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Mere-Exposure-Effekt

    Die Menschen glauben viel leichter eine Lüge, die sie schon hundertmal gehört haben, als eine Wahrheit, die ihnen völlig neu ist.
    Alfred Polgar

    Ein früher schon einmal verarbeiteter Reiz wird lediglich aufgrund dieser früheren Darbietung positiver eingeschätzt. Diese vorherige Darbietung führt später zu einer vereinfachten Verarbeitung des Reizes, wobei das Individuum  diese vereinfachte Reizverarbeitung fälschlicherweise den positiven Eigenschaften des Reizes zuschreibt. Dabei handelt es sich aber offensichtlich um eine Fehlzuschreibung, denn die erleichterte Verarbeitung resultiert aus der früheren Verarbeitung des Reizes und nicht aus dessen positiven Eigenschaften. Mere exposure ist somit ein ähnlich anspruchsloses Lernmuster mit einer spezifischen Wirkung auf Einstellungen. Die Idee eines „Effekts der bloßen Darbietung“ auf die Bewertung eines Gegenstandes lässt sich bis zu den Pionieren der wissenschaftlichen Psychologie zurück verfolgen (etwa Fechner, James, Maslow). Es dauerte aber gut hundert Jahre, bis Zajonc (1968) den ersten systematischen experimentellen Beweis dieses Effektes vorlegte. In diesem berühmten Experiment wurden den Probanden und Probandinnen vermeintlich chinesische Schriftzeichen vorgelegt. Die Probanden und Probandinnen sollten die Darbietung der Zeichen aufmerksam verfolgen, wobei die Darbietungshäufigkeit der einzelnen Zeichen variiert wurde. Anschließend sollten die Probanden auf einer Skala die von ihnen vermutete positive bzw. negative Bedeutung der Zeichen einschätzen. Es zeigte sich, dass mit zunehmender Darbietungshäufigkeit die Zeichen positiver bewertet wurden. Zajonc konnte somit nachweisen, dass die Ursache des „Mere-Exposure-Effektes“ die Darbietungshäufigkeit und deren Wirkung die verbesserte Einstellung gegenüber dem Reiz ist. Diese Erkenntnis macht man sich vor allem in der Werbung zunutze, indem man die KonsumentInnen immer wieder mit dem Produkt konfrontiert, sodass durch die Bekanntheit auch eine positive Einstellung entsteht.

    Moreland & Beach (1992) untersuchten, ob sich die Zuneigung zu Menschen erhöht, wenn man sie ein ganzes Semester lang im Seminarraum zu Kursen sieht. Dazu schleusten sie eingeweihte weibliche Forschungshelferinnen in einen großen Collegeseminarraum ein. Sie kamen nur herein, setzten sich in die erste Reihe, wo sie jeder sehen konnte, und durften aber keinen Kontakt mit dem Lehrenden oder anderen Studenten aufnehmen. Die Helferinnen unterschieden sich darin, wie oft sie die Klassen besuchten, von fünfzehn Teilnahmen bis zur Kontrollbedingung von keiner Teilnahme. Als man am Ende des Semesters Studenten Dias von den Frauen zeigt, und diese von den Studenten nach Zuneigung und Attraktivität beurteilen ließ, stellte sich heraus, dass die bloße Exposition einen maßgeblichen Einfluss auf die Zuneigung hatte. Die Studenten nahmen nie Kontakt mit den Frauen auf, aber sie mochten die Frauen umso mehr, je häufiger sie diese in den Seminarräumen gesehen hatten.
    Siehe dazu auch den Nähe-Effekt.
    Der Mere-Exposure-Effekt wird etwa auch in Bezug auf Namen wirksam, denn wer einen Namen besitzt, der weniger gängig ist, fällt vielleicht auf den ersten Blick auf, doch ist der Name eher lang, enthält schwer aussprechbare Buchstaben oder ist einfach unbekannt, nehmen ihn Menschen gleich als komplizierter wahr und geraten ins Stocken. Solche Menschen haben es laut Wirtschaftspsychologen auf Anhieb schwerer, etwa in Bewerbungsverfahren für einen Arbeitsplatz. Auch werden Namen, denen man eine fremde Region oder gar ein anderes Land anhört, häufig eher negativ bewertet, was sowohl Dialekte innerhalb eines Landes sein können aber auch ein Migrationshintergrund. Dahinter steckt der Ähnlichkeits-Attraktivitäts-Effekt, denn Menschen bewerten andere Menschen automatisch positiver, die ihnen ähnlich sind, etwa in der Sprache oder ihrem sozialen Hintergrund.

    Der Mere-Exposure-Effect ist vermutlich auch dafür verantwortlich, warum manche Menschen sich auf einem Foto oder einem Selfie eher unattraktiv finden, denn sie  sehen sich anders als im Spiegel, d. h. so, wie sie von anderen Menschen gesehen werden. Weil dieses Bild Menschen im Gegensatz zum Spiegelbild fremd erscheint, reagieren sie ablehnend darauf. Allerdings dürfte dieser Effekt zurückgehen, je mehr Fotos man von sich selbst macht, den man gewöhnt sich an den Anblick aus der anderen Perspektive.
    Siehe dazu, wie das optimale Selfie aufgenommen werden sollte.

    Der Mere-Exposure-Effekt kann auch erklären, warum ältere Menschen die moderne Musik junger Menschen eher ablehnen bzw. nicht verstehen. Einerseits gibt es Indizien dafür, dass sich die Fähigkeit des Gehirns, subtile Unterschiede zwischen verschiedenen Akkorden, Rhythmen und Melodien zu erkennen, mit zunehmendem Alter verschlechtert, sodass für ältere Menschen neuere, weniger bekannte Musik wirklich alle gleich klingt, andererseits eben auch am Mere-Exposure-Effekt, denn je mehr die Menschen einer Musikform ausgesetzt sind, desto eher neigen sie dazu, diese zu mögen. Wenn man als junger Mensch sehr viel Zeit damit verbringt, Musik zu hören oder Musikvideos anzuschauen, werden die eigenen Lieblingslieder und -künstler vertraut und erfüllen den eigenen Alltag. Bei Menschen nehmen danach aber die Berufs- und Familienpflichten in der Regel so zu, dass wenig Zeit bleibt, neue Musik zu entdecken, sondern sie hören viel lieber die alten, vertrauten Lieblingslieder aus der Jugend, in der sie noch Zeit für Musik hatten.


    Kurioses

    Das liest sich übrigens auf einer Ratgeber-Seite für Frauen so: „Auf der Suche nach dem Traumprinzen? Du bist total verknallt in einen Mann, weißt aber nicht, wie du ihn dazu bringen kannst, dich ebenso zu mögen? Kein Problem, denn der psychologische „Mere-Exposure-Effekt“ kann dir dabei helfen, ihn unterbewusst zu beeinflussen.(…) So rät ein bekanntes Lehrbuch der Psychologie (…), man solle sich auch wenn man nicht hübsch ist oder die Bewunderung für eine andere Person nicht erwidert werde einfach ständig in deren Nähe aufhalten. (…) Du solltest auf keinen Fall zu seiner ständigen Stalkerin werden, denn der Effekt ist nur dann wirksam, wenn du grundsätzlich als einigermaßen sympathisch wahrgenommen wirst. Wenn er von Anfang an einen schlechten Eindruck von dir hat, wird ihn deine bloße Anwesenheit nicht dazu bringen, dich mehr zu mögen! Außerdem wurde in einer Studie (…) deutlich, dass der „Mere-Exposure-Effekt“ vor allem dann gut wirkt, wenn man der Person nicht zu selten aber auch nicht zu häufig ausgesetzt wird. Du musst ihn also nicht alle fünf Minuten kontaktieren oder ihm über den Weg laufen, ein paar Mal in der Woche genügt. Zudem ist es gut, sich von anderen Frauen abzuheben, denn die selbe Studie belegte, dass der Effekt besonders gut zum Greifen kam, wenn sich die Reize stark von einander unterschieden. (…) Dieses Phänomen kann zwar die Wahrnehmung deines Traummanns von dir positiv beeinflussen und bringt ihn eventuell dazu, dich anzusprechen, er bietet aber noch lange keine Grundlage für eine Beziehung! Verwende daher auf keinen Fall zu viel Zeit dafür, zu planen, wie du ihm „zufällig“ über den Weg laufen könntest, denn ein solches Stalker-Verhalten kommt bei niemandem gut an.“


    Literatur

    Bornstein, R. F. (1989). Exposure and affect: Overview and meta-analysis of research, 1968-1987. Psychological Bulletin, 106, 265-289.
    Moreland, Richard L. &  Beach, Scott R. (1992).  Exposure effects in the classroom: The development of affinity among students. University of Pittsburgh.
    Zajonc, R. B. (1968). Attitudinal effects of mere exposure. Journal of Personality and Social Psychology, Monograph Supplement, 9/2, 1-27.
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/LERNEN/LatentesLernen.shtml (02-11-21)
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/LERNEN/Lernen.shtml (02-11-21)
    http://paedpsych.jku.at:4711/LEHRTEXTE/Bandura.html (02-11-21)
    http://www.at.fem.com/liebe-lust/news/mere-exposure-so-bringst-du-ihn-dazu-dich-zu-wollen (16-03-28)
    https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/alles-nur-bumm-bumm-bumm (19-10-09)


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