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Mikrobiom

    Das Mikrobiom bezeichnet die Gesamtheit aller den Menschen besiedelnden Mikroorganismen, die sich zum Großteil aus Bakterien zusammensetzen. Der Begriff wurde von Joshua Lederberg in Anlehnung an den begriff des Genoms geprägt, da die Mikroflora des Menschen als Teil des menschlichen Stoffwechselsystems maßgeblichen Einfluss auf den Menschen hat. Die Mikrobiomforschung ist, bedingt durch moderne Analysemethoden, in den letzten Jahren als neue Forschungsrichtung entstanden, bei der vor allem erforscht wird, welchen Einfluss das Darmmikrobiom auf die Gesundheit, das Immunsystem und auch die Gehirnfunktionen ausübt. Billionen Bakterien besiedeln die Mundhöhle, die Haut und den Darm, wobei das gesamte Mikrobiom nach Schätzungen etwa eineinhalb Kilogramm wiegt, also die Gesamtheit aller auf und in uns lebenden Bakterien. Man nimmt heute an, dass die Mikroben des Mikrobioms wesentlich mehr Zellen und genetische Informationen enthalten als der menschliche Körper, in dem sie sich bewegen.

    Nach Thomas Bosch gibt es aus einem guten Grund in der Natur keine keimfreien, keine bakterienfreien Organismen, denn die Bakterien waren evolutionsgeschichtlich weit vor den anderen Lebewesen da, die Erde war 3,5 Milliarden Jahre besiedelt mit einem komplizierten Biofilm aus Bakterien, aus Viren, aus Archaeen und auf diesem und in diesem Biofilm hat sich dann irgendwann ein multizelluläres einfaches Leben entwickelt. Man geht davon aus, dass das etwa vor 560-600 Millionen Jahren war, sodass es im Nachhinein ganz logisch ist, dass Lebewesen, Gewebe und Lebensprozesse offensichtlich in enger Abhängigkeit von Mikroben ablaufen. Vor einigen Jahren hat man festgestellt, dass wenn man das Epithel von Hydras sequenziert oder Zellen sammelt und dann sequenziert, dass man immer wieder neben der Erbsubstanz von diesen Zellen und dem Gewebe immer auch Sequenzen fand, die eindeutig zu Bakterien gehörten. Das heißt, das Gewebe ist ganz tief mit ganz bestimmten Bakterien assoziiert, was danach in vielen anderen Organismen, von Fischen über Säugetiere bis zum Menschen bestätigt wurde. Offenbar sind alle Tiere und der Mensch Metaorganismen, da ihr Organismus auch die eigenen Mikroben umfasst. Thomas Bosch sagt soger, dass ein achtzig Kilogramm schwerer Mann etwa fünf Kilogramm Bakterien in und auf der Oberfläche seines Körpers besitzt damit ungefähr genauso viele Körper- wie Bakterienzellen. Diesess Mikrobiom ist artspezifisch, wobei vom winzigen Süßwasserpolypen Hydra bis zum ausgewachsenen Gorilla offenbar alle Arten mit ganz bestimmten Mikroben zusammenleben. Dabei halten die Organismen ihr Mikrobiom in einer sehr spezifischen Art und Weise mithilfe des Immunsystems aufrecht, sodass ein Immunsystem sich stammesgeschichtlich nicht so sehr zur Abwehr von Krankheitserregern entwickelt hat, sondern vermutlich deshalb, um dieses komplexe Gebilde des Metaorganismus aufrechtzuerhalten. Eine wichtige Rolle im Immunsystem spielen dabei Peptide, die bei der Hydra und anderen uralten Tieren antimikrobiell wirken, d. h., sie töten Bakterien. Aber durch dieses Töten halten sie eine ganze Menagerie von verschiedenen Mikroben in einer bestimmten Zusammensetzung.

    Manche Forscher vermuten sogar, dass das Nervensystem dazu entstanden ist, mit Mikrobiota zu reden und sogar Mikrobiota zu kontrollieren: die Zusammensetzung, die Dichte und sogar die räumliche Organisation der Mikrobiota. Bakterien besetzen dabei vermutlich immer nur bestimmte Nischen, wobei Darmbakterien nur im Darm vorkommen dürfen, denn es ist äußerst problematisch, wenn etwa die Darmwandbakterien auf der Haut oder dem Auge zu finden wären. Die räumliche Organisation der Mikrobiota ist für jeden Organismus ganz wesentlich und das Nervensystem scheint dabei eine wichtige Rolle zu spielen, indem es die Funktion der Mikrobiotaüberwachung übernommen hat. Frank Macfarlane Burnet hat postuliert, dass das Immunsystem der Verteidiger gegen das „Nicht-Selbst“ ist, denn immer dann, wenn Eindringlinge kommen, dann wehrt dieses Immunsystem alles „Nicht-Selbst“ ab. Die neue Metaorganismusforschung zeigt aber, dass Mikroben, also das „Nicht-Selbst“, ein ganz entscheidender Teil des Immunsystems darstellen, denn ohne diese Mikroben funktioniert das Immunsystem nicht und man ist hilflos gegenüber allen möglichen Eindringlingen, die von außen kommen.

    Die Mikrobiomforschung untersucht daher aktuell auch die Verbindungen zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und der Umwelt, also Beziehungen, von denen man bisher nicht ahnte, dass sie überhaupt existieren. Da sich viele Bakterien im Labor nicht züchten lassen wie etwa die meisten Darmbakterien, wendet man indirekte Methoden an, um diese zu identifizieren. So nutzt man dazu einen Teil ihres Erbguts, die 16S ribosomale RNA, denn dieser Abschnitt kommt in allen Bakterien vor und unterscheidet sich geringfügig von Art zu Art. Indem man die DNA aus einer Probe isoliert, diese wie üblich sequenziert und visualisiert, kann man die Daten mit entsprechenden Analysemethoden vergleichen. Studien an Ureinwohnern wie den Hadza und den Yanomami haben gezeigt, dass das menschliche Mikrobiom erheblich an Vielfalt verloren hat.

    Etwa 100 Billionen Mikroorganismen bevölkern jeden einzelnen Menschen, wobei die meisten so klein sind, dass man sie nur unter einem sehr starken Mikroskop sehen kann, wobei in jedem Gramm Stuhl mehr Bakterien als Menschen auf der Erde leben. Die Mikroorganismen bringen es dabei auf zehnmal mehr Zellen als der Mensch selbst besitzt, und tragen etwa hundertmal so viel Erbinformation. Man schätzt, dass es 1000 bis 1400 verschiedene Arten gibt, wobei sie nach Schätzungen mehr als drei Millionen Gene in die Lebensgemeinschaft mit den Menschen einbringen und das humane Erbgut um lebenswichtige Fähigkeiten erweitern. Sie konkurrieren dabei untereinander um Platz und Nahrung, arbeiten aber auch zusammen, stehen unter dem Einfluss ihrer Umwelt und geraten unter Stress, wenn das ökologische Gleichgewicht gestört wird, etwa durch Medikamente oder falsche Ernährung. Es hat sich gezeigt, dass diese Mikroben einen großen Einfluss auf körperliche und seelische Gesundheit und Wohlbefinden haben.

    Diese Bakterien des Mikrobioms beeinflussen also direkt und indirekt die menschliche Gesundheit, wobei sie dies nicht nur durch biochemische Fernwirkung tun, sondern in Zusammenwirken mit dem Immunsystems des Körpers, indem sie eine Kontrollinstanz für das Immunsystem darstellen. Es gibt zahlreiche Hinweise auf eine Verbindung zwischen chronischen Krankheiten und dem Mikrobiom, wobei die Ernährung einen wesentlicher Schlüssel auch zur Gesundheit des Menschen darstellt. Ein gut funktionierendes und ausgewogenes Darmmikrobiom ist für die Darmgesundheit und für ein optimal funktionierendes Immunsystem unabdingbar, denn Übergewicht, metabolische Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen und einige psychische Störungen können durch eine Unausgewogenheit im Mikrobiom des Darms ausgelöst werden. Jeder Mensch hat aber die Möglichkeit, etwas für sein Mikrobiom zu tun, denn eine vielfältige Ernährung mit Balaststoffen, stressfreien Mahlzeiten, Bewegung und eine ausreichende Nachtruhe wirken sich positiv aus. Schlecht für das Mikrobiom sind hingegen industriell verarbeitete, hochkalorische und fette Nahrungsmittel, aber auch radikale Diäten oder eine einseitige Ernährung, denn das Mikrobiom besitzt ein gutes Gedächtnis und erinnert sich lange an Phasen mit schlechtem Lebensstil. Es ist übrigens heute schon möglich, mit einer Stuhltransplantation das Mikrobiom eines gesunden Menschen auf einen kranken zu übertragen, wobei bei bestimmten Darminfektionen bereits große Erfolge erzielt worden sind. Da aber der zu transplantierende Stuhl als Arzneimittel gilt und als solches zugelassen werden muss, ist das bisher nur in Einzelfällen möglich.

    Übrigens bestimmt das Mikrobiom bei Menschen auch mit, wie gut Medikamente bei bestimmten Krankheiten wirken. Studien haben etwa bei einem Parkinson-Medikament (Levodopa) gezeigt, dass der Dopamin-Vorläufer bei manchen Betroffenen besser wirkt, wenn man ihnen zugleich Breitbandantibiotika verabreicht, doch dabei tötet man möglicherweise auch Bakterien ab, die wichtig für Verdauung und Immunabwehr sind.

    Bekanntlich verhindert die Blut-Hirn-Schranke, dass potenzielle Krankheitserreger aus dem Blut ins Gehirn gelangen, denn dringen Mikroben wie Pilze, Parasiten oder Bakterien ins Gehirn, etwa bei einer Verletzung, hat dies meist tödliche Folgen für den Organismus. Allerdings fand man in den Gehirnen von toten Menschen aber auch von Mäusen Bakterien im Hippocampus, im präfrontalen Cortex, in der Substantia nigra, in Astrozyten und in den Gliazellen, besonders aber an der Blut-Hirn-Schranke, wobei diese Bakterien nicht durch einen Eingriff nach dem Tod in den Körper gelangt waren, sodass man annehmen muss, dass diese Bakterien regulär im Gehirn gelebt haben. Dabei sind die Proteobasterien, Firmicutes und Bacteroidetes im Gehirn die selben wie im Darm, sodass die Mikrobenwelten in Darm und Gehirn vermutlich eng miteinander verknüpft sind, und zwar vermutlich über die Blutbahn.

    Sampson et al. (2016) vermuten, dass die Darmbakterien Substanzen bilden könnten, die vom Darm resorbiert über die Blutbahn ins Gehirn gelangen, wobei  kurzkettige Fettsäuren wie Acetat, Propionat oder Butyrat im Verdacht stehen, die relativ rasch resorbiert werden. So wurde das Protein Alpha-Synuclein, dessen Ablagerung im Gehirn nach heutiger Kenntnis die Ursache der Parkinson-Erkrankung ist, auch im Darm und im Nervus vagus nachgewiesen, wobei einige Neuroanatomen vermuten, dass der Morbus Parkinson eine Prionen-Erkrankung ist, bei der mit der Nahrung aufgenommene Proteine über Nerven ins Gehirn transportiert werden, und dort eine fatale Kettenreaktion auslösen.

    Berer et al. (2017) haben in einer Zwillingsstudie gezeigt, dass bei gleicher genetischer Vorbelastung, Unterschiede der Darmflora Multiple Sklerose auslösen könnte. Man untersuchte mehr als fünfzig eineiige Zwillingspaare, bei denen jeweils ein Geschwisterteil an dieser entzündlichen Nervenkrankheit leidet. Da das Erbgut der Zwillinge identisch ist, musste es einen anderen Grund geben, warum einer der beiden Zwillinge erkrankte und der andere gesund blieb. Als man keimfrei gehaltene, genetisch veränderte Mäuse mit den jeweiligen menschlichen Mikrobiomen impften, erkrankten die Tiere, die Darmfloraproben der MS-kranken Zwillinge bekommen hatten, zu fast hundert Prozent an der Hirnentzündung.

    Nur ein kleiner Teil des Mikrobioms wird übrigens durch Vererbung festgelegt, der überwiegende Teil entwickelt sich unter dem Einfluss von Ernährung, Lebensumfeld, Impfungen, Medikamenten oder Hygiene bei jedem Menschen anders. Ein typisches bzw. normales Mikrobiom gibt es daher nicht, sondern es weist bei gesunden Menschen große Unterschiede auf und ist charakteristisch wie ein Fingerabdruck. Gemeinsam ist dabei aber allen Variationen des Mikrobioms, dass sie sich auf den gesamten Organismus auswirken, denn so haben Menschen, die stark übergewichtig sind, oft ein stark verändertes Mikrobiom, aber auch andere Krankheiten sind eng mit dem Mikrobiom verbunden.

    Kurioses: Die Bakterienvielfalt beim Menschen ist sehr groß, denn bis zu eintausend Bakterienarten leben etwa im menschlichen Darm, wobei Menschen zwar 99,9 Prozent des Genoms miteinander teilen, es aber beim Mikrobiom oft nur zehn Prozent sind. Küssende Menschen tauschen daher stets auch Keime und Bakterien aus, wobei etwa achtzig Millionen Mikroorganismen bei einem zehn Sekunden langen Kuss von Mund zu Mund wandern. Dadurch erhöht sich die Zahl der Immunzellen im Blut und stärkt so die Abwehrkräfte. Manche Biologen vermuten, dass Menschen beim Küssen aus gutem Grund den Mund, die Brustwarzen und die Geschlechtsorgane des Partners bevorzugt, denn hier sind besonders viele Mikroorganismen angesiedelt. Manche Forscher vermuten sogar auch, dass der Sexualtrieb nicht allein der Fortpflanzung dient, sondern auch der Aneignung einer vielfältigen Bakterienschar durch Körperkontakt, wodurch der eigene Organismus widerstandsfähiger wird. Bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts wurde jedes Baby durch den Geburtskanal geboren und dabei zwangsläufig mit den Vaginalbakterien der Mutter benetzt, während Babys, die durch einen Kaiserschnitt geboren werden, stattdessen vordringlich mit den Hautbakterien der Mutter in Kontakt kommen und somit ein leicht höheres Risiko für Asthma und Übergewicht haben, wofür möglicherweise die unterschiedliche mikrobielle „Impfung“ dafür verantwortlich sein könnte.


    Nicht nur das menschliche Mikrobiom im Darm spielt eine wichtige Rolle in der Gesundheit, sondern auch das orale Mikrobiom, wobei sich auch die zirkadiane Uhr bzw. der Schlaf auf die Gemeinschaft der Mikroorganismen des oralen Biofilms auswirkt, ähnlich wie man es bereits für den dentalen Biofilm beobachten konnte, bei dem über Nacht die relative Häufigkeit an Parodontitis-verursachenden Arten steigt. Dabei steht Mundgeruch häufig in Verbindung mit Biofilmen auf der Zunge, denn einige Bakterienarten hängen mit einer hohen Konzentration an Methanthiol zusammen, neben reduziertem Speichelfluss und Schlucken einer der Hauptursachen für morgendlichen Mundgeruch.

    Literatur

    Kerstin Berer, Lisa Ann Gerdes, Egle Cekanaviciute, Xiaoming Jia, Liang Xiao, Zhongkui Xia, Chuan Liu, Luisa Klotz, Uta Stauffer, Sergio E. Baranzini, Tania Kümpfel, Reinhard Hohlfeld, Gurumoorthy Krishnamoorthy, & Hartmut Wekerle (2017). Gut microbiota from multiple sclerosis patients enables spontaneous autoimmune encephalomyelitis in mice. PNAS, doi:10.1073/pnas.1711233114.
    Charisius, H. (2014). 100 Billionen Freunde. DIE ZEIT Nr. 12 vom 13. März.
    Heinrich, C. (2016). Tust du mir gut? DIE ZEIT Nr. 38 vom 8. September.
    http://derstandard.at/2000047179118/Das-Mikrobiom-im-Darm-hat-an-Vielfalt-verloren (16-11-09)
    Timothy R. Sampson, Justine W. Debelius, Taren Thron, Pernilla Wittung-Stafshede, Rob Knight & Sarkis K. Mazmanian (2016). Gut Microbiota Regulate Motor Deficits and Neuroinflammation in a Model of Parkinson’s Disease. Cell, doi.org/10.1016/j.cell.2016.11.018.
    http://expressi.de/gesundheit/gesundheit-allgemein/show/lebenswichtige-mitbewohner-mit-gutem-gedaechtnis (17-12-13)
    https://www.deutschlandfunk.de/meine-bakterien-und-ich-der-mensch-als-metaorganismus.740.de.html?dram:article_id=436989 (18-12-31)


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    Ein Gedanke zu „Mikrobiom“

    1. Gesunde Darmflora macht glücklich

      Ein entscheidender Bestandteil des „Bauchhirns“ ist das Mikrobiom (Gesamtheit der – vor allem auf der Dickdarmschleimhaut – angesiedelten Mikroorganismen). „Gute“ Bakterien und Zellen der Darm-Schleimhaut sind in der Lage, das Stimmungshormon Serotonin zu bilden. Etwa 95% dieses Glückshormons werden im Darm produziert.Ballaststoffe, z. B. aus Obst, Gemüse und Vollkornprodukten, fördern eine gesunde Darmflora.
      Kronenzeitung vom 12.12.2022

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