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Glutamat

    Der am häufigsten im Gehirn vorkommende erregende Neurotransmitter ist Glutamat, der die Motorik mitsteuert. Der menschliche Körper bildet etwa fünfzig Gramm endogenes Glutamat pro Tag, das in Muskeln, Gehirn, Nieren und Leber zu finden ist. Chemisch ist es dem künstlich zugeführten Glutamat (siehe unten) identisch, wobei ein Mitteleuropäer im Schnitt 0,3 bis 0,5 Gramm Glutamat pro Tag aus Fertiggerichten aufnimmt, in Asien 1,5 Gramm. Aus natürlichen Lebensmitteln nehmen Europäer daher rund ein Gramm freies und 20 Gramm an Proteine gebundenes Glutamat auf, wobei nur das freie Glutamat den würzigen Geschmack (umami) besitzt. Im Körper wird Glutamat im Dünndarm zerlegt und dient zur Energieversorgung von Darmzellen oder auch als Baustein für wichtige Moleküle im Darm. Nur ein kleiner Teil findet sich dann im Blut wieder. Glutamat bindet aber nicht nur an Geschmackszellen in der Zunge, denn sowohl im Darm als auch auf Spermien hat man Umami-Rezeptoren gefunden (Burger, 2020). Als Glutamatzyklus wird sowohl die Umwandlung und der Transport des Neurotransmitters Glutamat im zentralen Nervensystem als auch ein Entgiftungsprozess von Ammoniak in der Leber beschrieben.

    Glutamat erfüllt im Gehirn wichtige Funktionen, aber steigt die Konzentration zu stark an, dann erschwert es den Informationsaustausch zwischen den Nervenzellen. In einem Experiment ließ man Probanden stundenlang geistig anstrengende Aufgaben lösen und untersuchte sie dabei von Zeit zu Zeit mit Magnetresonanzspektroskopie. Dabei zeigte sich, dass sich bei intensivem Denken der körpereigene Neurotransmitter Glutamat im präfrontalen Cortex ansammelt. Da dieses Areal ein für komplexe Problemlösungen wichtiges Areal des Gehirns darstellt, können die Neuronen dort aufgrund dieses überhöhten Glutamatspiegels nicht mehr so gut aktiviert werden, wobei sich dieser Ermüdungseffekt nicht verhindern lässt, jedoch mit etwas Ruhe und Schlaf baut sich das Glutamat im Gehirn wieder ab, und die geistige Leistungsfähigkeit kehrt zurück. Dieser Botenstoff wird daher mit verschiedenen Problemen in Verbindung gebracht, unter anderem mit epileptischen Anfällen und Migräne. Glutamat wirkt in hohen Konzentrationen offenbar toxisch, weil es den Zellstoffwechsel stört, denn offenbar gibt es eine Verbindung zwischen einem hohen Glutamatspiegel und körperlicher sowie geistiger Erschöpfung. Die Verstärkung von Glutamat-assoziierten Signalen ist jedoch auch wichtig für Lernvorgänge, denn Glutamat, wird dabei an den „spine“-Synapsen übertragen, deren empfangender Teil aus kurzen Ausstülpungen von Nervenzellfortsätzen besteht, den „spines“ oder dendritischen Dornen. Diese Dornen sind winzige zelluläre Schalteinheiten, die sowohl für die normale Signalübertragung als auch für komplexe Hirnfunktionen wie etwa Lernprozesse von fundamentaler Bedeutung sind.

    Man hat übrigens im Tierversuch (Kabanova et al., 2015) beobachtet, wie eine spezielle Form von Dopaminproduzenten im Gehirn entsteht und welche Netzwerke diese Zellen bei der Gehirnentwicklung ausbilden, und dabei eine Art neuronaler Datenautobahn entdeckt, indem die Nervenzellen nicht nur Dopamin zur Signalübertragung nutzen, sondern auch das deutlich schnellere Glutamat. Das kann im Zusammenhang mit neurodegenerative Erkrankungen wichtig sein, denn dass die Dopamin produzierenden Neuronen zusätzlich Glutamat als Botenstoff benutzen könnte auch dafür verantwortlich sein, dass bei es bei psychische Erkrankungen zum starren Festhalten an Vorstellungen oder zur Wiederholung von Wörtern und Bewegungen in unpassenden Zusammenhängen kommt.


    Nach der gängigen Lehrmeinung müssen Nervenzellen im Gehirn aktiv miteinander kommunizieren, um funktionsfähige Netzwerke zu etablieren, doch Sigler et al. (2017) haben nun in Tierversuchen an genetisch veränderten Mäusen nachgewiesen, dass sich Nervenzellen in wichtigen Hirnregionen auch ganz ohne aktive Signalübertragung miteinander zu normal strukturierten Netzwerken verknüpfen können, in dem sie die synaptische Botenstoff-Ausschüttung von Glutamat komplett lahmgelegt haben. In dem Versuch haben Nervenzellen im Hippokampus, einer für Lernprozesse essentiellen Hirnregion, Dornen-Synapsen in normaler Zahl und mit einer normalen Verteilung entlang ihrer Fortsätze ausgebildet, auch wenn es keine Botenstoffausschüttung gibt. Es gibt offenbar ein zelluläres Programm im Hippokampus, das die Vernetzung von Nervenzellen in dieser Hirnregion steuert und bei dem synaptische Botenstoff-Signale keine Rolle spielen. Dieses so entstehende Netzwerk bildet in der Folge eine Basis für durch Hirnaktivität ausgelöste Veränderungen der Synapsen-Verschaltung.

    Siehe auch Gehirndoping.


    Allgemein: Glutamat ist der am häufigsten verwendete Zusatzstoff der Lebensmittelindustrie, dennoch hat der Geschmacksverstärker mit den Nummern für zugelassene Lebensmittelzusatzstoffe in der EU – E620 bis E625 – einen schlechter Ruf, wobei auch zahlreiche Vorurteile existieren. Glutamat ist daher ein umstrittener Zusatzstoff, der in Lebensmitteln als Geschmacksverstärker zum Einsatz kommt. Glutamate kommen aber auch in der Natur vor, sie sind Salze der natürlich Aminosäure L-Glutaminsäure. Mononatriumglutamat ist ein Salz der Glutaminsäure, also einer Aminosäure, die der menschliche Körper selbst herstellt. In einigen Lebensmitteln ist Glutamat auf natürliche Weise enthalten, etwa in Tomaten, Käse, Fleisch, Fisch, Eiern und Milchprodukten. In pflanzlichem Protein stecken bis zu 20 Prozent Glutaminsäure, in tierischem Eiweiß – also Eiern, Milch oder Fleisch – sind es bis zu 40 Prozent. Jedes proteinhaltige Lebensmittel liefert also auch Glutaminsäure. Besonders viel davon findet sich in Ei, Fisch, Soja, Hefe, Tomaten oder Käse. Roquefortkäse enthält beispielsweise 1280, Parmesan 1200 und Sojasoße 1090 Milligramm pro 100 Gramm. Gerade bei der Fermentation von Lebensmitteln wird neben vielen anderen Stoffen auch Glutamat freigesetzt. Die Salze entstehen in geringeren Mengen auch bei der Herstellung von Sauerkraut oder Bier.

    Seit Jahrzehnten machen verschiedene Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Glutamat für einige Reaktionen, die in Verbindung mit Nahrungsunverträglichkeiten auftreten, verantwortlich, wobei solche Fälle erstmals in den 1970er Jahren in den USA aufgetreten sind. Damals klagten Menschen nach Besuchen asiatischer Restaurants vermehrt über starke Kopfschmerzen, Taubheitsgefühle und Schwindel (China-Restaurant-Syndrom) und verlieh dem damals vor allem in der asiatischen Küche eingesetzten Glutamat seinen bis heute andauernden schlechten Ruf. Doch ein wissenschaftlicher Zusammenhang zwischen der Aufnahme von Glutamat und diesen  Beschwerden konnte nie endgültig nachgewiesen werden. Auch dass Glutamat für Übergewicht und Bluthochdruck beitragen könnte, ist bisher nicht belegt, denn wohl eher liegt es daran, dass Menschen, die an Übergewicht oder Adipositas leiden, häufig einen größeren Anteil ihres Nahrungsbedarfs mit industriell verarbeiteten Lebensmitteln decken, etwa Fertig- und Tiefkühlgerichten, Chips oder Gewürzmischungen, sodas sie damit auch mehr glutamathaltige Lebensmittel zu sich nehmen. Auch könnte Glutamat dazu beitragen, die Bildung des Sättigungshormons Leptin im Gehirn zu verhindern, wobei dieses Hormon im Normalfall das Hungergefühl hemmt und bei der Regulierung des Fettstoffwechsels hilft, sodass das Sättigungsgefühl ausbleibt. Allerdings gilt das auch für Aromen und andere Geschmacksverstärker.

    Man vermutet, dass die menschliche Vorliebe für glutamathaltige Lebensmittel gemeinsam mit einer Ernährungsweise entstanden ist, die auf fermentierte und damit länger haltbare Lebensmittel setzte. Glutamat ist übrigens auch in der von Justus Liebig erfundenen Fleischbrühe vorhanden. Hersteller von Fertiglebensmitteln mischen schon seit mehr als 100 Jahren Glutamat als Geschmackverstärker in ihre Produkte, wobei die Industrie diese Salze meist aus Melasse mit Hilfe von gentechnisch veränderten Bakterien herstellt. Verbraucher erkennen die Stoffe unter den E-Nummern E 620 bis E 625. Glutamate werden als Geschmacksverstärker etwa in Fertiggerichten, Tütensuppen und -soßen, Fleisch-, Fisch- und Gemüsekonserven sowie in Knabbereien wie Chips, in Würzmitteln und als Kochsalzersatz genutzt. Glutaminsäure und ihre Salze sind in fast allen Lebensmittelkategorien mit maximal 10 Gramm Zusatzstoff pro Kilogramm erlaubt. Das bekannteste Glutamat ist das Natriumsalz der Glutaminsäure: Mononatriumglutamat (E 621) (Burger, 2020).

    Glutamat ist insgesamt betrachtet wohl einer der wichtigsten erregenden Botenstoffe im Gehirn, denn es ist an der Entgiftung von Ammoniak beteiligt und wirkt in hohen Konzentrationen toxisch, weil es den Zellstoffwechsel stört, denn offenbar gibt es eine Verbindung zwischen einem hohen Glutamatspiegel und körperlicher sowie geistiger Erschöpfung.


    Kurioses: In einer Studie zeigen japanische Forscher, dass eine Veränderung des Glutamatspiegels für die saisonale Regulierung der Fortpflanzung bei Bohnenwanzen verantwortlich ist und die neuronale Aktivität steuert.Es zeigte sich, dass extrazelluläre Glutamatspiegel im gesamten Gehirn unter Kurztagesbedingungen signifikant höher als unter Langtagesbedingungen waren. Der Glutamatspiegel steuert offenbar die lichtabhängigen Reaktionen der Neurone im Gehirn der Insekten, wobei sich eine Änderung der neuronalen Aktivität auf die Eiablage auswirkte (Hasebe & Shiga, 2022).


    Literatur

    Burger, K. (2020). Geschmacksverstärker : Ist Glutamat vielleicht sogar gesund?
    WWW: https://www.spektrum.de/wissen/ist-glutamat-vielleicht-sogar-gesund/1697398 (20-01-13)
    Hasebe, M. & Shiga, S .(2022) .Clock gene-dependent glutamate dynamics in the bean bug brain regulate photoperiodic reproduction. PLoS Biol, doi:10.1371/journal.pbio.3001734.
    Anna Kabanova, Milan Pabst, Markus Lorkowski, Oliver Braganza, Anne Boehlen, Negar Nikbakht, Leonie Pothmann, Ankita R Vaswani, Ruth Musgrove, Donato A Di Monte, Magdalena Sauvage, Heinz Beck & Sandra Blaess (2015). Function and developmental origin of a mesocortical inhibitory circuit.  Nature Neuroscience, 18, 872–882.
    Sigler, A., Oh, W.C., Imig, C., Altas, B., Kawabe, H., Cooper, B.H., Kwon, H.-B., Rhee, J.-S. & Brose, N. (2017). Formation and maintenance of functional spines in the absence of presynaptic glutamate release. Neuron, 94, 304-311.


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