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Dunning-Kruger-Effekt

    The fool doth think he is wise,
    but the wise man knows himself to be a fool.
    William Shakespeare, As You Like It
    Zweifel ist die Tugend der Intelligenz.
    Simone Weil
    Der Zweifel ist nicht nur eine Tugend der Intelligenz,
    er ist ihre notwendige Voraussetzung.
    Siri Hustvedt: Die Illusion der Gewissheit

    Als Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet man eine Spielart jener kognitiven Verzerrung, nach der inkompetente Menschen eine Tendenz zeigen, das eigene Können zu überschätzen und die Leistungen kompetenterer Menschen zu unterschätzen. Der eher ironisch gemeinte und populärwissenschaftliche denn psychologische Fachbegriff geht auf eine Publikation von David Dunning und Justin Kruger aus dem Jahr 1999 zurück. Dunning & Kruger hatten in Studien entdeckt, dass beim Erfassen von Texten, beim Schachspielen oder Autofahren Unwissenheit häufig zu mehr Selbstvertrauen führt als Kompetenz. Wenig kompetente Personen neigen aber nicht nur dazu, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, sondern sind häufig auch nicht in der Lage, überlegene Fähigkeiten bei anderen zu erkennen. Dunning: „Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist. […] Die Fähigkeiten, die man braucht, um eine richtige Lösung zu finden, [sind] genau jene Fähigkeiten, die man braucht, um eine Lösung als richtig zu erkennen.“

    Experimente: Man hatte Studenten zu Tests eingeladen, in denen deren Kompetenzen auf den Gebieten Grammatik und Logik abgefragt wurden, wobei ausgerechnet jene Teilnehmer, die die schlechtesten Ergebnisse erzielten, der Ansicht waren, dass ihre Leistungen weit über dem Durchschnitt liegen. Diese systematische Selbstüberschätzung ließ sich auch nicht dadurch korrigieren, dass man dieser Gruppe die Testbögen zeigte, auf denen ihre Fehler dokumentiert waren.

    In einer neueren Untersuchung (Jordan et al., 2022) bat man Probanden sich vorzustellen, an Bord eines Kleinflugzeugs plötzlich die einzige Person zu sein, die das Flugzeug landen kann, weil der Pilot infolge eines Notfalls ausgefallen ist. Die Hälfte der Probanden bekam anschließend ein Video aus dem Cockpit zu sehen, das aus der Perspektive eines Piloten bei der Landung aufgenommen worden war. Das Video hatte keinen Ton und die Sicht auf die Steuerungsinstrumente war weitgehend verdeckt. Alle Probanden mussten sagen, wie zuversichtlich sie sind, dass Flugzeug landen zu können, ohne dabei zu sterben bzw. wie zuversichtlich sind sie, dass Flugzeug so gut wie ein Pilot landen zu können. Es zeigte sich, dass die Zuversicht in der Gruppe mit Video um rund neun Prozent größer war, wobei die Aufgabe, die von den Menschen verlangt wurde, nach Ansicht von Experten nahezu unmöglich ist, wenn sie nicht entsprechend ausgebildet sind.

    Der Dunning-Kruger-Effekt spielt in der psychologischen Fachliteratur aber keine wesentliche Rolle, vielmehr kursiert er vor allem in Publikationen außerhalb der Psychologie, vor allem in Weblogs und Diskussionsforen des Internet.

    Nach Detlef Fetchenhauer beschrieb David Dunning aber damals etwas anderes, nämlich dass Menschen sich selbst überschätzen, und um zu verstehen, dass sie sich überschätzen, bräuchten sie Wissen, dass sie nicht haben. Um etwa zu wissen, dass man schlecht singt, müsste man ein musikalisches Gehör haben, aber hätte man ein musikalisches Gehör, würde man vermutlich gar nicht so schlecht singen. Erst später tauchte im Internet der jetzt geläufige Dunning-Kruger-Effekt auf, oft auch mit den Grafiken. Nur hat Dunning das nie so gesagt. Später zeigte sich durch Nachforschung, dass es den Effekt tatsächlich gibt: Irgendwann gibt es den Moment der Demut, wenn man erkennt, wie wenig man wirklich weiß, aber mit nur geringem Wissen meint man, man wüsste ja schon alles.

    Übrigens: Im Jahr 2000 erhielten Dunning und Kruger für ihre Studie den satirischen Ig-Nobelpreis im Bereich Psychologie.

    Übrigens belegen zahlreiche Studien, dass in der modernen Arbeitswelt an vielen Stellen Kompetenz ein Karrierehindernis darstellt, denn wer sich ernsthaft mit einer Sache beschäftigt, merkt schnell, was er auf diesem Gebiet alles noch nicht weiß und wo Probleme drohen. Das lässt echte Experten in Diskussionen oder bei Meetings eher abwägend und zurückhaltend auftreten, während jene Menschen, die weniger Kompetenz haben und sich nicht mit Details aufhalten, viel leichter im Brustton der Überzeugung Vorschläge machen, deren völlige Realitätsferne weder ihnen selbst noch anderen auffällt.

    Studien über den Dunning-Kruger-Effekt wurden aber in der Regel an NordamerikanerInnen durchgeführt, wobei Studien an JapanerInnen legen nahe, dass kulturelle Kräfte beim Auftreten des Effekts eine gewisse Rolle spielen, denn so zeigt eine Studie, dass JapanerInnen dazu tendieren, ihre Fähigkeiten eher zu unterschätzen und dass sie Misserfolge vor allem als Anlass nehmen, sich zu verbessern, um damit für die eigene soziale Gruppe wertvoller zu werden. Dieser Effekt ist aber nicht nur auf Individuen beschränkt, sondern findet sich auch in großen Gruppen, etwa in Unternehmen, in der Verwaltung oder ganzen Gesellschaften.

    Literatur

    Jordan, Kayla, Zajac, Rachel, Bernstein, Daniel, Joshi, Chaitanya & Garry, Maryanne (2022). Trivially informative semantic context inflates people’s confidence they can perform a highly complex skill. Royal Society Open Science, 9, doi:10.1098/rsos.211977.
    Kruger, J. &  Dunning, D.(1999). Unskilled and unaware of it. How difficulties in recognizing one’s own incompetence lead to inflated self-assessments. Journal of Personality and Social Psychology. 77, 1121–1134.
    https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.fragen-sie-dr-ludwig-ist-kompetenz-eine-karrierebremse.78f1abfa-7ce1-4321-be73-9e79acd637f5.html (18-05-17)
    https://www.focus.de/finanzen/und-ihr-geld-so/und-ihr-geld-so-professor-fetchenhauer-irre-dass-menschen-zinseszinseffekt-nicht-verstehen_id_13466341.html (21-07-14)


    Extra: Der Dunning Kruger Blues

    [Quelle: https://youtu.be/DrG2c0_EyDE; 16-09-21]


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