassen. Untersuchungen zeigten, dass die Aktivität je nach ethnischer Herkunft des Gegenübers variiert, denn bekommt ein europäischer Proband einen Europäer zu Gesicht, zeigten sich andere Potenzialschwankungen als beim Betrachten eines chinesischen Gesichts, während das selbe Phänomen sich auch bei den asiatischen Teilnehmern beobachten ließ. Das erfolgreiche Erkennen von vertrauten Personen ist entscheidend für soziale Interaktionen. Wenn man das Gesicht einer Person sieht, weiß man in der Regel sofort, ob man sie schon einmal gesehen hat oder nicht. Bereits nach circa vierhundert Millisekunden zeigen sich dabei im rechten temporalen Cortex messbare Gehirnaktivitäten als Zeichen dafür, dass ein Gesichter als bekannt wahrgenommen wird. Ambrus et al. (2021) haben in drei Experimenten mit menschlichen Probanden beiderlei Geschlechts untersucht, wie Repräsentationen von Gesichtsvertrautheit und -identität bei unterschiedliche Kontaktqualitäten entstehen: kurze Wahrnehmungsexposition, umfangreiche Medienvertrautheit und persönliche Vertrautheit im realen Leben. Mit Hilfe einer multivariaten repräsentativen Ähnlichkeitsanalyse konnte man zeigen, dass die Art der Vertrautheit einen tiefgreifenden Einfluss auf die Repräsentationen von Gesichtern hat, wobei sich zusätzlich die Vertrautheit der Repräsentationen von Gesichtsvertrautheit und Identität unterschiedlich formt, d. h., wenn man jemanden kennenlernt, erscheinen Vertrautheitssignale vor der Bildung von Identitätsrepräsentationen. Insgesamt zeigte sich, dass die Qualität des Kontaktes einen großen Einfluss auf die Repräsentationen der Gesichtsvertrautheit hat, denn diee war stark nach persönlicher Vertrautheit, schwächer nach medialer Vertrautheit und nicht vorhanden nach perzeptueller Vertrautheit. In allen Experimenten fand man keine Verstärkung der Identitätsrepräsentation von Gesichtern, was darauf hindeutet, dass Vertrautheits- und Identitätsrepräsentationen während der Gewöhnung an Gesichter unabhängig voneinander entstehen. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer umfangreichen, realen Gewöhnung an ein Gesicht für die Entstehung robuster Repräsentationen der Gesichtsvertrautheit und schränken Modelle der Gesichtswahrnehmung und des Erkennungsgedächtnisses ein.

    Zwar können Erwachsene menschliche Gesichter besser erkennen als alle anderen visuellen Reize, doch verkehrt sich das ins Gegenteil, wenn man Menschen auf dem Kopf stehende Gesichter präsentiert. Am Kopf stehende Gesichter werden schwerer erkannt als andere Gegenstände des Alltags. Das liegt vermutlich auch daran, dass uns Menschen üblicherweise in aufrechter Haltung entgegenkommen, während Gegenstände im Alltag schon das eine oder andere Mal verkehrt liegen oder stehen können.

    Literatur

    Ambrus, Géza Gergely, Eick, Charlotta Marina, Kaiser, Daniel & Kovács, Gyula (2021). Getting to know you: emerging neural representations during face familiarization. The Journal of Neuroscience, doi:10.1523/JNEUROSCI.2466-20.2021.


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